Ob in der Familie, im Büro, auf der Straße oder auf dem Fernsehbildschirm: Jeden Tag schauen wir unzähligen Menschen ins Gesicht. Die Fähigkeit, dabei das Antlitz von Freuden, Familienmitgliedern und Bekannten wiederzuerkennen und zu unterscheiden ist für unser Sozialverhalten enorm wichtig. Kein Wunder daher, dass wir Menschen sogar ein eigenes Hirnareal für diese Aufgabe der Gesichtserkennung reserviert haben: Zwei kleine Zellklumpen in einer Windung des Schläfenlappens werden immer dann aktiv, wenn wir ein Gesicht vor uns sehen. Experimente zeigen, dass dabei sogar jeweils einzelne Neuronen für bestimmte erinnerte Personen zuständig sind. Sie feuern sofort, wenn wir das passende Gesicht wahrnehmen und ermöglichen uns so das sofortige Wiederkennen.
Schafe im Fototest
Doch wie sieht es mit dem Wiederkennen bei Tieren aus? Immerhin erkennen auch Hunde, Affen und andere Säugetiere ihnen bekannte Menschen wieder und reagieren auf diese vertrauten Personen entsprechend weniger scheu. Doch neben dem Gesicht könnten dabei viele andere Merkmale der Person auschlaggebend sein. Experimente mit Hunden scheinen allerdings darauf hinzudeuten, dass die Vierbeiner die Gesichter ihrer Herrchen oder Frauchen selbst dann identifizieren können, wenn sie diese nur auf einem Portraitfoto sehen. Affen scheinen sogar ähnliche Zentren der Gesichtserkennung im Gehirn zu besitzen wie wir, wie Forscher bereits vor einigen Jahren herausfanden.
Ob auch Schafe sich menschliche Gesichter merken und diese wiederkennen können, haben nun Franziska Knolle und ihre Kollegen von der University of Cambridge untersucht. „Schafe sind soziale Tiere, die andere Schafe, aber auch vertraute Menschen problemlos wiedererkennen“, erklären sie. „Elektrophysiologische Studien zeigen sogar, dass sie dabei neurale Netzwerke aktivieren, die denen bei Menschen und Affen sehr ähnlich sind.“ Aber können die Schafe menschliche Gesichter auch auf Fotos unterscheiden und wiedererkennen? Um das zu testen, unterzogen die Wissenschaftler acht Walisische Bergschafe einem Trainingsprogramm: Die Tiere lernten zunächst, dass sie immer dann eine Belohnung bekamen, wenn sie aus einem Bildpaar aus einem Objekt und einem Gesicht das Gesicht auswählten. Dann wurde es schwieriger: Die Schafe sollten sich vier Gesichter von Prominenten – Jake Gyllenhaal, Barack Obama, Fiona Bruce und Emma Watson – einprägen und dann wiedererkennen. Die Portraits dieser Prominenten wurden dabei jeweils mit einem in Hautfarbe und Geschlecht ähnlichen, aber den Schafen unbekannten Gesicht kombiniert.
Überraschend fortgeschrittene Gesichtserkennung
Das Ergebnis: Die Schafe lernten erstaunlich gut, sich die Gesichter der vier Prominenten einzuprägen. Im Test liefen sie in 71 bis 79 Prozent der Durchgänge auf das zuvor kennengelernte Portrait zu und ließen die ähnlichen Gesichter unbekannter Menschen links liegen. „Das ist signifikant mehr als nur zufällig“, betonen die Forscher. „Es belegt, dass sich Schafe menschliche Gesichter auf Fotos einprägen und sie wiedererkennen können.“ Um herauszufinden, wie gut diese Fähigkeit zur Erkennung menschlicher Gesichter bei den Schafen ist, machten Knolle und ihre Kollegen den Test in einem weiteren Durchgang noch schwerer: Sie zeigten den Schafen die Portraits nicht frontal, wie diese sie gelernt hatten, sondern leicht nach rechts oder links gedreht. Und tatsächlich: Selbst im Halbprofil lag die Trefferquote der wolligen Probanden noch immer bei 68 Prozent, wie die Forscher berichten.
„Damit haben wir gezeigt, dass Schafe fortgeschrittene Fähigkeiten zur Gesichtserkennung besitzen – vergleichbar denen von Menschen und Affen“, sagt Seniorautorin Jenny Morton. Die Schafe können sich nicht nur die Gesichter von ihnen unbekannte Menschen neu einprägen, sie erkennen diese sogar aus veränderter Perspektive noch. „Diese Fähigkeit war bisher nur beim Menschen nachgewiesen“, erklären die Forscher. Interessant war auch die Reaktion der Schafe, wenn sie im Test zum ersten Mal das Foto einer ihnen sehr vertrauten Person sahen: Das Tier musterte erst das Bild seines Hirten, dann das parallel dazu präsentierte Portrait eines Unbekannten. Erst dann schien es zu merken, dass das erste Foto das Abbild einer bekannten Person war und wählte dieses aus. Der Transfer von der gewohnten dreidimensionalen, realen Ansicht zum zweidimensionalen Bild klappte demnach zwar ohne Training, aber mit leichter „Denkpause“.