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Die neuen Weltentdecker

Erde|Umwelt

Die neuen Weltentdecker
Mit trickreichen Methoden und hochsensiblen Messinstrumenten versuchen Geoforscher, die Geheimnisse der Erde zu enthüllen.

Wie ein dicker Panzer liegt der Berg um die düstere Kammer, in der Rudolf Widmer-Schnidrig und sein Team unentwegt das leise Grummeln der Erde belauschen. Die Wissenschaftler haben in einem aufgegebenen Stollen oberhalb des Schwarzwald-Städtchens Schiltach, in dem Bergleute einst nach Silber und Kobalt gruben, eine Fülle hochempfindlicher physikalischer Apparaturen aufgebaut: Schwingungsmesser, Gravimeter, Pendel und Sensoren, die selbst winzige Neigungen und Verformungen des umgebenden Gesteins registrieren.

Über diesem „Schwarzwald-Observatorium“, das von den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart betrieben wird, liegt eine fast 200 Meter mächtige Schicht aus Granit. Vom Eingang des Stollens an der Flanke der Berges trennt den felsigen Forschungsraum des BFO („Black Forest Observatory“) ein 700 Meter langer, enger und dunkler Gang.

Lauschposten im Silberstollen

Die extrem ausgeglichenen Umweltbedingungen – Temperatur und Luftfeuchtigkeit ändern sich weder tagsüber noch nachts noch im Verlauf der Jahreszeiten – und die große Ruhe am Ende der künstlichen Höhle sind die Voraussetzung dafür, dass die Geophysiker ihr exzentrisches Forschungsobjekt ungestört verfolgen können: Widmer-Schnidrig und seine Kollegen sind hier dem „Brummen“ der Erde – im Fachjargon „Hum“ genannt – auf der Spur. Seit japanische Erdbebenforscher 1998 bei präzisen mathematischen Analysen von Erdbebenwellen per Zufall auf das Phänomen gestoßen sind, wissen die Geowissenschaftler, dass der Erdkörper pausenlos schwingt wie eine angeschlagene Glocke – egal, ob gerade irgendwo der Boden bebt oder nicht.

Allerdings: Der Globus brummt bei so tiefen Frequenzen, dass das menschliche Gehör die Töne nicht wahrnehmen kann. Nur extrem feinfühlige Messgeräte, wie sie die Forscher im Schwarzwald eingeschlossen haben, können die Vibrationen erfassen. Und sie haben in den letzten Jahren Erstaunliches enthüllt: Der irdische Hum entsteht durch eine komplizierte Überlagerung verschiedener Schwingungsformen. Der gesamte Globus oszilliert im Rhythmus mehrerer Dutzend Frequenzen auf und ab, seitlich hin und her, und verdrillt sich zusätzlich – wie eine Orange, bei der man sowohl die obere als auch die untere Hälfte anfasst und die beiden Teile kräftig in entgegengesetzter Richtung dreht.

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unerklärliche Verdrillung

Diese sogenannte Torsion ist für die Forscher höchst rätselhaft. Während sich die anderen Schwingungsformen vor allem dadurch erklären lassen, dass stürmischer Wind die Ozeane aufwühlt und das Wasser in den Weltmeeren bis zum Meeresgrund durchwalkt, haben die Geophysiker für das Verdrillen des Erdkörpers noch keine befriedigende Erklärung gefunden.

„Momentan testen wir verschiedene Modelle für Prozesse, die als Anregungsmechanismus infrage kommen“, sagt Rudolf Widmer-Schnidrig. Zum Beispiel hohe Berge am Meeresgrund: Sie könnten die Kräfte, die von mächtigen Wellen ausgehen, aufnehmen, umlenken und in komplexe Bewegungen des Wassers verwandeln. Ob dieser Effekt hinter den mysteriösen Torsionsschwingungen steckt, wollen die Forscher aus Schiltach in den nächsten Jahren herausfinden.

Auf jeden Fall lässt sich das Brummen der Erde nutzen, um wertvolle Informationen über den Untergrund zu gewinnen. So konnten Wissenschaftler um den Geophysiker Piero Poli von der Universität Grenoble 2012 mithilfe der Brummsignale eine geologisch besonders spannende Zone detailliert analysieren: Die Schicht verläuft in 410 bis 660 Kilometer Tiefe und markiert den Übergangsbereich zwischen Material mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften. Die Forscher entwarfen ein Modell, um aus dem Schwingungsmuster des Hum möglichst viele Einzelheiten der Struktur dieser Schicht zu ergründen. Damit haben die Geowissenschaftler eine neue und sehr genaue Methode zur Hand, um in den Untergrund der Erde zu horchen – bis in Tiefen, die weit jenseits des Bereichs liegen, der für Bohrungen zugänglich sind.

Das tiefste Loch der Welt

Ein solcher direkter Zugang zum Erdinneren ist bisher nur bis in eine Tiefe von gut zwölf Kilometern gelungen – mit einer Bohrung, die sowjetische Wissenschaftler in den 1970er-Jahren auf der Halbinsel Kola niedergebracht haben. Das tiefste Loch Deutschlands befindet sich bei der Stadt Windischeschenbach in der Oberpfalz, unweit der Grenze zu Tschechien: Dort drangen Geoforscher zwischen 1990 und 1994 im Rahmen des Kontinentalen Tiefbohrprogramms der Bundesrepublik Deutschland 9,1 Kilometer weit in die Tiefe vor.

Doch so eindrucksvoll solche Vorstöße erscheinen, sie sind nicht mehr als winzige Stiche in die oberste Hautschicht der Erde – vergleichbar Mückenstichen bei einem Elefanten. Zudem erlauben sie nur einen punktuellen Einblick unter einen bestimmten Ort der Erde. Den Großteil ihres Wissens über das Erdinnere beziehen die Wissenschaftler aus seismischen Wellen, die bei tiefen Erdbeben entstehen und den gesamten Globus umrunden oder durchlaufen. Wie schnell sie sich ausbreiten, hängt von der Dichte des Untergrunds ab. Jede geologische Struktur auf ihrem Weg hinterlässt einen charakteristischen Stempel in der Laufzeit der Wellen, den die Forscher mit seismischen Modellen entschlüsseln können.

