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Der optimierte Killer

Allgemein

Der optimierte Killer
Bislang waren Menschen durch das Vogelgrippe-Virus kaum in Gefahr. Jetzt haben Forscher ein mutiertes Virus gezüchtet, das auch Säugetiere infizieren kann.

Es gibt ein für Menschen außerordentlich gefährliches Virus. Das einzige, was den Krankheitserreger bisher davon abhält, Hunderttausende oder gar Millionen Menschen zu töten, ist seine Unfähigkeit, von Mensch zu Mensch zu springen. Doch Forscher haben an dem Virus herumgebastelt und ihm so die notwendigen Eigenschaften verliehen, um ein wirklich effizienter Menschen-Killer zu werden. Und viele ihrer Kollegen sagen dazu: Ja, das ist zwar nicht ungefährlich, aber trotzdem richtig.

Was ist geschehen? Die Hauptbeteiligten sind ein Vogelvirus aus China und Forscher, die in China, den Niederlanden und den USA arbeiten. Das Virus H5N1 ist für Menschen ein echter Killer: Wer infiziert ist, hat nur eine Chance von etwa 50 Prozent, die Krankheit zu überleben. Aber glücklicherweise schafft dieses Influenza-Virus den Sprung von Vögeln auf Menschen kaum und von Mensch zu Mensch ist es noch schwieriger. Deshalb haben sich nach WHO-Angaben bis April 2013 nur 628 Menschen – vor allem Geflügelzüchter und -händler in Asien – mit dem Erreger infiziert. Allerdings starb über die Hälfte von ihnen an der Infektion.

Riskante Manipulationen

Was aber wäre, wenn H5N1 die Fähigkeit bekäme, von Mensch zu Mensch zu springen – durch eine Tröpfcheninfektion wie bei den anderen alljährlichen Grippe-Epidemien? Welche Gene müssten sich dazu wie verändern? Diese Fragen trieben vor einigen Jahren die Virusforscher um Ron Fouchier vom niederländischen Erasmus Medical Center in Rotterdam um. Sie begannen, die Viren zu manipulieren, um ihnen eben jene Eigenschaften zu verleihen.

Dieses Experiment fand nicht etwa heimlich statt, sondern öffentlich, und wurde mit staatlichen Fördergeldern der USA unterstützt. „Und es gab schon vorher ähnliche Versuche, die auch veröffentlicht wurden, zum Beispiel am staatlichen US-Seuchenforschungsinstitut CDC“, sagt der Influenza-Forscher Hans Dieter Klenk, emeritierter Professor am Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg.

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unterschätzte Gefahr

Außerhalb von Fachkreisen fanden diese Arbeiten wenig Beachtung, und auch unter den Wissenschaftlern regte sich kaum einer darüber auf. Virus-Forscher verändern oft im Labor die Virus-Moleküle, die für Infektion und Krankheitsausbruch wichtig sind, um zu verstehen, wie die Viren funktionieren. Doch was das Team von Fouchier gemacht hatte, war zuvor noch nie versucht worden.

Als Fouchier seine Arbeiten auf einer Konferenz in Malta im Herbst 2011 zum ersten Mal vorstellte, gab er nicht nur seine Ergebnisse bekannt, sondern kommentierte sie zudem vollmundig: „ Ich habe die Viren mutiert, was das Zeug hält“ und dabei Viren kreiert, „die wahrscheinlich zu den gefährlichsten gehören, die man erschaffen kann“. Er habe ein Virus erzeugt, das leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sei und mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod führe, sagte Ron Fouchier später dem Fachblatt Science.

Fünf Mutationen bis zum Killer

Demnach war es erschreckend einfach, das Virus zu verändern. Fouchier und sein Forscherteam hatten eine Kombination aus moderner Gentechnik und klassischer Biologie verwendet. Lediglich fünf Mutationen im Erbgut des Virus reichten aus, um ihn zum potenziellen Menschen-Killer zu machen. Zuerst veränderten die Forscher das Gen für Hämagglutinin. Mithilfe dieses Proteins heften sich die Influenza-Erreger an große Membran-Eiweiße von Zellen der oberen Atemwege, um dann in diese Zellen einzudringen. Die Membran-Eiweiße, die den Viren als Andockstellen dienen, sind bei Vögeln anders konstruiert als bei Säugetieren.

In einem zweiten Schritt veränderte das Forscherteam ein Gen, das an der Vermehrung der Viren beteiligt ist. Diese Veränderung ermöglichte es den Krankheitserregern, sich auch in den kühleren Zellen von Säugern zu vermehren. Vögel haben keine konstante Körpertemperatur von 37 Grad Celsius wie Säugetiere, sondern ihre Temperatur schwankt im Bereich zwischen 38 und 42 Grad Celsius.

