Haben Sie in letzter Zeit vermehrt mit Menschen zu tun, bei denen Selbstvermessung krankhafte Züge angenommen hat?
Ich bin ganz ehrlich: Nein. Man muss dieses Phänomen beobachten, aber man sollte nicht Alarm schlagen, dass eine neue Epidemie oder Sucht auf uns zukommt.
Wo liegt die Grenze zwischen gesundem Achtgeben und krankhaftem Kontrollieren?
Aus der Forschung wissen wir, dass ein Ernährungsprotokoll und regelmäßiges Wiegen beim Abnehmen helfen können – in diesem Rahmen ist die Vermessung also unbedenklich und auch sinnvoll. Beginnt man aber jeden Tag mit einer Messung, etwa des Blutdrucks, und beobachtet die Werte mit schlechter Laune oder sogar Angst, wird es kritisch. Eine gewisse Lockerheit muss bleiben. Denn die Grenze zum Zwang ist fließend.
Handelt es sich um ein neues Problem?
Die Möglichkeiten, die Apps bieten, schaffen eine neue Qualität eines vorhandenen Problems. Bevor es Apps dafür gab, wären Selbstvermesser möglicherweise eher zum Arzt gegangen. Das ständige Vermessen aber verschafft labilen Persönlichkeiten eine Scheinsicherheit.
Sie sehen die Selbstvermessung also als Symptom?
Genau. Dahinter stecken Lebensangst und der Wunsch nach mehr Kontrolle. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, ihr Körper könne durch Zahlen und deren Auswertung kontrolliert werden. Doch der Körper ist kein Computer, und er kann nicht so vermessen werden, dass man ihn hundertprozentig unter Kontrolle hat.
Was haben Menschen, die sich selbst vermessen, sonst noch gemeinsam?
Ich habe keine Zahlen, um das zu belegen, aber mein Eindruck ist, dass es sich vorwiegend – wenn auch nicht ausschließlich – um technikaffine Männer handelt. Spaß an den Apps gehört auf jeden Fall dazu, aber auch die Möglichkeit, das oft schwache Selbstwertgefühl durch Vergleiche mit anderen Selbstvermessern in Internet-Communitys zu steigern.