Gestein wie dicker Honig

So gelangten die Geowissenschaftler zur Erkenntnis, dass der Globus aus unterschiedlichen Schichten besteht – wie eine riesige Zwiebel. Inzwischen verstehen sie immer besser, wie diese Schichten aufgebaut sind und welche physikalischen und chemischen Prozesse darin ablaufen. Steigt man in Gedanken in die Tiefe, folgt unter der festen Erdkruste und dem ebenfalls festen oberen Erdmantel – die Geophysiker nennen das Ganze „Lithosphäre“ – der untere Erdmantel. Er reicht bis in 2900 Kilometer Tiefe und besteht aus Gestein, das zähflüssig ist wie dicker Honig. Druck und Temperatur steigen mit der Tiefe an – am Grund des unteren Mantels ist es etwa 2000 Grad Celsius heiß. Der Grenzbereich zwischen unterem Erdmantel und Erdkern steht zurzeit im Fokus der Forscher (siehe S. 38, „Berge in der Unterwelt“).

Dort, wo Kern und Mantel aufeinandertreffen, befindet sich der Motor der Plattentektonik, die pausenlos die gro-ßen und kleinen Erdschollen verschiebt, gegeneinander drückt und auseinander treibt. Die tektonischen Platten wachsen an den mittelozeanischen Rücken aus aufströmendem Magma, schieben sich zur Seite und verschwinden an sogenannten Subduktionszonen wieder in der Tiefe – wodurch sich das Antlitz des Globus seit Hunderten Millionen Jahren ständig verändert. Wie diese gigantische Umwälzmaschinerie genau funktioniert und was mit den tektonischen Platten passiert, nachdem sie in den Bauch der Erde abgetaucht sind, gehört zu den großen Geheimnissen der Erde (siehe S. 42, „Friedhof der Erdplatten“).

zweigeteilter Erdkern

Die Energie, die die Plattentektonik antreibt, stammt aus dem Erdkern. Dort erzeugen radioaktive Elemente stetig Wärme, die zusammen mit großen Mengen von Restwärme aus der Zeit der Entstehung der Erde vor rund 4,6 Milliarden Jahren kontinuierlich nach außen dringt und das Mantelgestein von unten aufheizt wie einen Kochtopf auf einer heißen Herdplatte.

Der Erdkern, der vor allem aus Eisen und Nickel sowie kleineren Mengen anderer chemischer Elemente besteht, ist geteilt in einen dünnflüssigen äußeren und einen festen inneren Kern. Der äußere Teil reicht von der Kern-Mantel-Grenze bis in rund 5100 Kilometer Tiefe. Dort beginnt der innere Kern, der seinen Mittelpunkt knapp 6400 Kilometer unter der Erdoberfläche hat. Beweise für die Existenz eines harten „Herzens“ im Erdkern lieferte 2005 ein internationales Forscherteam durch die präzise Analyse von Erdbebenwellen, die das Erdinnerste durchdrungen hatten.

Über die Eigenschaften dieses irdischen Herzens ist dagegen noch recht wenig bekannt. Die schwer messbare Temperatur liegt im Erdmittelpunkt irgendwo zwischen 5000 und 8000 Grad Celsius. Und: Das Metallgemisch im inneren Erdkern scheint an dessen Rand gleichzeitig zu erstarren und aufzuschmelzen. Vermutlich gibt es auf dem festen Kern besonders heiße und relativ kühle Flecken, die direkt mit dem Auf- und Absteigen von dickflüssiger Materie im Erdmantel zusammenhängen – und folglich auch mit dem Prozess der Plattentektonik.

simulierte Polsprünge

Der äußere Erdkern hingegen ist die Geburtsstätte des irdischen Magnetfelds, das sich wie eine unsichtbare Hülle um den gesamten Globus legt und ihn vor der energiereichen und für Lebewesen gefährlichen kosmischen Strahlung schützt. Dieses Feld erzeugen elektrisch geladene Ionen, die sich im flüssigen Teil des Erdkerns bewegen. Im Jahr 2000 gelang es erstmals, einen solchen „Geodynamo“ im Labor nachzubilden und die Funktionsweise der Magnetquelle im Inneren der Erde experimentell zu untersuchen. 2009 konnten französische Physiker der Ecole Normale Supérieure und des Forschungszentrums CNRS in Paris in einem Computermodell sogar die Umpolungen des Erdmagnetfelds simulieren. Solche Umpolungen haben in der Vergangenheit mehrfach dazu geführt, dass das irdische Magnetfeld in unregelmäßigen Abständen instabil wurde und seine Richtung änderte.

Unklar ist, ob auch die Rotationspole der Erdachse ihre Lage verändern. Deutsche Wissenschaftler vom Geoforschungszentrum Potsdam fanden Hinweise darauf, dass in den letzten 200 Millionen Jahre mehrmals solche „echten“ Polwanderungen stattgefunden haben (siehe S. 45, „Taumelnde Pole“).

Computersimulationen wie zur Berechnung der magnetischen und mechanischen Polwanderungen werden bei der Arbeit der Geoforscher immer wichtiger. Ausgefeilte geophysikalische Modelle und hochleistungsfähige Superrechner ermöglichen es heute, sehr komplexe Phänomene im Erdinneren nachzubilden und das filigrane Zusammenspiel unterschiedlicher Prozesse auf der Erde mathematisch zu modellieren – etwa den für die Klimaentwicklung entscheidenden Austausch von Energie und chemischen Substanzen zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen und dem Erdboden. Dafür nutzen die Wissenschaftler eine Fülle von Daten, unter anderem von Satelliten, die beispielsweise die elektromagnetische Strahlung, das irdische Schwerefeld oder tektonische Verschiebungen messen.

Hunger, Kälte und Tod

Auch bei der Auswertung von historischen Messdaten kamen unerwartete Zusammenhänge ans Licht – zum Beispiel eine Korrelation zwischen Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Häufigkeit von Vulkanausbrüchen. Sie deuten darauf hin, dass ein wärmeres Klima den Vulkanismus in manchen Regionen anfeuert (siehe S. 40, „Wetterfühlige Vulkane“). Klimaarchive wie Sedimente und Ablagerungen im Eis der Arktis oder Antarktis helfen außerdem dabei, einstigen gewalttätigen Feuerspeiern auf die Schliche zu kommen – wie einem bislang unbekannten Vulkan, der im Mittelalter explodierte und Hunger, Kälte und Tod über die Menschen in Europa brachte (siehe S. 48, „Killer inkognito“).

Die Erde hält noch viele Fragen bereit, die den Forschungsgeist der Geowissenschaftler herausfordern. Wie einst, als neugierige Seefahrer in ferne Länder aufbrachen, um die weißen Flecken auf der Landkarte zu füllen, versuchen auch heute wieder Entdecker, die Geheimnisse der Welt zu lüften. Unser Planet hat nichts von seinem Reiz verloren. ■

RALF BUTSCHER durfte vor einigen Jahren selbst einen Blick in die finsteren Gänge des Schiltacher Schwarzwald-Observatoriums werfen.

von Ralf Butscher

Berge in der Unterwelt

Ungefähr 2900 Kilometer unter unseren Füßen trifft das feste Gestein des Erdmantels auf die flüssige Eisenlegierung des Erdkerns. Die Kern-Mantel-Grenze ist die wichtigste Trennfläche im Erdinneren, doch lange Zeit wusste man nur wenig über sie – außer, dass sich Erdbebenwellen in den untersten 200 Kilometern des Erdmantels seltsam verhalten. Geowissenschaftler haben diesem Kellergeschoss des Erdmantels daher einen eigenen Namen gege- ben: D´´-Schicht (sprich: „D-Zwei-Strich-Schicht“). Er basiert auf einer alten Nomenklatur, die den unteren Erdmantel mit dem Buchstaben „D“ kennzeichnete.

Was dort passiert, war lange unklar. Sammeln sich am Boden des Mantels die Reste alter tektonischer Platten? Oder bilden sich dort große Blasen aus heißem, nach oben quellendem Gestein, sogenannte Plumes? Gibt es in der Tiefe unbekannte Mineralien mit exotischen Eigenschaften? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielt der Erdkern mit seiner ungeheuren Hitze?

Exotisch wie die Erdoberfläche

Inzwischen haben die Forscher sehr genaue Daten gesammelt und diese Fragen zumindest teilweise geklärt. „Der unterste Mantel ist genauso exotisch und abwechslungsreich wie die Erdoberfläche“ , sagt der US-amerikanische Geophysiker Edward Garnero von der Arizona State University in Tempe. Verantwortlich dafür sind die drastischen Unterschiede zwischen dem festen Erdmantel und dem flüssigen Erdkern.

Das Mantelgestein „fließt“ etwa wie Honig mit einer Geschwindigkeit von im Schnitt zehn Zentimetern pro Jahr – ungefähr so schnell, wie unsere Fingernägel wachsen. Das heiße Eisen im Erdkern ist dagegen fast so dünnflüssig wie Wasser. Die Temperatur steigt in der D´´-Schicht um über 1000 Grad Celsius, die Dichte verdoppelt sich an der Kern-Mantel-Grenze sprunghaft von etwa 5 auf 11 Gramm pro Kubikzentimeter. „Die Bedingungen ändern sich dort viel gravierender als am Übergang von der Erdoberfläche zur Atmosphäre“, sagt Sebastian Rost, ein deutscher Geophysiker an der britischen University of Leeds.

seltsamer Haufen unter Afrika

Neue seismologische Untersuchungen zeigen: Am Grund des Erdmantels gibt es Regionen, die sich ebenso stark unterscheiden wie Kontinente und Ozeane. Aber auch kleinere Unregelmäßigkeiten sind sichtbar geworden, sozusagen die Gebirge oder Inseln der Unterwelt. Überraschend war die Entdeckung von zwei gewaltigen Haufen am Grund des Erdmantels, in denen sich bestimmte seismische Wellen verlangsamen. Einer dieser Haufen befindet sich unter Afrika, der andere unterhalb des Pazifiks. Die mächtigen Gebilde haben einen Durchmesser von etlichen Tausend Kilometern und ragen 400 bis 1000 Kilometer in die Höhe. Ihr Ursprung ist rätselhaft: Handelt es sich um urtümliches Gestein aus der Zeit, als die Erde entstand? Oder sind die Haufen Plattenfriedhöfe – Ansammlungen von Resten alter tektonischer Platten, die von der Erdoberfläche zum Grund des Erdmantels gesunken sind und dort nun feststecken? „Beide Theorien sind mit Modellrechnungen vereinbar“ , sagt Sebastian Rost.

Die Daten zeigen, dass die Haufen dichter, aber wohl auch heißer sind als das benachbarte Gestein und dass sie eine andere chemische Zusammensetzung haben. Offenbar sind sie vom Rest des Mantels weitgehend abgeschottet: Sie nehmen nicht an der Konvektionsbewegung teil, die das Gestein des Erdmantels umwälzt. Nur am Rand werden – laut Simulationen – immer wieder kleinere Fetzen vom langsam strömenden Mantelgestein nach oben mitgerissen.

In jüngster Zeit haben Seismologen weitere Zonen entdeckt, in denen Erdbebenwellen ungewöhnlich langsam verlaufen. In einigen kleinen Flecken direkt über der Kern-Mantel-Grenze, meist am Rand der großen Haufen, reduziert sich die Geschwindigkeit der Wellen besonders stark – um 30 Prozent. Diese Gebiete, die selten dicker als 30 Kilometer sind, haben eine deutlich erhöhte Dichte. Sie enthalten vermutlich besonders viel Eisen. Die niedrigen Geschwindigkeiten der Erdbebenwellen könnten darauf hindeuten, dass das Gestein dort teilweise geschmolzen ist.

Eine Art Hügellandschaft haben Forscher um Daoyuan Sun von der Carnegie Institution in Washington D.C. (USA) im Januar 2013 in fast 3000 Kilometer Tiefe unterhalb von Nordamerika entdeckt. Sie vermuten, dass der Grund des Mantels dort von einer wenige Kilometer dicken, wellenförmigen Schlackeschicht aus schweren Eisen- und Magnesium-Oxiden bedeckt ist. Sie könnte bei Reaktionen zwischen Mantel- und Kernmaterial entstanden sein.

Der Bodensatz der Konvektion

Doch das sind nur Spekulationen. Wie die seltsamen Kontinente und Inseln der Tiefe entstanden sind, ist nach wie vor ein Rätsel. „Ich stelle mir vor, dass wir dort den Bodensatz der Konvektion sehen“, sagt Sebastian Rost. „Was zu schwer ist, um wieder zur Oberfläche zu steigen, bleibt unten liegen.“

Ein Mineral, das im untersten Mantel offenbar eine große Rolle spielt, ist Post-Perowskit, eine Variante des häufigsten Mantel-Minerals Perowskit. Wie ein US-Forscherteam 2004 mit Hochdruck- Experimenten herausfand, verwandelt sich das aus Magnesium, Silizium und Sauerstoff bestehende Kristallgitter von Perowskit bei dem extremen Druck von mehreren Hunderttausend Bar und Temperaturen von 3500 Grad Celsius in etwa 2700 Kilometer Tiefe.

