Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Glücklich durch Heirat – aber nur für ein Jahr

Allgemein

Glücklich durch Heirat – aber nur für ein Jahr
Was empfinden Menschen in Deutschland? Seit Jahren geht Professor Jürgen Schupp, Leiter der Längsschnittstudie „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), solchen Frage nach – mit überraschenden Einblicken.

bild der wissenschaft: Welche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat im SOEP die stärksten Spuren hinterlassen, Herr Professor Schupp?

Jürgen Schupp: Das herausragende Ereignis war die Wiedervereinigung. Unsere Befragungen dokumentieren in den Jahren 1990 bis 1992 bei den Menschen in Westdeutschland einen markanten Zuwachs an Lebenszufriedenheit. Gleichzeitig entwickelte sich eine wachsende negative Stimmung in den neuen Bundesländern – hervorgerufen durch die zunehmende Arbeitslosigkeit. Der „ Glückszuwachs“ im Westen verflüchtigte sich nach 1992 wieder.

Konnten Sie solche Stimmungsumbrüche auch nach der Einführung des Euro nachweisen?

Über das Ansteigen des Preisniveaus wurde zwar viel berichtet. Doch die Preisstatistik zeigte keinen flächendeckenden Anstieg – wie überhaupt die Einführung des Euro zu keinen messbaren Verhaltensänderungen führte. Zur Euro-Einführung selbst haben wir auch Fragen gestellt. Ergebnis: 56 Prozent der Menschen machten sich Sorgen im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Währung. Andererseits waren 70 Prozent der Menschen in Deutschland davon überzeugt, dass der Euro die Einheit Europas fördern würde. Anders war es bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die die Stimmung nachweislich veränderte. Hier hatten wir unmittelbar in unserem Fragebogen darauf reagiert und eine neue Frage über die Sorgen um die Stabilität der Finanzmärkte aufgenommen. Das Ergebnis der Befragung zeigte dann im Frühjahr 2009: 49 Prozent der Bürger fürchteten sich vor instabilen Märkten. In Westdeutschland war diese Sorge größer als in Ostdeutschland und bei Abiturienten größer als bei Menschen mit einer geringeren Bildung.

Anzeige

Das DIW, zu dem das SOEP und Sie gehören, leistet wissenschaftliche Politikberatung. Geben Sie demnach konkrete Handlungsempfehlungen?

Wir versuchen, aus unseren Daten Regelmäßigkeiten herauszulesen, und machen sie in Gutachten publik. Unser Anspruch ist, die Verwobenheit mit anderen Faktoren zu dokumentieren. Ein Beispiel: Wir zeigen auf, wie sich Stress im Arbeitsmarkt auf die Kinder der Beschäftigten auswirkt. Gesellschaftspolitisch bedeutsam ist es ja nicht nur, wie es den Vätern und Müttern ergeht, wenn sie arbeiten gehen oder arbeitslos werden. Sondern ebenso wichtig ist, wie sich das auf die Kinder auswirkt. Durch Studien wissen wir etwa, dass Kinder, die in qualitativ hochwertigen Kindertagesstätten betreut worden sind, im Schnitt einen höheren Bildungsabschluss erreichen als andere Kinder. Für unsere Politikberatung heißt das: Die Debatte gegen die breite Einführung von Kindertagesstätten haben wir als DIW versachlicht. Nach unseren Ergebnissen sind Investitionen in eine flächendeckende Qualität der Kindertagesbetreuung zugleich eine sinnvolle Förderung von Kindern in Deutschland.

Eine Charakteristik der SOEP-Erhebung ist es, dass dieselben Haushalte jedes Jahr befragt werden. Genau das markiert den Wert der Jahrzehnte umfassenden Längsschnittstudie. Entwickelt sich da ein persönliches Verhältnis zum Interviewer?

Dass man dem Interviewer die Hochzeitsfotos des Sohnes zeigt, der in den vergangenen Monaten geheiratet hat, kommt schon vor. Eine nette Anekdote: Die interviewten Haushalte werden für den damit verbundenen Zeitaufwand nicht bezahlt, sondern sie bekommen als Dankeschön für die Teilnahme ein Los einer gemeinnützigen Lotterie. Eines Tages wurde der anreisende Interviewer mit einer gut gekühlten Flasche Schampus begrüßt. Da musste erst einmal angestoßen werden. Denn das Los dieser Familie hatte gewonnen. Mögliche „Interviewer-Effekte“ analysieren wir statistisch. Dabei zeigt sich immer wieder, dass der Einfluss der Interviewer minimal ist.

Werden demnächst elektronische Methoden die persönlichen Interviews ersetzen? Wie steht es mit Online-Befragungen und mit der Auswertung von Facebook-Einträgen?

Während die Interviewer früher mit Papier und Bleistift loszogen, kommen sie seit Ende der 1990er-Jahre überwiegend mit Laptops in die Haushalte. Manches wird sich künftig auch über das Internet abwickeln lassen. Aber die speziell geschulten, mehr als 500 Interviewerinnen und Interviewer werden stets das Rückgrat unserer Befragung sein. Unser oberstes Prinzip ist die dauerhafte Anonymität der Befragten. Wenn wir Facebook-Einträge in unsere Erhebung wie Analysen einbeziehen würden, wäre die Anonymität gefährdet. Eine repräsentative Aussage für die Menschen in Deutschland kann man basierend auf solchen Einträgen ohnehin nicht treffen.

Sie haben ein großes Interesse an Familien, die sich generationenübergreifend befragen lassen. Welchen Wert hat eine über drei Generationen hinweg geführte Befragung?

Wir können Verhaltensmuster vergleichen – etwa wie sich junge Eltern heute verhalten im Vergleich zu jungen Eltern einer früheren Generation, aber eben aus derselben Familie. Oder wie alt einzelne Familienmitglieder bei Ereignissen wie Berufseintritt, Hochzeit oder Renteneintritt waren. Aus schwedischen Studien wissen wir, dass eine Drei-Generationen-Befragung mehr Substanz hat als ein Vergleich von nur zwei aufeinander folgenden Generationen. So scheint die soziale Mobilität, also der gesellschaftliche Aufstieg innerhalb von drei Generationen, weniger ausgeprägt zu sein als beim Vergleich von nur zwei Generationen.

Wie beurteilen Sie aus Ihrer Kenntnis des Panels folgende fünf Statements:

Geld macht glücklich.

Die Korrelation stimmt. Grundsätzlich können wir das bestätigen. Doch wer Geld hat, ist in der Regel auch besser gebildet, ernährt sich gesünder und erfreut sich einer höheren sozialen Anerkennung. Was dann letztlich darüber entscheidet, warum er zufriedener wird – der höhere Kontostand oder die verbesserte Gesundheit –, liegt im Dunklen. Überdies ergeben unsere Befragungen: Menschen in Partnerschaften sind glücklicher als Alleinlebende.

Womit wir schon beim zweiten oft gehörten Statement sind: Die Menschen werden immer einsamer.

Wer sich in der amtlichen Statistik die wachsende Zahl von Ein-Personen-Haushalten ansieht, könnte das annehmen. Doch diese Zahl ist kein guter Indikator und bedeutet keineswegs eine zunehmende Einsamkeit. Nach wie vor verfügen nämlich viele der in Deutschland lebenden Menschen über intakte Familien und haben ein Freundesnetzwerk. Die Soziologen haben dafür einen englischen Begriff geprägt: LAT – living alone together. Aber was die subjektiv empfundene Einsamkeit angeht, stehen wir erst am Anfang unserer Forschung.

Arme sterben früher.

Eine statistische Untersuchung von mehr als 1200 verstorbenen SOEP-Befragten zeigte, dass diese Aussage für Frauen nicht zutrifft. Bei Männern sieht es anders aus: Sie werden statistisch drei Jahre älter, wenn ihr Einkommen mehr als 50 Prozent über dem mittleren Einkommen liegt – im Vergleich zu der Gruppe, die lediglich 60 Prozent oder weniger des mittleren Einkommens erzielt.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter.

