Das Gehirn ist ein ausgesprochen teures Organ: Es verbraucht viel Energie und Sauerstoff. Damit steht das Denkorgan des Menschen in direkter Konkurrenz mit anderen Organen und Teilen des Körpers. Im Laufe der Evolution des Menschen hat sich allerdings das Preis-Leistungs-Verhältnis des Gehirns als günstig herausgestellt: Unsere kognitiven Fähigkeiten können letztlich für so viel Nahrung sorgen, dass sich die hohen Investitionskosten für das Gehirn rentieren. In diesem Zusammenhang besagt die sogenannte „selfish brain“-Hypothese: Das Gehirn stellt seinen eigenen Energiebedarf auch stets über den anderer Organe und auch über den der Muskeln.
Ruderer im Test
Um dieser These experimentell nachzugehen, haben Forscher um Danny Longman von der University of Cambridge eine Untersuchung mit 62 Elite-Ruderern der Hochschule durchgeführt. Die Teilnehmer absolvierten dazu zunächst einen anspruchsvollen Gedächtnistest, bei dem sie sich bestmöglich konzentrieren sollten, um sich Wörter einzuprägen. Die Leistung repräsentierte dabei die Anzahl der Wörter, die sie während eines bestimmten Zeitraums korrekt wiedergeben konnten. Beim zweiten Test sollten die jungen Männer ihre maximale Körperleistung hervorbringen: Ein Rudergerät erfasste diese innerhalb einer definierten Zeitspanne. Im dritten Test war dann Doppelbelastung angesagt: Die Teilnehmer sollten mit voller Kraft rudern und gleichzeitig den kognitiven Test bestmöglich absolvieren.
Die Auswertungen ergaben: Bei der Doppelbelastung durch das Rudern und Konzentrieren verringerte sich sowohl die physische als auch die mentale Leistungsfähigkeit der Probanden. Doch beim Ausmaß der Beeinträchtigung zeigte sich ein deutlicher Unterschied: Im Durchschnitt war der Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit um 29,8 Prozent höher als der Schwund bei der kognitiven Leistung, berichten die Wissenschaftler.
Das Gehirn gewinnt
Demnach bekommt das Gehirn den Zuschlag, wenn es mit den Muskeln in direkte Konkurrenz um den begrenzten Vorrat an Blutzucker und Sauerstoff eintreten muss, sagen Longman und seine Kollegen. Sie interpretieren dies als eine weitere Bestätigung der These vom selbstsüchtigen Gehirn. Möglicherweise könnte sich dies auch im konkreten Überlebenskampf unserer Vorfahren als günstig erwiesen haben: „Ein gut versorgtes Gehirn könnte bei Herausforderungen letztlich bessere Überlebenschancen geboten haben als üppig versorgte Muskeln“, so Longman.
Ihm zufolge steht dies im Einklang mit einem bereits bekannten Effekt, der ebenfalls die „selfish brain“-Hypothese bestätigt: „Die egoistische Natur des Gehirns zeigt sich auch bei Menschen, die an langfristiger Mangelernährung oder Hunger leiden oder bei Kindern, die mit bestimmten Wachstumsstörungen geboren werden: Bei der Körpermasse wird eingespart – an der Hirnmasse hingegen nicht“, sagt Longman. Unterm Strich vermittelt die Studie somit die Botschaft: Das Gehirn beziehungsweise der Verstand ist der kostbarste Besitz des Menschen.
Quelle: University of Cambridge, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-017-14186-2