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Schluss mit DNA-Pfusch

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Schluss mit DNA-Pfusch

EIN HAAR am Tatort, ein paar Hautzellen, ein eingetrockneter Blutstropfen: Das genügt der Polizei für einen „genetischen Fingerabdruck“, um noch Jahrzehnte nach einem Verbrechen den Täter zu überführen. Vorausgesetzt, die in der Tatspur gefundene Erbsubstanz DNA lässt sich durch Abgleich mit einer DNA-Datenbank einem Verdächtigen zuordnen. 1998 beschlossen 15 rechtsmedizinische Institute, in Magdeburg eine mt-DNA-Datenbank anzulegen. Unter mt-DNA versteht man Erbmaterial, das nicht aus dem Zellkern stammt, sondern aus den Mitochondrien – den Energie produzierenden Organellen im Zellplasma. Es gibt mehr mt-DNA als Zellkern-DNA – das vergrößert die Chance auf einen Fund.

Gute Aussichten für eine erfolgreiche Verbrecherjagd – eigentlich. Doch Walther Parson, Professor für Molekularbiologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Innsbruck, entdeckte schon wenige Jahre nach der Gründung grobe Schlampereien in der Magdeburger „D-Loop-Base“: angefangen von vertauschten Erbinformationen über falsch eingegebene Nonsens-Daten bis hin zu fehlenden Datensätzen (bild der wissenschaft 10/2004, „DNA-Pfusch vor Gericht“). Die Verantwortlichen haben die Datenbank inzwischen aus dem Verkehr gezogen. Der entstandene Schaden, sprich: die Zahl der entkommenen Täter und der unschuldig Verurteilten, ist bislang nicht geklärt.

Parson und sein Team machten sich an die Arbeit, in Innsbruck eine komplett neue mt-DNA-Datenbank aufzubauen. Seit Herbst 2006 ist „EMPOP“ online. Mit derzeit über 33 000 mt-DNA-Datensätzen ist sie nicht nur die weltweit umfangreichste Einrichtung dieser Art, sondern auch die qualitativ hochwertigste. Dafür müssen die Daten liefernden Labore auf manuelle Dateneingabe verzichten – denn Menschen, die auf Tastaturen tippen, machen Fehler. Parson und seine Kollegen arbeiten zudem mit eigens entwickelter Software, um Ungereimtheiten in den Datensätzen aufzudecken. Diese Programme entstanden in interdisziplinärer Teamarbeit mit Mathematikern und werden laufend optimiert.

Grundlage für die Fehlererkennung ist die enge Verwandtschaft der mt-DNA aller Menschen. Sie wird allein in mütterlicher Linie vererbt – und zwar bis auf wenige Mutationen ohne Veränderungen. Die Software stellt die Verwandtschaft verschiedener mt-DNA-Codes eines Datensatzes grafisch dar, in Form eines Netzwerks. Handelt es sich um einen guten Datensatz, ordnen sich alle Daten zentral im Netzwerk an, da sie einander ähneln. Stehen Daten weit außen im Netzwerk, was eine entferntere Verwandtschaft suggeriert, nehmen Parson und seine Kollegen die betreffenden Labordaten noch einmal genau unter die Lupe.

Inzwischen hat sich die Datenbank international etabliert. „ EMPOP hat zu einer Standardisierung und Harmonisierung der mt-DNA-Analytik beigetragen“, sagt Parson. Besonders stolz ist er, dass selbst die US-Bundespolizei FBI ihre Richtlinien für die Interpretation und Qualitätssicherung von mt-DNA-Daten an die von EMPOP angepasst hat. Die amerikanische Ermittlungsbehörde war in den frühen 1990er-Jahren führend in dieser Disziplin und greift nun auf die Innsbrucker Methoden zurück, „obwohl das FBI natürlich mit einem viel umfangreicheren Forschungsbudget ausgestattet ist“, wie Parson anmerkt.

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Hierzulande hat sich EMPOP in der forensischen Fallarbeit längst durchgesetzt. In einem Urteil von 2010 hat der deutsche Bundesgerichtshof ausdrücklich anerkannt, dass die neue mt-DNA-Datenbank in Innsbruck nach wissenschaftlich zweifelsfreien Kriterien arbeitet – ein offizielles Gütesiegel der Karlsruher Rechtshüter. Stephanie Kappes ■

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