So einfach ist es nicht. Das Armutsrisiko stieg bis 2005 an, hat aber in den letzten Jahren nicht mehr signifikant zugenommen. Die Vermögenszuwächse waren bei den ohnehin Top-Vermögenden in den letzten Jahren am höchsten.

Letztes Statement: Zuwanderer nehmen Einheimischen Arbeitsplätze weg.

Das Gegenteil ist richtig. Der Wirtschaftsstandort Deutschland würde ohne die Zuwanderung zurückfallen. Das heißt: Ohne die Zuwanderung ist es wahrscheinlicher, dass auch Arbeitsplätze von Einheimischen wegfallen.

Kommen wir zu den Methoden der Sozialforschung: Im Vergleich zu den Naturwissenschaften, die sich gerne das Attribut „exakt“ geben, scheinen sie weniger exakt zu sein.

Mit unserem methodischen Ansatz der Längsschnittstudie und den großen Stichproben haben wir die Möglichkeit, kausale Regelmäßigkeiten zu finden. Wir wenden damit das experimentell angelegte Untersuchungsdesign der Naturwissenschaften an. Natürlich ist das schwierig. Menschen lassen sich nicht so isoliert betrachten, wie Physiker oder Chemiker das mit Materie tun. Trotzdem können wir ziemlich genau messen, inwieweit unsere Untersuchungsergebnisse einer kritischen Überprüfung durch andere Modellannahmen standhalten. Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten methodisch-statistisch viel entwickelt: Bei der sozialwissenschaftlichen Methodik handelt es sich nicht um Ideologie, sondern wir sind sehr empirisch ausgerichtet und von analytischem Denken geprägt.

Dennoch haben Sie stets mit dem Henne-Ei-Problem zu kämpfen: Heißt Korrelation auch Kausalität?

Natürlich nicht. Aber unsere wiederholte Befragung hilft sehr. So sehen wir, dass Verheiratete glücklicher sind. Macht heiraten also glücklich? Oder neigen glückliche Menschen eher zum Heiraten? Dazu müssen wir die Situation genauer betrachten. Und das machen wir beim SOEP, indem wir Menschen schon vor dem Eintritt von Lebensereignissen genau „vermessen“. Unserer Studie zeigt: Das Lebensereignis der Hochzeit macht Menschen glücklicher. Doch nach einem Jahr ist fast wieder das tiefere Niveau früherer Zeiten erreicht. Wir sehen aber auch: Wer als Lediger zufriedener ist, findet eher einen Ehepartner. Deswegen sind Verheiratete auch nach der Anfangseuphorie der Ehe noch deutlich zufriedener als Unverheiratete. Um die Ursachen des individuellen Glücksempfindens herauszudestillieren, muss man also weiter zurückgehen im Lebenslauf. Die Entscheidung, ob Menschen überhaupt mit einem Partner zusammenziehen oder ihn heiraten wollen, fußt häufig auf den in Kindheit und Jugend erlebten Familienstrukturen.

Natürlich sind wir neugierig: Was sagen die Ergebnisse des Sozio-oekonomischen Panels denn über das Sexualverhalten in unserem Land aus?

Wir beim SOEP stellen weder Fragen zum Liebesleben noch dazu, wie zufrieden die Personen mit ihrem Partner sind. Da bei unseren Befragungen alle Personen des gesamten Haushalts anwesend sein sollten, bekämen wir hier nicht immer ehrliche Antworten. Und wenn wir ehrliche Antworten bekämen, würden unsere Interviewer möglicherweise in einen heftigen Streit zwischen Ehepartnern geraten. ■

Das Interview führten Wolfgang Hess und Cornelia Varwig

Ohne Titel

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Vi|ru|lenz  〈[vi–] f. 20; unz.〉 1 〈Med.〉 1.1 Ansteckungsfähigkeit  1.2 〈bei Bakterien〉 Fähigkeit, eine Krankheit hervorzurufen … mehr

Erd|mit|tel|al|ter  〈n. 13; unz.〉 = Mesozoikum

As|ko|my|zet  〈m. 16; Bot.〉 Schlauchpilz [<grch. askos … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige