Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Gravitationswellen aus Neutronenstern-Crash

Redaktion - bild der wissenschaft

Gravitationswellen aus Neutronenstern-Crash


Galaxie NGC 4993 aufgenommen von verschiedenen Teleskopen der Europäischen Südsternwarte ESO mit der Kilonova  AT 2017gfo links über der Elliptischen Galaxie im Bildzentrum. (Foto: VLT/VIMOS. VLT/MUSE, MPG/ESO 2,2-m/GROND, VISTA/VIRCAM, VST/OmegaCAM)

Die Signatur einer Kilonova

„Es war die Signatur einer Kilonova“, sagt Ken Chambers, Direktor des Pan-STARRS-Observatoriums auf Hawaii und meint damit eine Erscheinung, die rund die 1000-fache Helligkeit einer gewöhnlichen Nova besitzt, aber nicht an eine Supernova herankommt. „Es ist eine seltene Gelegenheit, wenn ein Wissenschaftler Zeuge des Beginns einer neuen Ära wird.“

Ein halber Tag nach der Kollision war die Trümmerwolke rund 8000 Grad Celsius heiß, so kann man aus der Farbe der optischen Emission schließen. Ihr Durchmesser entsprach der der Neptun-Bahn im Sonnensystem. Sie war so hell wir 100 Millionen Sonnen und dehnte sich fast mit einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit aus. Dabei kühlte sie sich ab, wurde röter und lichtschwächer. Zehn Tage später hatte sie nur noch die Leuchtkraft einer Million Sonnen.

„Es war eine Überraschung, wie genau das Verhalten der Kilonova den Voraussagen entsprach“, sagt Nial Tanvir von der University of Leicester. Er hat AT 2017gfo wie auch andere Astronomen-Teams mit dem Hubble-Weltraumteleskop studiert. Dieses hatte bereits 2013 Indizien für Kilonovae als Relikte von Gammablitzen gefunden. Doch erst jetzt darf der Zusammenhang als gesichert gelten.


Die Galaxie NGC 4993 mit der Kilonova AT 2017gfo am 17. August 2017 und zwei Wochen später, aufgenommen mit der Dark Energy Camera am Blanco-Teleskop in Chile. (Foto: GW-EM Collaboration, DES Collaboration, E. Berger)

Anzeige

Spät zur Party

Überraschend war, dass sich zunächst keine Röntgenstrahlung zeigte. Erst neun Tage nach der Kollision wurde das Weltraumteleskop Chandra fündig. „Zuerst war die Strahlung sehr schwach, aber nach etwa zehn Tagen wurde sie plötzlich sehr intensiv“, sagt John J. Ruan vom McGill Space Institute in Montreal.

Noch länger dauerte es, bis Radiowellen gemessen wurden. Zuerst am 2. September vom Very Large Array in New Mexico, dann auch vom Australia Telescope Compact Array (ATCA) bei Narrabri in New South Wales und vom MeerKAT-Teleskop in Südafrika.

„Die Radiostrahlung kam spät zur Party, wird sie aber als Letztes verlassen“, meint Gregg Hallinan vom Caltech. „Die Story, die sich gerade entfaltet, ist vollständiger als die jedes früheren Ereignisses in der Geschichte der Astronomie.“

Gewinkelter Jet

Auch wenn bislang viele Einzelheiten unklar sind und die Auswertung des GW170817-Ereignisses Astrophysiker wahrscheinlich noch Jahre beschäftigen wird, zeichnet sich doch bereits ein konsistentes Szenario ab. Und das ist keine Selbstverständlichkeit, spielen hier doch ganz disparate Phänomene zusammen: gravitative, elektromagnetische und nukleare.


Blick aus dem All ins All: Die Galaxie NGC 4993 mit der Kilonova AT 2017gfo, aufgenommen mit dem Hubble-Weltraumteleskop. Deutlich sichtbar ist, wie schnell die Helligkeit abnahm. (Foto: NASA, ESA, A. Levan/U. Warwick, N. Tanvir/U. Leicester, A. Fruchter, O. Fox/STScI)

Die beiden Neutronensterne sind wahrscheinlich schon vor über elf Milliarden Jahren aus Supernova-Explosionen entstanden. Damals war das Universum erst zwei Milliarden Jahre alt. Seitdem haben sie sich umkreist und sind sich allmählich näher gekommen. Die Ursache dafür: die Abstrahlung von Gravitationswellen. Solche Doppelsysteme aus Neutronensternen gibt es auch in der Milchstraße (ein Dutzend ist bekannt, doch keines davon wird in den nächsten Jahrhundertmillionen kollidieren!). Tatsächlich wurde bei ihnen erstmals indirekt die Existenz von Gravitationswellen erschlossen – eben weil ihre Umlaufbahn so schrumpfte, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie zu berechnen erlaubt.

Obwohl GRB 170817A der nächstgelegene Gammablitz überhaupt ist, den Astronomen kennen, war er nicht heller als viele andere – oder, anders gesagt, rund 100.000 Mal weniger leuchtkräftig als im GRB-Durchschnitt. Das bereitete den Forschern großes Kopfzerbrechen. Daraus, aber auch aus der erst spät aufgetauchten Röntgen- und Radiostrahlung, schließen sie, dass Fermi und INTEGRAL gar nicht direkt in den Jet blickten, der strahlenkegelartig in entgegengesetzte Richtungen vom Kollisionsort entwichen ist. Vielmehr dürfte die Achse des Gammastrahls gar nicht direkt in Richtung Erde gedeutet haben, sondern besaß wohl einen seitlichen Winkel von etwa 30 Grad. Entsprechend gering fiel die Intensität des Gammablitzes aus.

Einstein erneut bestätigt

Dass GRB 170817A und GW170817 nicht exakt zeitgleich waren, ist auch nicht verwunderlich. Die Strahlung musste sich zunächst durch die dichte, expandierende Trümmerwolke kämpfen.

Trotzdem sind 1,7 Sekunden Abstand in der kosmischen Perspektive nicht nennenswert. Das wiederum ist für Theoretische Physiker von großer Bedeutung. Daraus können sie nämlich ableiten, dass sich – wie von Einstein vorausgesagt – Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit c ausbreitet (und somit auch die Gravitation insgesamt lichtschnell wirkt). Wäre das nicht der Fall, wäre die Allgemeine Relativitätstheorie widerlegt.

Die Koinzidenz von GW170817 und GRB 170817A lässt darauf schließen, dass die Abweichungen der Gravitationswellen von c allenfalls in der Größenordnung von 1 zu 10 hoch 15 liegen können. Kurzum: ein neuer Test der Allgemeinen Relativitätstheorie, den Einstein wie alle früheren bravourös bestanden hat.

Gold fällt vom Himmel

Beim Zusammenprall der Sternruinen wurde nicht nur die Raumzeit erschüttert, sondern ein Teil der Materie wurde davon geschleudert – vielleicht ein Prozent der Gesamtmasse des Systems. Diese extrem heiße Plasmawolke dehnte sich aus und kühlte sich dabei ab. Zunächst war die Materie so dicht und reich an Neutronen, dass es zu zahllosen nuklearen Reaktionen kam: Kernfusionsprozesse, bei denen schwere Elemente entstanden. Darunter die schwersten überhaupt in der Natur, bis hin zu Uran und Plutonium.


Elektromagnetische Gegenstücke: Das Nachleuchten des Crashs im Ultraviolett-, Infrarot- und Radio-Bereich, aufgenommen von den Teleskopen Swift, Gemini-South und Very Large Array. (Foto: Robert Hurt/Caltech/IPAC, Mansi Kasliwal/Caltech, Gregg Hallinan/Caltech, Phil Evans/NASA, GROWTH collaboration)

Schon länger nehmen Astrophysiker an, dass die Elemente schwerer als Eisen und Nickel nicht aus Supernovae stammen, weil diese Sternexplosionen nicht die dafür erforderlichen Dichten und Randbedingungen bereitstellen. Doch bislang konnte die Hypothese nicht getestet werden, dass die Karambolage von Neutronensternen die Fabriken dieser Element-Synthese sind. GW170817 hat das buchstäblich mit einem Schlag geändert.

Rund 10.000 Erdmassen an Materie ist dem Inferno entkommen. Darunter dürften jeweils eine Erdmasse Gold- und Platin-Atome sein. Eigentlich ein lukratives Geschäftsmodell für Goldsucher und Edelmetall-Spekulanten – doch unerreichbar für die irdische Habgier. LIGO-Direktor David Reitze hatte bei der Pressekonferenz die 100 Jahre alte goldene Taschenuhr seines Großvaters aus dem Jackett gezogen – das Gold davon, so meinte er, müsse aus einem kosmischen Crash stammen, der sich vor der Entstehung unseres Sonnensystems ereignet habe.

Dass sich tatsächlich schwere Elemente im Umfeld des GW170817-Crashs gebildet haben, können Astronomen nun bestätigen. Charakteristische Merkmale der gemessenen Spektren belegen es. Auch stammt die Energie der nachglühenden Kilonova hauptsächlich aus dem radioaktiven Zerfall der neu gebackenen Elemente.

„Die Quelle ist der Goldschatz am Ende des Regenbogens. Jetzt haben wir erstmals ein Gegenstück – Daten über das gesamte Spektrum –, die zeigen, dass Neutronensterne die Goldfabrik des Universums sind“, sagt Christopher Berry von der University of Birmingham.

Wie schnell expandiert das Universum?

Auch anderweitig – nämlich kosmologisch – werden sich künftig Signale wie GW170817 als äußerst nützlich erweisen. Weil die Gravitationswellen eine von der optischen Astronomie völlig unabhängige Entfernungsbestimmung erlaubt, können sich die Methoden gegenseitig ergänzen, stützen oder korrigieren. So hat Bernard Schutz, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam gezeigt, dass man mit Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen die Hubble-Konstante auf eine neue Weise ermitteln kann. Diese Größe beschreibt die Ausdehnungsrate des Weltraums. Sie ist ein Schlüsselfaktor zur Beschreibung der Dynamik unseres Universums; davon hängt beispielsweise die Bestimmung des Weltalters ab.

GW170817 und seine Lokalisierung in NGC 4993 als Ursprungsgalaxie ergab eine Hubble-Konstante von 70 (plus 12, minus 8) Kilometer pro Sekunde und Megaparsec (und mindestens 68,3). Das passt gut zu den aktuellen astronomischen Daten (vom Planck-Satellit ist der abgeleitete Wert 67,9 plus/minus 0,55). Diese sind allerdings nicht eindeutig und manchen Forschern zufolge sogar mit einem problematischen Widerspruch versehen. Messungen weiterer Gravitationswellen werden hier in einigen Jahren buchstäblich weitreichende Konsequenzen haben.


Lichtkurve der Kilonova AT 2017gfo in der Galaxie NGC 4993 in verschiedenen Wellenlängen im Lauf eines Monats. Im blauen Bereich nahm die Helligkeit stark ab, im roten und infraroten langsamer. (Grafik: N. Tanvir et al.)

Was bleibt?

Noch ist ungeklärt, was aus dem Kollisionsprodukt der beiden Neutronensterne wurde – ob es sich um einen kurz- oder langlebigen Neutronenstern handelt. Der Massenbereich ist nicht eindeutig, die Gravitationswellen verrieten auch nichts. (Ein längeres Nachzucken, Ringdown genannt, konnte nicht gemessen werden.) Und elektromagnetische Signale haben noch keinen Aufschluss ergeben. Entweder gibt es jetzt im Sternbild Wasserschlange einen der schwersten Neutronensterne überhaupt. Oder es hat sich ein Schwarzes Loch formiert, das dann das leichteste aller bekannten Schwarzen Löcher wäre.

Doch es gibt noch Chancen. Vielleicht verraten künftige Beobachtungen im Radiowellen-Bereich, was in der expandierenden Trümmerwolke steckt. Fest steht, und so lautet auch der letzte Satz der LIGO-Virgo-Veröffentlichung: GW170817 „markiert den Anfang einer neuen Ära der Entdeckungen“.

Zurück auf Seite 1

 

Zum Autor: Rüdiger Vaas ist Astronomie- und Physik-Redakteur von bild der wissenschaft. Im Kosmos-Verlag hat er die Bücher Jenseits von Einsteins Universum. Von der Relativitätstheorie zur Quantengravitation“ und „Signale der Schwerkraft“ veröffentlicht, die die Allgemeine Relativitätstheorie und die Gravitationswellen ausführlich erklären.

© wissenschaft.de – Rüdiger Vaas
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

freihal|ten  auch:  frei hal|ten  〈V. t. 160; hat〉 I 〈Zusammen– u. Getrenntschreibung〉 1 jmdm. einen Platz, Stuhl ~ bereit, unbesetzt halten, nicht besetzen lassen … mehr

Kul|tur|sze|ne  〈f. 19; unz.〉 Szene, Milieu, in dem sich ein Großteil der zeitgenössischen Kultur (Kunst u. Wissenschaft) abspielt ● in der internationalen ~ tätig sein; →a. Kultur … mehr

Ma|li|gnom  auch:  Ma|lig|nom  〈n. 11; Med.〉 bösartige Geschwulst … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige