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„Weniger Vorschriften von der Politik“

Allgemein

„Weniger Vorschriften von der Politik“
Johann-Dietrich Wörner bestimmt seit 2007 die Geschicke des DLR, das sich über 16 Standorte bundesweit verteilt. Der studierte Bauingenieur und frühere Präsident der TU Darmstadt spricht über seine Ziele und die gesellschaftliche Bedeutung seiner Forschungseinrichtung.

bild der wissenschaft: Herr Professor Wörner, Sie bloggen – auch weil das schick ist?

Johann-Dietrich Wörner: Für mich ist das eine persönliche Kommunikationsform, mit der ich eine große Breite von Menschen erreiche, aber auch Themen ansprechen kann, die für eine Presseinformation zu unbedeutend sind und andererseits zu wichtig sind, um darüber hinweg zu sehen.

Und wie ist das Echo?

Ich kann mich über Reaktionen nicht beklagen, speziell bei Blogs, in denen ich zur Rolle der EU Stellung beziehe.

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Was haben Sie durch die Blogs gelernt?

Ich schreibe alle Blogs selbst. Denn das heißt, mir zu überlegen, welche Botschaft ich übermitteln möchte. Neben dieser Wirkung nach außen helfen sie mir, meine Gedanken zu sortieren. Und sie helfen, Erlebtes zu verarbeiten und es so im Gehirn abzuspeichern, dass man die Erlebnisse später in den richtigen Zusammenhang bringen kann.

Der DLR-Etat für Forschung und Technologie (FuT) liegt bei jährlich etwa 800 Millionen Euro. Hinzu kommt das von der DLR verwaltete Raumfahrtbudget Deutschlands, das gut 1,2 Milliarden Euro umfasst. Was haben die Steuerzahler davon?

Gut 400 Millionen Euro des FuT-Budgets werben wir im Wettbewerb ein. Hier stellt sich nicht die Frage, ob wir mit dem Geld etwas Vernünftiges anfangen – das ist selbstverständlich, sonst würde man das Geld ja nicht bereitstellen. Die anderen 400 Millionen Euro, die wir als institutionelle Förderung bekommen, unterliegen einer regelmäßigen Prüfung. Alle fünf Jahre werden unsere Institute und die Programme evaluiert. Damit ist formal sichergestellt, dass das Geld vernünftig ausgegeben wird. Ich bin überzeugt, dass die Arbeit des DLR wesentliche Beiträge liefert, um Fragen der globalen Herausforderung zu beantworten – bei Energie, Klimawandel, Ressourcen, Gesundheit, Sicherheit. Ich behaupte, dass die Steuermittel bei uns sehr gut eingesetzt sind.

Über die mehr als eine Milliarde Euro, die in die Raumfahrt fließen, haben Sie bisher noch nicht gesprochen.

Der größte Teil des Raumfahrtbudgets unterstützt europäische Missionen. Dadurch wird sichergestellt, dass die deutsche Raumfahrt auf international hohem Niveau aktiv ist, sei es in der Trägertechnologie, Erdbeobachtung, Robotik oder Forschung in Schwerelosigkeit. Der kleinere Teil geht im nationalen Raumfahrtprogramm auf. Diese Investitionen, national wie international, sichern den Hochtechnologiestandort Deutschland.

Im Mai haben Sie in Augsburg ein neues Zentrum für Produktionstechnologie im Leichtbau eröffnet. Damit rücken Sie der Fraunhofer-Gesellschaft auf die Pelle.

Sowohl in Augsburg als auch in Stade sind DLR und Fraunhofer beim Thema Produktionstechnologie für neue Materialien gemeinsam unterwegs. Fraunhofer ist daher für uns in erster Linie Partner und nicht Wettbewerber. Solche Kooperationen streben wir künftig verstärkt an. Denn für mich ist der zentrale Ansatzpunkt der deutschen Wissenschaftspolitik, es zu schaffen, aus dem vielen Wissen, das wir an verschiedenen Stellen haben, und der guten Wissenschaft eine lückenlose Innovationskette bis hin zu Produkten herzustellen. Das kann man linear sehen – beginnend bei der Grundlagenforschung und endend bei der Produktionstechnologie im selben Gebiet. Wir können es aber auch in Querverbindungen betrachten, etwa das Übertragen von Ergebnissen aus der Raumfahrt in die Medizin. Die programmorientierte Förderung steuern wir beim DLR so, dass wir stets das Ergebnis im Blick haben. Die Institutsdirektoren, die alle auch Universitätsprofessoren sind, müssen nicht nur gute Wissenschaft betreiben, sondern mit den genehmigten Finanzmitteln auch termintreu und ergebnisorientiert zurechtkommen.

Vor der Leitung des DLR waren Sie Präsident der TU Darmstadt. Was ist der Unterschied zwischen der Führung einer Universität und der Führung eines großen Forschungszentrums?