Anfangs vermuteten Ron Fouchier und seine Kollegen, dass diese beiden Schritte ausreichen würden, und infizierten Frettchen mit den mutierten Viren. Die kleinen Marder gehören zu den Standard-Labortieren der Influenza-Forscher, da sie ähnlich wie Menschen auf die Viren reagieren. Doch die Wissenschaftler hatten sich geirrt: Die Viren vermehrten sich in den Frettchen nicht besser als unveränderte H5N1-Viren und sprangen auch nicht von einem Tier zum anderen.

Daraufhin machten die Forscher „etwas richtig, richtig Dummes“ , wie Fouchier auf der Konferenz in Malta erklärte. Die Virologen übertrugen die mutierten Viren direkt auf die Atemwege der Frettchen. Nach vier Tagen töteten sie die Tiere und übertrugen einen Extrakt aus Nasenschleimhaut- und Lungenzellen auf andere Frettchen.

Diese Prozedur führten sie zehnmal durch – in der Hoffnung, dass die Viren in den Frettchen weiter mutieren würden, und am Ende Viren herauskämen, die sehr gut an Säugetiere angepasst sind – eine Art Express-Evolution im Labor. Nach der zehnten Übertragung infizierten sie wieder Frettchen mit einem Schleimhautextrakt und setzten deren Käfige neben die Käfige von nicht infizierten Mardern – gerade so weit voneinander entfernt, dass die Tiere sich nicht direkt berühren konnten. Und diesmal ging ihre Rechnung auf. Nach einigen Tagen zeigten auch die ursprünglich nicht mit dem Virus infizierten Frettchen die typischen Anzeichen von Grippe: Sie waren lethargisch, hatten keinen Appetit und struppiges Fell. Eines der Tiere starb, aber die anderen überlebten.

nach drei tagen waren alle tot

Um das volle Killerpotenzial des Mutanten-Virus zu testen, übertrugen die Forscher die neuen Viren direkt in die Atemwege von sechs gesunden Frettchen. Nach drei Tagen waren alle tot oder lagen im Sterben. Gen-Untersuchungen zeigten: Es waren nur Änderungen an fünf Aminosäuren notwendig gewesen, um dem Virus den Sprung von Säugetier zu Säugetier beizubringen.

Hatten die Forscher mit ihren Versuchen eine neue tödliche Biowaffe geschaffen? Würde eine Veröffentlichung ihrer Versuchsmethoden Terroristen eine Gebrauchsanleitung an die Hand geben? In den USA schaltete sich das National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) ein. Das Biosicherheitsgremium war nach den Terrorakten 2001 geschaffen worden, als nach den Anschlägen auf das World Trade Center Umschläge mit Milzbrand-Erregern bei Politikern auftauchten. Das NSABB berät die US-Regierung in Fragen der biologischen Sicherheit und entwirft Strategien, wie man mit gefährlichen Krankheitserregern umgehen soll – vor allem mit solchen, die sich in falschen Händen leicht missbrauchen lassen.

Steuergelder für Terrorwaffen?

Die USA hatten bisher die Arbeiten von Fouchier und anderen H5N1-Forschern finanziell unterstützt. Jetzt sah das NSABB die Gefahr, dass hier mithilfe von US-Steuergeldern Informationen in die Welt entlassen werden, die die Sicherheit der USA gefährden. Das Gremium versuchte daraufhin, die Veröffentlichung in den beiden führenden Wissenschaftsmagazinen Nature und Science zu verhindern. Fouchier und 38 weitere H5N1-Forscher reagierten rasch und verkündeten ein freiwilliges Moratorium von 60 Tagen, während dem sie ihre Arbeit an den Influenza-Viren ruhen lassen würden. Aus den 60 Tagen wurde schließlich ein Jahr. Für Fouchier ist der Verdacht, dass er eine Bauanleitung für Terroristen geschaffen haben könnte, völlig unsinnig: „Bio-Terroristen können das Virus nicht herstellen, dazu ist es zu komplex. Man braucht dafür eine Menge Expertenwissen. Und Schurkenstaaten, die die Kapazitäten haben, es zu tun, brauchen unsere Informationen nicht.“

Virus mit Biowaffen-potenzial

Auch der deutsche Virologe Alexander Kekulé, Professor für medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, erkennt keine besondere Gefahr, vor allem da es für Bösewichte einfachere Alternativen gibt: „Das Influenza-Virus, also das normale Grippe-Virus, ist das gefährlichste Virus mit Biowaffen-Potenzial. Man kann das Virus bei jeder Influenza-Saison einsammeln, wenn man will. Es wird ja nicht bewacht. „Selbst wenn die Versuche von Fouchier Terroristen helfen könnten, hält Kekulé es nicht für sinnvoll, die Experimente unter Verschluss zu halten, wie es das NSABB vorhatte: „Wissen bahnt sich immer seinen Weg. Wenn man Forschungsergebnisse geheim halten würde, hätte das zur Folge, dass die Wissenschaftler in den staatlichen Einrichtungen unwissend sind, während andere Leute mit bösen Absichten doch irgendwie an die Informationen herankämen. Mit Geheimhaltung würden wir nur unsere Abwehr schwächen, ohne dass potenzielle Angreifer wirklich tangiert wären.“

