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Per Anhalter zum Mars

Allgemein

Per Anhalter zum Mars
Der Fund lebender Mikroben auf dem Mars wäre eine Sensation. Oder eine riesige Enttäuschung – wenn sich herausstellen würde, dass sie von der Erde stammen.

Am 7. Februar 2008 transportierte das Space Shuttle Atlantis eine koffergroße Konstruktion mit mehr als 100 Millionen Bazillen zur Internationalen Raumstation. Am 15. Februar montierten die auf der ISS stationierten Astronauten die Apparatur an die Außenseite des Columbus-Moduls, des Raumlabors der Station.

Es war ein Experiment auf Leben und Tod: Wo Menschen nur in technisch hochentwickelten Raumanzügen und nur für kurze Zeitspannen hingeschickt werden, mussten die Kleinstlebewesen eineinhalb Jahre ausharren. Eineinhalb Jahre ohne Wasser und Nahrung, ausgesetzt im eisigen Vakuum und der UV-Strahlung der Sonne schutzlos ausgeliefert. Erst Anfang September 2009 war das Martyrium zu Ende. Die Raumfähre Discovery brachte die Bakterien zurück zur Erde – lebend.

Immer wieder hört man von Mikroben, die unter unwirtlichsten Bedingungen überleben – in heißen Quellen, unter arktischem Eis oder auch in der Salzsäurebrühe des menschlichen Magens. Da erscheint ihr Überleben im Weltall doch wenig überraschend – oder?

Doch die winzigen Raumfahrer stammten nicht etwa aus einer heißen Quelle oder der Arktis, sondern aus Reinräumen, in denen Raumfahrzeuge zusammengebaut werden. Dabei achten NASA & Co schon seit den Anfängen der Raumfahrt in den 1960er-Jahren penibel darauf, fremde Himmelskörper nicht mit irdischem Leben zu kontaminieren. Es wäre eine überaus peinliche Panne, wenn der Marslander Curiosity Leben auf dem Roten Planeten entdecken würde – und später würde sich herausstellen, dass die angebliche marsianische Lebensform gar keine ist, sondern von einer Raumsonde oder einem Landefahrzeug eingeschleppt wurde.

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Rein, reiner, Reinraum?

Damit so etwas nicht passiert, werden Raumfahrzeuge in Reinräumen zusammengebaut, wie sie auch in der pharmazeutischen Industrie bei der Produktion steriler Arzneimittel zum Einsatz kommen. Das bedeutet: Gefilterte Luft, Klimakontrolle, Desinfektion mit scharfen Reinigungsmitteln, Tragepflicht von Ganzkörperschutzanzügen und Gesichtsmasken. Und dennoch gibt es in den Reinräumen offenbar winzige Lebewesen, die extrem resistent gegen solche unwirtlichen Bedingungen sind – so resistent, dass sie 18 Monate im All überleben können.

Wie kommen diese Überlebenskünstler in die Reinräume? Inzwischen gehen Mikrobiologen davon aus, dass hier ähnliche Prozesse am Werk sind, wie man sie durch den häufigen Einsatz von Antibiotika kennt. Bekanntestes Beispiel ist der gegen Methicillin resistente Staphylococcus aureas – ein gefürchteter Krankenhauskeim, dem die meisten gebräuchlichen Antibiotika nichts anhaben können.

So wie Antibiotika diesen Krankenhauskeim herausselektieren, scheinen es auch Desinfektionsmittel, Nahrungsmangel und Trockenheit zu tun: Mikroben, die mit diesen Belastungen nicht umgehen können, sterben. Übrig bleiben einige wenige, die von Natur aus sehr widerstandsfähig sind. Ohne Konkurrenz durch die normale Gemeinschaft von Mikroorganismen können sich die resistenten Einzeller ungehindert vermehren. Die Krux ist, dass die raue Umwelt in Reinräumen sehr stark den Bedingungen im Weltraum oder auf dem Mars ähnelt. „Durch die besonderen Umwelt- und Reinigungsbedingungen werden gewisse resistente Mikroben herangezogen, die auch das Potenzial haben, im All und auf dem Mars zu überleben“, sagt Gerhard Kminek. Er ist Planetary Protection Officer bei der Europäischen Weltraumbehörde ESA und dort dafür zuständig, dass keine blinden Passagiere von der Erde mit ins All und auf andere Planeten fliegen.

Mit Herschel um die Welt

Um herauszufinden, mit wem man es eigentlich zu tun hat, nahmen sich deutsche Mikrobiologen jetzt Reinräume in Friedrichshafen, Noordwijk in den Niederlanden und dem europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch Guayana vor. Dort wurde unter anderem das Weltraumteleskop Herschel zusammengebaut. „Diese Reinräume unterlagen keiner biologischen Kontrolle, da Herschel nur im erdnahen Bereich operiert“, erklärt Kminek. „Sie waren also optimal, um die normale biologische Kontamination in Reinräumen zu testen, in denen Raumfahrzeuge zusammengebaut werden“.

