Alzheimer ist heute eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit. Allein in Deutschland sind rund 1,3 Millionen Menschen von der fortschreitenden Demenz betroffen – Tendenz steigend. Doch für die Patienten gibt es bisher kaum Hoffnung auf Heilung, denn es gibt noch keinen Wirkstoff, der den fortschreitenden Verlust von Hirnzellen effektiv stoppen oder den damit verbundenen Gedächtnisverlust rückgängig machen kann. Zwar hat es schon einige Wirkstoffkandidaten gegeben, die im Tierversuch hoffnungsvolle Ergebnisse erzielten, viele von ihnen erwiesen sich aber beim Menschen als kaum wirksam. Doch dank neuer Erkenntnisse zu den Krankheitsursachen und neuer Methoden scheint es jetzt wieder etwas mehr Hoffnung zu geben. Immerhin 35 vielversprechende Wirkstoff-Kandidaten werden in nächster Zeit in klinischen Studien getestet.
Diabetesmittel im Test
Jetzt könnten Christian Hölscher von Lancaster University und seine chinesischen Kollegen ein weiteres möglicherweise wirksames Mittel entdeckt haben. Es handelt sich dabei nicht um einen komplett neuen Wirkstoff, sondern um ein Medikament, das bereits für die Behandlung einer anderen Krankheit entwickelt und getestet wurde: Diabetes Typ 2. Dieses Mittel, ein sogenannter Tripel-Rezeptor-Agonist, setzt an drei Rezeptoren gleichzeitig an, die Botenstoffe für den Insulin- und Zuckerstoffwechsel aktivieren. Die Wachstumsfaktoren GLP-1, GIP und Glucagon stehen bereits länger in Verdacht, nicht nur dem Diabetes entgegenzuwirken, sondern auch das Gehirn zu schützen. “Klinische Studien mit älteren Versionen dieses Wirkstofftyps haben bereits sehr vielversprechende Ergebnisse bei Patienten mit Alzheimer und psychischen Erkrankungen ergeben”, erklärt Hölscher.
Für ihre Studie verabreichten die Forscher Mäusen mit einer angeborenen Form von Alzheimer zwei Monate lang täglich eine Dosis des Wirkstoffs. Vor und nach der Behandlung absolvierten alle Mäuse Lern- und Gedächtnistests in einem Labyrinth. Außerdem untersuchten die Wissenschaftler ihren Hirnstoffwechsel, die Menge der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn sowie Abbau und Wachstum von Neuronen. Auch den oxidativen Stress und Entzündungszeichen des Gehirns überwachten die Forscher.
Gedächtnisverlust rückgängig gemacht
Es zeigte sich: Während die mentalen Leistungen der Alzheimer-Mäuse ohne Behandlung weiter abnahmen, besserte sich der Zustand der mit dem Diabetes-Mittel behandelten Tiere deutlich. Die Mäuse schnitten im Labyrinth-Test besser ab als vorher und auch besser als ihre unbehandelten Altersgenossen. Ihre Lernfähigkeit stieg ebenfalls wieder an. “Die Behandlung machte die Gedächtnisdefizite bei diesen Mäusen rückgängig”, berichten die Forscher. Wie sie feststellten, hatte sich durch das Mittel die Zahl der Amyloid-Plaques im Gehirn der Tiere verringert und der Abbau der Hirnsubstanz hatte signifikant abgenommen. Gleichzeitig war die Menge der neuroprotektiven Wachstumsfaktoren signifikant erhöht, wie Hölscher und seine Kollegen berichten. Auch die Anzeichen für Entzündung und oxidativen Stress in Hirnrinde und Hippocampus wurden durch die Therapie reduziert.
“Diese sehr vielversprechenden Ergebnisse demonstrieren, dass solche neuen, an multiplen Rezeptoren ansetzenden Diabetes-Wirkstoffe auch gegen Alzheimer helfen könnten”, sagt Hölscher. Auch wenn die jetzigen Tests nur mit Mäusen durchgeführt wurden, sind die Forscher zuversichtlich, dass dieser und ähnliche Wirkstoffe auch beim Menschen wirken und zu neuen Therapien gegen Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen führen könnten. “Wir haben gezeigt, dass diese neuen Triple-Rezeptor-Wirkstoffe vielversprechende Kandidaten für neue Alzheimer-Mittel sein könnten”, sagt Hölscher.
Noch müssen zwar weitere Tests folgen, um unter anderem die geeignete Dosis zu ermitteln. Doch weil dieses Mittel bereits gegen Diabetes Typ 2 ausgiebig getestet worden ist, sind weniger Studien nötig als bei völlig neuen Wirkstoffen – und das könnte die Zeit bis zu ersten klinischen Studien mit Patienten verkürzen. Zudem laufen bereits einige klinische Studien mit Substanzen, die auf ähnliche Weise wirken.