Trotz allem bleibt die Frage: Ist eine solche Forschung eine kluge Idee? „Ja!“, meint der Mikrobiologe Jörg Hacker, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale. „Weil sie für die Grundlagenforschung und die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe gegen die Vogelgrippe wichtig ist.“

Sein Kollege, der Marburger Virologe Klenk geht noch weiter: „ Gefährliche Erreger können wir nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn wir verstehen, worauf deren Fähigkeit beruht, Krankheiten auszulösen. Daher müssen wir die Pathogenität experimentell verändern, auch wenn dies mit einem erhöhten Gefahrenrisiko einhergeht.“

Nach Klenks Meinung hat es sich bisher für die Menschheit gelohnt, solche Risiken einzugehen: „Mit der Isolierung des Milzbrand-Erregers Bacillus anthracis hat Robert Koch die Bakteriologie als die wahrscheinlich erfolgreichste Disziplin der Medizin gegründet.“ Gleichzeitig hatte man damit einen Erreger mit Biowaffen-Potenzial in den Händen, was später auch wiederholt ausgenutzt wurde. „Trotzdem hat niemand Koch die Erforschung des Milzbrand-Erregers verboten“, sagt Klenk – „zum Glück!“

Andere Virus-Forscher sind da jedoch skeptischer. „Ich bin überhaupt nicht vom Nutzen dieser Forschung überzeugt“, sagt zum Beispiel Simon Wain-Hobson, Professor für Virologie am Pasteur-Institut in Paris. „Wir nicht- militärischen Forscher sind doch nicht dafür da, die mikrobielle Welt noch gefährlicher zu machen.“

Es gibt keine Garantie

„Hohes Risiko und geringer Nutzen“, kommentiert Thomas Inglesby, Arzt und Direktor des Zentrums für Biosicherheit an der University of Pittsburgh die Forschung: „Es gibt keine Garantie, dass solch ein tödlicher Vogelgrippe-Stamm nicht versehentlich aus dem Labor entwischt. Die Sicherheitsbilanz der meisten Hochsicherheitslabore ist zwar hervorragend. Es gibt kaum Unfälle, und das Risiko, dass versehentlich infizierte Mitarbeiter große Teile der Bevölkerung mit den Krankheitserreger anstecken, ist vernachlässigbar. Das liegt aber auch daran, dass nur sehr wenige Erreger so leicht übertragbar sind wie Influenza.“

Auch das Argument, dass die Influenza-Mutanten aus dem Labor bei der Entwicklung von Impfstoffen helfen werden, will Inglesby nicht gelten lassen: „Natürlich brauchen wir neue Influenza-Impfstoffe, aber es ist doch völlig unklar, ob ein Impfstoff gegen dieses Virus aus dem Labor auch gegen einen natürlich entstandenen H5N1-Pandemie-Stamm helfen würde.“

Das Wissen ist in der Welt

Anfang dieses Jahres ist das freiwillige Moratorium abgelaufen. Science und Nature haben die Ergebnisse von Fouchier und Kollegen veröffentlicht. Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich dafür ausgesprochen. Das NSABB hat die meisten seiner Einwände gegen eine Publikation fallen gelassen und nur ein paar Verschärfungen im bürokrati- schen Prozedere durchgesetzt. Das Wissen ist nun in der Welt. Und die Forschungen gehen weiter. In Nordchina hat der Virologe Chen Hualan vom Harbin Veterinary Research Institute gerade mutierte Mischformen des Vogelgrippe-Erregers H5N1 und des hochinfektiösen, zwischen Menschen übertragbaren Influenza-Virus H1N1 hergestellt. H1N1 war für die Spanische Grippe von 1918 verantwortlich, die damals vermutlich weltweit über 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Das neue Mischlingsvirus aus China kann problemlos Meerschweinchen befallen, die Chen Hualan statt Frettchen verwendet.

Nach all der Aufregung hat Fouchier sein Supervirus sprachlich entschärft. In seinen Schilderungen ist es nun nicht mehr so tödlich, wie er noch Ende 2011 auf Malta großspurig berichtete. Doch eindeutige, möglichst weltweit geltende Regeln, unter welchen Sicherheitsbedingungen mit mutierten Influenza-Viren gearbeitet werden darf, gibt es weiterhin nicht. Selbst innerhalb der EU gelten in jedem Land andere Bestimmungen. ■

bdw-Norddeutschland- Korrespondent THOMAS WILLKE ist Diplom-Biologe und hat als Forscher selbst mit Viren-Genen gearbeitet.

von Thomas Willke

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