Die regelmäßige Entnahme von Bakterienproben ist Standard in Reinräumen, in denen Raumfahrzeuge zusammengebaut werden. Mit einem speziellen Wischtuch oder einem Wattetupfer wird über die Oberflächen gefahren. Anschließend lässt man die Bakterien auf einem Nährmedium zu Kolonien heranwachsen. So sind die Bakterien ganz einfach zu zählen: Pro Bakterienzelle in der entnommenen Probe wächst eine Kolonie heran. Es handelt sich dabei um eine mikrobiologische Standardprozedur, um die bakterielle Vielfalt eines Lebensraums zu untersuchen. Eine Standardprozedur mit einem großen Nachteil: Man entdeckt dabei nur die Mikroorganismen, die im Labor auf einem Standardnährmedium kultivierbar sind. Und aus anderen Lebensräumen weiß man, dass das meist nur 0,1 bis 1 Prozent der vorhandenen Arten sind.

Wimmelndes Leben

Um möglichst viele der in den Reinräumen lebenden Bakterien zu finden, verwendeten die Wissenschaftler 30 verschiedene Nährmedien, alle mit unterschiedlichen Nährstoffen für die unterschiedlichen bakteriellen Bedürfnisse ausgestattet. Und zur Detektion von Mikroben, die selbst mit dieser Vielfalt nicht auffindbar sind, setzten sie zusätzlich spezielle DNA-Analysen ein.

Der Aufwand lohnte sich: 300 verschiedene Bakterienarten identifizierten die Forscher in den Herschel-Reinräumen. Auch ein alter Bekannter war dabei: Bacillus pumilus, der von seinem 18-monatigen Ausflug zur ISS wohlbehalten zurückgekehrt. Sein Überlebenstrick: Er kann sich verwandeln in ein winziges Überdauerungsstadium, eine sogenannte Spore. In dieser Form kann das Stäbchenbakterium lange Zeit ausharren – ohne Wasser, ohne Nährstoffe, auch in härtester Umgebung.

Die Sporen von Bacillus pumilus sind gut untersucht. Wissenschaftler haben sie mit giftigen Chemikalien übergossen, sie völlig austrockenen lassen, sie mit UV-Licht und ionisierender Strahlung malträtiert, extremem Druck und Temperaturen über 100 Grad Clesius ausgesetzt. Nichts davon konnte ihnen etwas anhaben. Hunderte oder gar Tausende von Jahren können Sporen so ausharren, völlig inaktiv. Doch schon etwas Wasser, ein paar Nährstoffe oder angenehme Temperaturen reichen, um sie aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken – und wieder in voll funktionsfähige Bakterien zu verwandeln.

Überleben im All

Könnte so ein kleiner Überlebenskünstler also womöglich unbemerkt mit zum Mars fliegen und dort überdauern? Um das herauszufinden, versuchen Wissenschaftler künstliche Marsbedingungen zu schaffen. Doch ESA-Forscher Gerhard Kminek sieht solche Versuche kritisch: „Meist werden nur Teile der Umwelteigenschaften des Mars simuliert“, meint er. „Zudem verwendet man bei vielen Versuchen Kulturmedien, also im Prinzip eine dicke Suppe, die es auf dem Mars keinesfalls gibt.“ Aber er räumt ein: „Es gibt Indizien, dass Mikroorganismen, die in Reinräumen vorkommen, bei Bedingungen überleben, wie man sie auf dem Mars vorfindet“.

Das heißt: Eine dünne Atmosphäre, die hauptsächlich aus Kohlendioxid besteht. Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht von bis zu 100 Grad Celsius. Kaum Schutz vor der Strahlung der Sonne. All das können Bakterien von der Erde womöglich aushalten, doch Nährstoffe gibt es auf dem Mars keine. Wovon sollen sie also leben?

„Die meisten Sporenbildner sind auf komplexe organische Moleküle angewiesen, um sich zu vermehren“, betont Christine Moissl-Eichinger von der Universität Regensburg. Die Mikrobiologin war entscheidend an der Herschel-Kampagne beteiligt und untersucht nun die gefundenen Mikroben. „Interessant sind vor allem Mikroorganismen, die keine organischen Nährstoffe benötigen, sondern von gasförmigem Kohlendioxid oder Stickstoff leben können“, sagt sie.

Nahrung auf dem Mars

Tatsächlich fanden die Forscher unter den 300 Reinraum-Bakterien sieben Gattungen, die in der Lage sind, sich von Kohlendioxid zu ernähren. Weitere acht können gasförmigen Stickstoff in eine organische, verwertbare Form überführen – und davon leben. Ein Bakterium, genannt Sanguibacter marinus, war sogar zu beidem fähig.

Organismen, die aus anorganischem Material Biomasse bilden können, nennt man Primärproduzenten. Auf der Erde erfüllen Pflanzen diese Funktion. Sie bilden Nährstoffe für alle anderen Lebewesen, die die Energie der Sonne nicht nutzen können. Würden Bakterien diese Rolle auf dem Mars übernehmen, könnten sie anderen Organismen die Pforte öffnen, indem sie selbst unter den extremen Bedingungen dort für Nahrung sorgen. ■

NADINE ECKERT, Biologin und bdw-Redakteurin, ist fasziniert von der Idee, dass Organismen von der Erde auf anderen Planeten überleben könnten.

von Nadine Eckert

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