Die Hochdruck-Form Post-Perowskit hat einen schichtförmigen Aufbau und leitet seismische Wellen daher nicht in jede Richtung gleich schnell weiter – genau wie es Seismologen in der D´´-Schicht beobachten. Neue Untersuchungen zeigen aber, dass das neue Mineral nicht alle Rätsel der Grenzschicht lösen kann. So scheint der Mineral-Übergang nicht überall ab einer bestimmten Tiefe stattzufinden, sondern nur in den kühleren Bereichen der D´´-Schicht. Und in den riesigen Haufen unter Afrika und dem Pazifik sind die typischen seismischen Signale von Post-Perowskit nicht zu finden.

Diamanten und Flutbasalte

Während das Bild vom untersten Erdmantel allmählich schärfer wird, stellt sich die spannende Frage, welche Bedeutung die abwechslungsreiche Landschaft in der Tiefe für die Erdoberfläche hat. Offenbar gibt es einen Zusammenhang: Viele „Hotspots“ – ungewöhnlich heiße Bereiche, wie der unter der Hawaii-Inselkette und unter Flutbasalt-Provinzen – liegen genau über dem Rand der Haufen. Flutbasalt-Provinzen sind Ablagerungen von mehreren Millionen Kubikkilometern Vulkangestein, etwa die Dekkan-Trapps in Indien. Auch die schmalen Kimberlit-Schlote, durch die diamanthaltige Mineralien aus großen Tiefen an die Oberfläche gepresst werden, konzentrieren sich zum größten Teil in diesen Regionen.

Einige Forscher vermuten daher, dass die Haufen am Grund des Erdmantels die Konvektionsströmungen umleiten. Dabei könnten die rätselhaften „Plumes“ entstehen. Diese pilzförmigen Gebilde sind für Erdbebenwellen allerdings fast unsichtbar. Ihre Existenz ist daher immer noch umstritten. ■

Ute Kehse ist Geophysikerin und Wissenschaftsjournalistin in Delmenhorst. Sie beschäftigt sich gern tiefgründig mit irdischen Themen.

von Ute Kehse

Wetterfühlige Vulkane

Eigentlich hatten die deutschen Wissenschaftler ein ganz anders Ziel. Bei einem interdisziplinären Projekt wollten sie herausfinden, welche Vorgänge im Inneren von „Subduktionszonen“ rund um den Pazifik ablaufen. Dort taucht ozeanische Kruste ins Erdinnere ab und lässt in Küstennähe Vulkane ausbrechen. Der berüchtigte pazifische Feuerring ist die Folge dieser tektonischen Dynamik.

Doch bei der Untersuchung von Vulkanasche, die sich in den letzten 460 000 Jahren auf dem Meeresboden vor Zentralamerika abgelagert hatte, stießen die Forscher auf ein seltsames Phänomen: Die Vulkane scheinen rhythmisch aktiv zu sein. Auf eine Phase relativer Ruhe folgt stets eine aktive Periode. Dieses „ Abfallprodukt“ des Forschungsprojekts irritierte Steffen Kutterolf vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung so sehr, dass er es sich zusammen mit Kollegen näher anschaute.

Rhythmische Eruptionen

Das Team nahm sich ältere Bohrkerne aus dem Meeresboden im pazifischen Feuerring vor, die bis zu eine Million Jahre zurückreichen. Auch dort fanden sie den seltsamen Zyklus, der jeweils etwa 40 000 Jahre dauerte. Bei einer genaueren statistischen Analyse zeigte sich, dass die Vulkane im Rhythmus eines der sogenannten Milankovic-Zyklen pulsieren. Dieser Zyklus kommt dadurch zustande, dass die Neigung der Erdachse gegenüber der Bahnebene rhythmisch schwankt. Sie variiert zwischen 22,1 und 24,5 Grad, wobei eine Periode rund 41 000 Jahre dauert.

Der Zyklus, das ist bekannt, hat Auswirkungen auf das Klima: Zwar verändert die Schieflage nicht die Summe der Sonnenenergie, die auf die Erde gelangt, wohl aber bekommen die Jahreszeiten einen anderen Charakter. Das macht sich vor allem in den nördlichen Breiten bemerkbar, wo sich viele Landmassen befinden. Bei einer stark gekippten Erde sind die Winter im Norden kälter und die Sommer wärmer. Eine geringere Neigung der Achse kann dagegen zu einer Vergletscherung führen, weil die relativ milden Winter viel Schnee bringen, der in den kühlen Sommern nicht abtaut.

Beeinflusst also das Klima die Vulkantätigkeit? Der umgekehrte Einfluss ist längst bekannt: Heftige Vulkanausbrüche können die Atmosphäre weltweit für Jahre abkühlen, weil die ausgestoßenen Partikel die Sonne verdunkeln. Das Jahr 1816, nachdem in Indonesien der Tambora explodiert war, ging als „das Jahr ohne Sommer“ in die Annalen von Europa und Nordamerika ein. Doch dass auch das Klima Vorgänge im Erdinneren beeinflussen kann, schien bisher bloß eine These von „Klima-Skeptikern“ zu sein, die alle Veränderungen der Sonne anlasten wollen.

Risse Durch Wippeneffekt

Die Forscher um die Kieler Geowissenschaftler Steffen Kutterolf und Marion Jegen glauben jetzt, eine Erklärung für die seltsame Abhängigkeit vulkanischer Aktivität von Klimaschwankungen gefunden zu haben: Wenn die Temperaturen global steigen, schmelzen viele Gletscher ab und der Meeresspiegel steigt. So werden die Kontinente entlastet, während der Druck auf den Meeresboden wächst. Kutterolf spricht von einem „ Wippeneffekt, der Spannungen in der Erdkruste erzeugt“.

Dabei können Risse entstehen, durch die das Magma leichter einen Weg ins Freie findet. Natürlich muss eine gefüllte Magmakammer vorhanden sein, damit der Effekt überhaupt eine Rolle spielt. Die Vulkane wären also ohnehin irgendwann ausgebrochen – durch den Wippeneffekt haben sie bloß etliche Jahre früher gespuckt.

Die Vulkantätigkeit scheint sich nur während der Erwärmungsphasen zu verstärken: Dann schmilzt das Eis relativ schnell. Während der kühleren Phasen wachsen die Eisschilde dagegen bloß langsam – und entsprechend langsam sinkt der Meeresspiegel. Das genügt offenbar nicht, um Spannungen aufzubauen. Kutterolf meint: „Nicht die Höhe der Meeresspiegelschwankungen ist entscheidend, sondern ihre Geschwindigkeit.“

Das Thema ist brisant, denn der Klimawandel lässt den Meeresspiegel auch heute steigen. Dennoch muss niemand befürchten, dass ein vulkanisches Inferno bevorsteht. „Auch wenn der Meeresspiegel noch mehrere Jahrhunderte lang steigt“, beruhigt Kutterolf, „kann sich der Effekt erst in 3000 oder 4000 Jahren bemerkbar machen.“ Und selbst das sei „reine Spekulation“. Außerdem handelt es sich bloß um eine statistische Häufung, die sich erst bei der Betrachtung sehr langer Zeiträume zeigt.

Der Vulkanologe will noch tiefer in die Vergangenheit der Erde vordringen, um herauszufinden, ob die Vulkane auch dort rhythmisch pulsiert haben. Und ob sich möglicherweise dabei ein weiterer Milankovic-Zyklus bemerkbar macht: Etwa alle 100 000 Jahre ändert sich die Erdbahn von fast kreisrund auf elliptisch und wieder zurück.

Gerade war Kutterolf mit einem Bohrschiff unterwegs, das aus dem Pazifikgrund Bohrkerne gezogen hat, die bis zehn Millionen Jahre zurückreichen. Bohrungen an Land helfen hier nicht weiter, weil die Erosion dort viele Spuren verwischt. Nur auf dem Meeresboden lagern sich die Auswurfprodukte ungestört ab. Trotzdem muss Kutterolf auch an Land Gesteinsproben nehmen, damit er erkennen kann, von welchen Vulkanen die Asche stammt.

Unerlässlich ist natürlich eine gute Datierung der Bohrkerne. Hier helfen Mikropaläontologen, die recht zuverlässig angeben können, wann eingeschlossene Organismen gelebt haben. Und: Wenn das Klima tatsächlich die Tätigkeit von Vulkanen anregt, lässt sich nicht ausschließen, dass es auch Erdbeben auslöst. Nachweisen kann man das allerdings nicht, weil es keine Chronik der Erdbeben über so lange Zeiträume gibt.

Sandy liess die Erde zittern

Auf einen anderen erstaunlichen Zusammenhang sind vor Kurzem amerikanische Seismologen gestoßen. Der Hurrikan Sandy, der im Oktober 2012 New York nahezu lahmlegte, ließ die Erde leicht erzittern. Menschen konnten das nicht spüren. Die Instrumente der Erdbebenforscher sind jedoch so empfindlich, dass sich anhand der schwachen Beben sogar die Zugbahn des Wirbelsturms verfolgen ließ. Die Mikrobeben hatten eine Magnitude von 2 bis 3. Das entspricht immerhin der Stärke, wie sie beim umstrittenen Fracking zu erwarten ist, wenn Gestein aufgebrochen wird, um Erdgas zu fördern. ■

Klaus Jacob, freier Wissenschaftsjournalist in Stuttgart, liebt Themen, bei denen es um die gewaltige Dynamik auf und in der Erde geht.

von Klaus Jacob

Taumelnde Pole

Alfred Wegener hat uns vor einem halben Jahrhundert den Boden unter den Füßen weggezogen. Denn er zeigte, dass der scheinbar felsenfeste Untergrund ständig in Bewegung ist. Menschen und Tiere leben auf großen Gesteinsplatten, die wie Flöße über den zähflüssigen Erdmantel treiben.

Nach neuen Erkenntnissen von Geoforschern kommt es sogar noch dicker: Die ganze Erde kann kippen! Dadurch ändert sich zwar am äußeren Erscheinungsbild nichts, doch alle Orte bekommen eine andere geografische Lage. Deutschland findet sich vielleicht irgendwann am Äquator wieder und Chicago auf dem Nordpol. Experten sprechen von der „echten Polwanderung“ – im Gegensatz zur „scheinbaren Polwanderung“, wie sie die Wanderschaft des magnetischen Nord- und Südpols nennen.

Gletscherspuren am Äquator

Die Idee war schon George Darwin, dem Sohn von Charles Darwin, vor fast 150 Jahren gekommen. Er wollte damit erklären, warum man nahe am Äquator Spuren von Gletschern finden kann. Nachdem Wegeners Kontinentaldrift Mitte des 20. Jahrhunderts akzeptiert war, wurde es erst einmal ruhig um diesen Ansatz. Erst jetzt haben mehrere Forscher mit Computerhilfe konkrete Zahlen dazu berechnet. Danach soll es in den letzten 540 Millionen Jahren mindestens fünf Perioden mit einer ausgeprägten echten Polwanderung gegeben haben. Vor 460 bis 300 Millionen Jahren kippte die Erde sogar um 69 Grad. Danach überstiegen die Ausschläge nie mehr 22 Grad. Die letzte Eskapade vor 110 bis 100 Millionen Jahren fiel mit 10 Grad relativ schwach aus.

Diese Zahlen hat ein Team um Bernhard Steinberger vom Geoforschungszentrum Potsdam ermittelt. Das war keine leichte Aufgabe, denn auf der Erde ist alles in Bewegung. Es fehlt ein Fixpunkt, an dem man sich orientieren könnte. Die Arbeitsgruppe musste sich mit Tricks und vielen Annahmen behelfen. So untersuchten die Forscher Hotspots wie Hawaii, die im Ozean lange Inselketten bilden. Die Ausrichtung der Ketten verrät zwar zunächst nur, wie die Erdkruste über den Erdmantel wandert. Denn die Inseln entstehen, weil heiße Materie im Erdmantel aufquillt und sich durch die darüber driftende Kruste brennt.

Doch im vulkanischen Gestein stecken noch mehr Informationen. Die Eisenpartikel darin richten sich beim Erkalten nach dem Magnetfeld aus. Und das Magnetfeld entsteht durch Strömungen im flüssigen Erdkern, der von der Polwanderung unabhängig ist. Norden bleibt also auch bei einer gekippten Erde Norden. Aus der Diskrepanz der Bewegungen der ozeanischen Platte über den Erdmantel und der magnetischen Ausrichtung, die im Gestein eingefroren ist, lässt sich somit die echte Polwanderung berechnen. Die scheinbare Polwanderung kann man dabei vernachlässigen.

Alle Kontinente im Gleichschritt

Das gilt aber nur für die letzten 200 Millionen Jahre, denn älter ist die ozeanische Kruste nirgendwo. Nach dieser Zeit spätestens taucht sie in den Erdmantel ab und wird recycelt (siehe S. 42, „Friedhof der Erdplatten“). Um noch tiefer in die Erdgeschichte vordringen zu können, suchte Steinberger nach Zeiten, in denen sich alle Kontinente in dieselbe Richtung bewegt haben. Denn ein solcher Gleichschritt ließe sich gut mit einer echten Polwanderung erklären.

Die Ergebnisse, die all diese Berechnungen liefern, sind allerdings mit einer gehörigen Portion Skepsis zu betrachten. Denn bei Rekonstruktionen über so lange Zeiträume verfälschen viele Unsicherheiten die Resultate. „Für die vergangenen 300 Millionen Jahre sind wir ziemlich sicher, dass es sich um echte Polwanderungen handelt“, sagt Steinberger. Hinter die extreme Schiefstellung vor 460 Millionen Jahren, als das Leben gerade aufblühte, setzt er dagegen selbst ein großes Fragezeichen. Manche Forscher halten aber schon 20 Grad für viel zu viel, sie akzeptieren allenfalls eine leichte Schiefstellung von wenigen Grad.

Einigkeit herrscht über die Ursache des seltsamen Kippens: Dahinter steckt eine Unwucht, wie man sie von Autoreifen kennt. Die Erde läuft unrund, wenn sich Massen verschieben. Das passiert bei Veränderungen der Konvektionsströme im Erdmantel – wenn also eine Subduktionszone entsteht oder heiße Materie im Erdmantel aufströmt. Eine zusätzliche Masse hat die Tendenz, zum Äquator zu wandern. Das ist wie in der Waschmaschine, wenn die Wäsche beim Schleudern von der Zentrifugalkraft gegen die Trommelwand gedrückt wird.

Am Äquator dreht sich die Erde mit einer Geschwindigkeit von 1700 Kilometern pro Stunde, was für erhebliche Fliehkräfte sorgt. Ein Bereich, wo Masse fehlt, wandert zum Pol. Die vagabundierenden Massen schleppen auf ihrem erzwungenen Weg die gesamte Erdkugel mit, wodurch die Erdachse scheinbar kippt. Nur der Erdkern, der für das Erdmagnetfeld verantwortlich ist, macht die Bewegung nicht mit, weil er weitgehend flüssig ist.

Freilich muss niemand fürchten, dass er in gemäßigten Breiten einschläft und am Pol aufwacht. Die echte Polwanderung ist ein sehr langsamer Prozess, den Menschen nicht spüren. Steinberger geht von einer Geschwindigkeit von maximal 1 bis 2 Grad pro Jahrmillion aus, das entspricht etwa 10 bis 20 Zentimetern pro Jahr und ist vergleichbar mit der Driftgeschwindigkeit einzelner tektonischer Platten.

Manche Forscher halten zwar auch eine Geschwindigkeit von bis zu 10 Grad in einer Million Jahren für möglich. Doch Steinberger winkt ab: Der Erdmantel sei dafür zu zäh. Immerhin könnte die Drehung ganze Kontinente zerbrechen lassen, vermuten manche Forscher. Denn die Erde ist keine exakte Kugel, sondern am Äquator rund 40 Kilometer verdickt. Dieser Wulst, den die Fliehkräfte verursachen, verschiebt sich bei einer Polwanderung. Dadurch werden die Platten durchgewalkt, was einen Bruch auslösen könnte.

Wie ein gespannter Gummi

Erstaunlich ist, dass sich die Erde immer wieder in ihre Ausgangsposition zurückdreht. Es gibt keine bleibenden Veränderungen, sondern einen Normalzustand, der sich über kurz oder lang wieder einstellt. Ein amerikanisch- kanadisches Forscherteam um die Geowissenschaftlerin Jessica R. Creveling von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) hat nun mit Modellrechnungen zwei mögliche Ursachen dafür gefunden. Zum einen sollen die Erdplatten so elastisch sein, dass sie wie ein gespannter Gummi zurückfedern. Für die Spannung soll der wandernde Äquatorwulst sorgen. Zum anderen soll sich die Erde wieder aufrichten, wenn die Unwucht verschwunden ist und sich die Massen wieder gleichmäßig verteilen.

Das klingt alles ein bisschen verwegen. Stutzig macht auch, dass die Polwanderung umso kleiner ausfällt, je näher die Gegenwart rückt – also desto besser die Beweislage ist. Seit dem letzten großen Ausschlag vor 100 Millionen Jahren hat das Team um Bernhard Steinberger eine Neigungstendenz von nur 0,2 Grad pro Jahrmillion ermittelt. Während die Ideen von Alfred Wegener längst bewiesen sind, wird es wohl noch lange ein Rätsel bleiben, ob es tatsächlich ausladende Polbewegungen gibt. „Geodynamik“, spötteln manche Geophysiker, „ist Geofantasie.“ ■

von Klaus Jacob

Friedhof der Erdplatten

Die tektonischen Platten unter den Ozeanen haben nur eine begrenzte Lebensdauer. Das Magma, aus dem sie bestehen, quillt an den Mittelozeanischen Rücken empor und driftet anschließend seitlich wie auf einem Fließband über die Erde, wobei die Platten immer kälter und schwerer werden. Sie versinken schließlich, von ihrem eigenen Gewicht in die Tiefe gezogen, an den sogenannten Subduktionszonen im Erdmantel. Die älteste Ozeankruste auf der Erde ist etwa 200 Millionen Jahre alt. Alles andere ist in der Tiefe verschwunden.

Doch was passiert mit den Platten im Erdinneren? Sinken sie bis zur Kern-Mantel-Grenze in 2900 Kilometer Tiefe? Oder hält die Grenze von oberem und unterem Mantel in 660 Kilometer Tiefe sie auf? Dahinter steckt die Frage, ob die Konvektion im Erdinneren den gesamten Erdmantel in einem Stück umwälzt oder ob sie in zwei Stockwerken übereinander stattfindet – im oberen und unteren Erdmantel getrennt.

Messen wie in der Medizin

Geowissenschaftler können zwar nicht direkt ins Erdinnere schauen. Doch mit einem Verfahren, das der Computertomografie in der Medizin ähnelt, sind sie seit einigen Jahren in der Lage, die abtauchenden Platten sichtbar zu machen. Statt Röntgenstrahlen nutzen sie die Wellen von Erdbeben, die den gesamten Erdkörper durchqueren. Je nach Temperatur und Dichte des Gesteins laufen die seismischen Wellen mal schneller, mal langsamer. Da abtauchende Platten kälter sind als die Umgebung, zeichnen sie sich in tomografischen Aufnahmen des Erdmantels deutlich ab – und zwar umso schärfer, je mehr moderne Breitband-Seismografen eingesetzt werden.

Der Weg der Platten in die Tiefe lässt sich inzwischen gut verfolgen. Doch die Deutung der Daten ist nach wie vor schwierig. Unklar ist vor allem, wie zäh das Mantelgestein in welcher Tiefe ist, wie es sich verformt und wie stabil die abtauchenden Platten im heißen Erdinneren sind. „Es sieht so aus, als würden sich viele Platten zunächst in 660 Kilometer Tiefe flach legen“, sagt der Geophysiker Bernhard Steinberger vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Viele Platten tauchen an den Subduktionszonen schräg in den Erdmantel ein, schieben sich aber am Grund des oberen Mantels horizontal weiter. „Erst nach einiger Zeit, wenn sie wärmer geworden sind oder neue Platten von oben dazukommen, sinken sie in den unteren Erdmantel“, sagt Steinberger. Beispiele dafür gibt es westlich von Japan und unter Südeuropa. Die fossilen Platten verlaufen bis zu 1000 Kilometer weit parallel zur Oberfläche.

Schnappschuss vom Tauchgang

Das Hindernis, das die Platten aufhält, ist eine sogenannte Phasengrenze. Das Mantelmineral Olivin wandelt sich in 660 Kilometer Tiefe in Perowskit um, eine dichtere Form mit der gleichen chemischen Zusammensetzung. „Dort steigt auch die Viskosität – die Zähigkeit – sprunghaft an, das Gestein wird viel fester“, sagt die Seismologin Karin Sigloch von der Universität München. Doch bleiben die Platten an dieser Grenze wirklich viele Millionen Jahre lang stecken – oder verlangsamt sich ihr Abstieg nur? „Durch die tomografischen Aufnahmen erhalten wir nur einen Schnappschuss“, sagt Sigloch. Sie vermutet aber, dass die Platten kontinuierlich sinken und an der Grenze bloß abgebremst werden. „ Sonst würde es ja zu einer Art Rückstau kommen“, argumentiert sie.

Ein Bruch unter den Alpen

Neue tomografische Messdaten enthüllen unterdessen seltsame Details. Viele davon wurden mit dichten Messnetzen aus Hunderten Seismografen gewonnen. Es scheint, als würden einige der gut 100 Kilometer dicken Platten beim Abstieg regelrecht zerrissen. Unter Indonesien und unter den Alpen haben sich Brüche gebildet, durch die sich der unterirdische Teil nach und nach vom oberflächlichen Teil der Platten löst. Auch Risse in vertikaler Richtung gibt es. Im Südwesten Japans, wo die Subduktionszone einen Bogen macht, wiesen Forscher um Masayuki Obayashi von der Japan Agency for Marine-Earth-Science and Technology 2009 einen Spalt in der abtauchenden Platte nach, der in 300 Kilometer Tiefe beginnt und in größeren Tiefen immer breiter wird. Andere Platten türmen sich an der Grenze zwischen oberem und unterem Mantel auf wie ausgedrückte Zahnpasta, wieder andere sinken nahezu senkrecht nach unten.

Der Blick in die Unterwelt ist die einzige Möglichkeit, die Geschichte seit Langem verschwundener Ozeane zu erhellen. Kompliziert ist beispielsweise die Situation im Westen von Nordamerika, wie eine Untersuchung von Karin Sigloch und dem kanadischen Geologen Mitchell Mihalynuk zeigt, die sie im April 2013 im Fachmagazin „Nature“ vorgestellt haben.

Lange nahmen die Geowissenschaftler an, dass sich an der Pazifik-Küste eine ozeanische Platte – die Farallon-Platte – bereits seit 200 Millionen Jahren nach Osten unter den Kontinent schiebt. Die letzten Reste dieser Platte sind heute am Westrand der USA an der Oberfläche zu finden. Tomografie-Bilder enthüllten nun zahlreiche Bruchstücke unter ganz Nordamerika, die inzwischen bis zu 2000 Kilometer tief abgesunken sind, einige davon fast senkrecht.

Sigloch und Mihalynuk kommen zu dem Schluss, dass die tiefen Plattenreste, die bislang als Teile der Farallon-Platte galten, in Wirklichkeit einst zur Nordamerikanischen Platte gehörten. „ Die Platten waren nicht so angeordnet, wie wir Forscher dachten“, meint die Münchner Seismologin Sigloch. Ihre Anordnung lasse vielmehr vermuten, dass Nordamerika auf seinem Weg nach Westen mehrere Inseln überfuhr.

Am Ende ein zweites Leben

Wie der Kreislauf der Plattentektonik im unteren Mantel weitergeht und wie lange das Gestein dort verweilt, ist ein weiteres Rätsel (siehe S. 38, „Berge in der Unterwelt“). Von einem ersten Hinweis darauf, dass immer wieder recycelte Ozeankruste den Weg aus den tiefsten Tiefen des Erdmantels an die Oberfläche findet, berichteten Forscher um Rita Cabral von der Boston University im April 2013. Im Magma eines polynesischen Vulkans hatten sie eine charakteristische chemische Signatur entdeckt, die aus einer Zeit vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren stammen muss, als die Erdatmosphäre noch keinen Sauerstoff enthielt. Offenbar kann der Kreislauf der Platten mehrere Milliarden Jahre dauern. Doch auch nach dieser langen Reise trägt das Gestein noch Spuren seines ersten Lebens an der Erdoberfläche. ■

von Ute Kehse

Killer inkognito

Es muss ein gewaltiges Spektakel gewesen sein: Irgendwann zu Beginn des Jahres 1258, vielleicht auch schon im Herbst 1257, explodierte irgendwo auf der Welt ein Vulkan mit ungeheurer Wucht. Es war der stärkste Ausbruch des Jahrtausends, wahrscheinlich sogar der heftigste der letzten 10 000 Jahre. Doch wo sich die mittelalterliche Katastrophe ereignete, ist bis heute ungeklärt. Dabei muss sie extrem heftig gewesen sein. Auf der Vulkan-Explosivitätsskala erreichte die Eruption die zweithöchste Stufe. Zwischen 200 und 800 Kubikkilometer Asche stieß das Monstrum aus, vielleicht 50 Mal so viel wie der Pinatubo auf den Philippinen 1991. Die Eruptionswolke stieg vermutlich 40 Kilometer hoch. Feine Tröpfchen aus Schwefelsäure und Ascheteilchen verbreiteten sich in der hohen Atmosphäre um die ganze Welt, wie sich anhand von Ablagerungen in Eisbohrkernen nachweisen lässt.

Dauerregen und Kälte

Die Folgen waren weltweit zu spüren. Ein Schleier aus Dunst legte sich um die Erde. Die vulkanischen Schwebteilchen blockierten das Sonnenlicht und lenkten die Luftströmungen um. Die globale Durchschnittstemperatur sank um rund zwei Grad Celsius ab. Nach Europa strömte monatelang arktische Kaltluft. Es folgten Dauerregen und bittere Kälte. Viele Bäume wuchsen in jenem Jahr überhaupt nicht, es kam zu Missernten, Hungersnöten und Seuchen. Besonders schlimm traf es die Britischen Inseln: Ein Drittel der Londoner Bevölkerung starb an Hunger und Krankheiten. Massengräber mit Tausenden Toten in der Stadt an der Themse, die zwischen 1991 und 2007 ausgegraben wurden, werden inzwischen mit der Vulkankatastrophe im 13. Jahrhundert in Zusammenhang gebracht.

Warum der Hunger grassierte und Krankheiten über sie kamen, wussten die Menschen damals nicht. Erst in den 1980er-Jahren stießen Forscher bei Eisbohrungen in Grönland, Kanada und der Antarktis auf eine Erklärung. Die Eiskerne enthielten verdächtige bräunliche Schichten. Analysen zeigten, dass die Ablagerungen aus hauchdünnen vulkanischen Glasscherben und Schwefelsäure-Teilchen bestehen und aus dem Jahr 1259 stammen. Einige Monate zuvor musste also ein gewaltiger Vulkanausbruch stattgefunden haben. Nur wo, das ist die Frage.

Es gibt eine Reihe von Verdächtigen: etwa den El Chichón in Mexiko oder den Quilotoa in den Anden. Doch die chemische Zusammensetzung der gefundenen Asche passt zu keinem der verdächtigten Vulkane so richtig. Spielte sich das feurige Spektakel also vielleicht auf einer entlegenen pazifischen Insel oder sogar unter Wasser ab?

Der indonesische Killer

Der französische Vulkanologe Franck Lavigne von der Université Paris-Panthéon glaubt, in Indonesien den passenden Kandidaten gefunden zu haben. Im vergangenen Jahr berichtete er auf einer Konferenz, dass ein Caldera-Vulkan in Südostasien infrage komme. Die Bimsstein-Schichten, die er analysierte, hatten das richtige Alter und die gesuchte chemische Zusammensetzung. Um welchen Vulkan es sich handelt, verschweigt der Forscher allerdings noch, bis er seine Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hat. Da es in Indonesien 150 aktive Vulkane gibt, bleibt das Rätsel um die Katastrophe von 1258 also zumindest noch eine Weile bestehen. ■

von Ute Kehse

Kompakt

· Die Grenze von Mantel und Kern ist genauso vielgestaltig wie die Erdoberfläche.

· Der Klimawandel könnte Vulkane zum Speien bringen.

· Manche tektonischen Platten werden beim Abtauchen regelrecht zerrissen.

· Nicht nur die magnetischen, auch die geografischen Pole wandern.

· Ein bislang unbekannter Vulkan brachte dem mittelalterlichen Europa eine verheerende Hungersnot.

Mehr zum Thema

Lesen

Reich bebildertes Buch über die Urkräfte unseres Planeten: Ian Stewart, John Lynch EXPEDITION ERDE Bucher München, 2008, € 19,95

Internet

„Wie die Erde aufgebaut ist“ – YouTube-Video von Planet Schule des SWR: www.youtube.com/watch?v=8Z7FO8PMJEQ

„Vulkanismus & Plattentektonik“ – Beiträge vom Wissensmagazin Scinexx: www.scinexx.de/index.php?cmd= redaktion/lernwelten/ureihen.htm& header=lw

Homepage von Bernhard Steinberger, mit der Möglichkeit zum Download der Originalpublikationen zur „echten“ Polwanderung: earthdynamics.org/steinberger/index.html

Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungszentrum GFZ: www.gfz-potsdam.de

Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel: www.geomar.de

Geophysik am Department für Geo- und Umweltwissenschaften der Uni München: www.geophysik.uni-muenchen.de

„Dynamische Erde – Zukunftsaufgaben der Geowissenschaften“ (DFG-Strategieschrift): www.sk-zag.de/Dynamische_Erde.html

Ohne Titel

Die Erde – wohlbekanntes Terrain? Jeder Winkel des Planeten ausgekundschaftet, jedes Phänomen erforscht? Von wegen! Der Globus steckt voller Geheimnisse, denen Wissenschaftler jetzt allmählich auf die Spur kommen. So ist der Aufbau des Erdkörpers weit komplexer als bislang vermutet, und auch die physikalisch-chemischen Prozesse tief im Erdinneren sind ganz anderes als gedacht. Zudem scheinen die Vorgänge unter, auf und über der Erde erstaunlich eng miteinander verflochten zu sein.

Brüche, Staus und Plattenhaufen

Was mit tektonischen Platten geschieht, nachdem sie in den Erdmantel abgetaucht sind, ist bislang ungeklärt. Möglicherweise werden sie an der Grenze zwischen oberem und unterem Mantel gebremst und verharren dort für eine Weile – bevor die Tauchfahrt weitergeht (1 bis 3). Manche Platten können ohne Stopp abtauchen (4), andere scheinen auseinanderzubrechen (5) oder bekommen Risse (6).

Die Spur der Wanderung

Geophysikalische Messungen helfen, die Bewegung des geografischen Nordpols grob nachzuvollziehen. Eine Modellrechnung ergab einen verschobenen, aber prinzipiell ähnlichen Verlauf.

Wo kam es zum großen Schlag?

Noch ist unklar, welcher Vulkan 1258 mit solcher Wucht ausbrach, dass er Leid und Tod über die Welt brachte. Manche Forscher halten die hier markierten Vulkane für verdächtig, ein französischer Vulkanologe vermutet den Killer in Indonesien.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Pur|pu|ra  〈f.; –; unz.; Med.〉 krankhafte Blutungen in der Haut

Blas|tom  〈n. 11; Med.〉 Geschwulst, krankhafte Neubildung von Gewebe

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