In beiden Fällen hat man es mit der Welt der Akademiker zu tun. Die Gehälter sind zwar ähnlich, doch was die Führung betrifft, unterscheidet sich mein jetziger Posten sehr von dem an der Hochschule. In Darmstadt gab es rund 300 Professorinnen und Professoren. Jeder konnte sich in seinem Gebiet relativ frei bewegen. Unsere 32 Institutsleiterinnen und -leiter sehen sich dagegen stark als Teil eines Forschungszentrums und verhalten sich eher so wie die Führungskräfte eines Unternehmens.

Sie sind jetzt mit 59 seit sechseinhalb Jahren Chef des DLR, könnten also dort noch einige Jahre etwas bewegen. Wo hätten Sie das DLR am Schluss Ihrer Amtszeit denn gerne?

Ich wünsche mir, dass es dann gelungen ist, allen unseren Instituten dieselbe Ausstrahlung zu geben: ein einziges DLR zu sein und wissenschaftliche Ergebnisse zu erzeugen, die relativ bald ihre Wirkung entfalten. Und dass es gelungen ist, eine größere Selbstständigkeit von der Politik zu erreichen, indem wir von dort zwar strategische Vorgaben erhalten, auf dem Weg zum Ziel aber auch weniger Vorschriften oder gar starre Regeln bekommen. In bin sicher, dass wir deutlich besser aufgestellt wären, wenn wir mit mehr Eigenverantwortung handeln könnten. Ein Beispiel: Wenn wir eine Firma aus dem DLR ausgründen wollen, ist das sehr aufwendig. Da brauchen wir Genehmigungen unseres Senats, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums.

Wie viele Ausgründungen hatten Sie seit 2010 denn konkret?

Seit Januar 2010 gab es elf erfolgreiche Firmenausgründungen. Die jungen Unternehmen werden bei dem Prozess durch den Bereich Technologiemarketing des DLR begleitet.

2013 hat das DLR ein Büro in Tokio eröffnet. Andere Büros unterhalten Sie in Paris, Washington und Brüssel. Will das DLR bald Institute im Ausland gründen?

Wir haben natürlich zuerst ein nationales Interesse. Dennoch ist Internationalisierung für uns ein wichtiger Punkt. Wenn wir etwa in den USA die NASA als Partner haben, in Paris die europäische Weltraumagentur ESA oder in Japan die Raumfahrtagentur JAXA, bringt uns das voran. Dass wir ein Büro in Japan errichten, hat damit zu tun, dass das DLR mit dortigen Wissenschaftsorganisationen bei vielen Forschungsthemen seit Jahren sehr gut zusammenarbeitet – und auch ein wenig damit, dass ich in meiner eigenen Forscherkarriere längere Zeit in Japan gearbeitet habe. Was die Gründung von Instituten angeht, sind wir zurückhaltend, weil es da auch um die Förderung anderer Volkswirtschaften durch deutsche Steuermittel geht. Andererseits sind wir im südspanischen Almeria seit vielen Jahren in der Solarforschung aktiv. Und wir haben Forscher in der Antarktis, weil die geografischen Bedingungen dort hervorragend für den Datenempfang von polar umlaufenden Satelliten sind. Doch wir prüfen auch in mehreren Ländern weitergehende Einrichtungen.

Bei Forschungseinrichtungen wird oft darüber gestöhnt, dass gute Wissenschaftler in die Industrie wechseln, weil sie dort besser bezahlt werden. Leidet auch das DLR darunter?

Natürlich stehen wir bei den Einstellungsverhandlungen im Wettbewerb mit der Industrie. Aber wir stöhnen nicht darüber. Und wenn DLR-Mitarbeiter in die Industrie gehen, ist das gut für Deutschland. Da wir von Steuermitteln bezahlt werden, ist alles, was gut für Deutschland ist, auch gut für das DLR. Im Übrigen bauen wir gerade ein Netzwerk auf, um mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern engen inhaltlichen Kontakt zu halten. Wenn jemand vom DLR überzeugt ist und zu einem Unternehmen wechselt, ist das ja nicht das Schlechteste für uns und sorgt vielleicht für neue Forschungsimpulse.

Welche Nähe hat das DLR zu Airbus und Boeing? Oder schließt sich eine Zusammenarbeit mit beiden Partnern aus?

Da die beiden Unternehmen harte Wettbewerber im Markt sind, ist es tatsächlich schwierig, mit beiden gleichzeitig zusammenzuarbeiten. Wir beim DLR sind sehr stark auf die Zusammenarbeit mit Airbus und mit dem europäischen Hubschrauberhersteller Eurocopter orientiert. Ich glaube aber, dass es für uns sinnvoll ist, auch eine Kooperation mit Boeing anzugehen.

Wären Sie dabei frei – oder würden Sie aus Berlin zurückgepfiffen?

Es könnte jemand zu pfeifen versuchen. Zwar unterliegen wir als Forschungseinrichtung nicht der Fachaufsicht, sondern nur der Rechtsaufsicht. Es könnte aber passieren, dass wir im nächsten Mittelbescheid erfahren, dass eine geplante Zusammenarbeit auf Airbus zu beschränken ist.

Welchen Beitrag liefert das DLR zu einem umweltverträglicheren Flugverkehr?

Das öko-effiziente Fliegen ist ein zentraler Punkt unserer Forschungsanstrengungen. Und zwar über die ganze Kette des Lufttransportsystems: Verbesserung der Flugzeuggeometrie, Verringerung der Widerstände beim Fahrwerk, sauberes Verbrennen in den Triebwerken, Ersetzen von Kerosin durch umweltverträglichere Treibstoffe – da sind wir weltweit sehr gut. Und das wird im Rest der Welt auch so gesehen. Das gilt natürlich auch für das Megathema Verringerung des Fluglärms, zu dem wir schon viele Beiträge geleistet haben.

Anders als bei der Luftfahrt tauschen Sie sich sehr oft mit US-Vertretern der Raumfahrt aus – etwa mit dem NASA-Chef Charles Bolden. Welche Rolle spielt das DLR bei der Entwicklung künftiger US-Raumfahrtsysteme?

Die Kooperationen nehmen zu.

Hervorgerufen durch die Mittelknappheit der Amerikaner?

Hervorgerufen durch die Kompetenz der Deutschen – und durch den politischen Willen der USA, international zu kooperieren …

Also dann doch finanzielle Engpässe der USA?

Klar, so viele Mittel wie zu Zeiten des Kalten Kriegs stehen der US-Raumfahrt nicht mehr zur Verfügung. Andererseits hat Barack Obama gesagt: Ich will eine internationale Kooperation. Wir sind in mehreren Bereichen mit den Amerikanern aktiv – zum Beispiel bei einem Strahlungsmessgerät auf dem Marsrover Curiosity, und wir mischen wohl auch bei der nächsten Mars-Mission mit. Und nicht zu vergessen die mögliche Beteiligung am künftigen amerikanischen Orion-Raumschiff mit Steuer- und Antriebstechnologie aus Europa, speziell aus Deutschland.

Wo steht die deutsche Raumfahrt?

In der Erdbeobachtung sind wir spitze. In der Weltraumrobotik sind wir hervorragend. Im Bereich Navigation/Kommunikation sind wir ganz weit vorne. Bei der bemannten Raumfahrt stellen Deutsche allerdings rasch die Frage nach dem Sinn. Diese Frage ist in Ordnung – und wir können sie mit mittelbarem und unmittelbarem Nutzen in vielen Bereichen, etwa der Medizin, beantworten. Doch wir sollten die Sinnfrage nicht nach dem Motto stellen: „Lohnt sich das am nächsten Tag?“. Die Zukunftssicherung der Bundesrepublik Deutschland hängt auch davon ab, ob wir der Neugier Raum geben. Die Neugier ist der Anfang, um Neues zu entdecken. Der Mensch ist von Geburt an neugierig. Viele glauben heute, Neugier durch rationales Handeln ersetzen zu müssen. Doch die Menschheit hat sich dadurch entwickelt, dass einige Individuen weiter geblickt, die Höhle verlassen oder den Ozean überquert haben. Auch heute steigen Menschen auf den Mount Everest oder gehen zum Südpol, was ihnen zunächst einmal keinen Vorteil bringt. Deshalb werden Menschen in diesem Jahrhundert auch den Mars betreten. Doch die bemannte Raumfahrt hat auch praktische Anwendungen. Für die Medizin ist ein Mensch in der Schwerelosigkeit ein interessantes Testobjekt, etwa im Hinblick auf sein Immunsystem, seinen Salzhaushalt, seine Skelettfunktionalität.

Astronauten machen also, was auf der Erde nicht gut angesehen ist: Sie stellen ihr Leben für Versuchszwecke zur Verfügung.

Ja. Es sind aber nicht Versuche, dem Menschen zu schaden. Sondern es geht darum, einzelne Parameter zu verändern und so der Menschheit zu dienen.

Nun bitten wir Sie noch um drei Statements zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Als Erstes: Wird die deutsche Energiewende gelingen?

Deutschland wird den Weg zu einer neuen Art der stabilen Energieversorgung schaffen. Ich glaube, dass wir dennoch gut daran tun würden, nuklearen Müll nicht unrückholbar zu lagern. Wer weiß, was künftige Generationen damit anzufangen wissen.

Wo stehen wir bei der Entwicklung leistungsfähiger Energie- und Stromspeicher?

Das Hochpumpen von Wasser in ein offenes Speicherbecken und die spätere Stromerzeugung durch Turbinen ist für Deutschland aufgrund der geografischen Gegebenheiten weitgehend ausgereizt. Die Entwicklung wirklich leistungsfähiger Batterien steckt noch in den Anfängen. Ich sehe die chemische Speicherung von Energie – etwa durch Wasserstoff – als zukunftsträchtig an. Für Solarkraftwerke sehe ich thermische Speichermöglichkeiten etwa durch reversible chemische Reaktionen.

Was erhoffen Sie sich von der Bundestagswahl?

Dass das künftige Parlament und die Regierung den Forschungseinrichtungen mehr Autonomie geben. Dass das Thema einer lückenlosen Innovationskette wirklich substanzieller Teil der Wissenschaftspolitik wird. Und dass die Chancen des DLR, gleichzeitig Raumfahrtagentur und Forschungszentrum zu sein, deutlicher gesehen und geschätzt werden. (

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

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