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Spinat macht stark

Gesundheit|Medizin

Spinat macht stark
Lange galten Nitrit und Nitrat als krebserregend. Jetzt heißt es: Die Salze sind gut – etwa für Herz und Muskelkraft. Was ist dran?

Der Comic-Matrose Popeye hat recht: Spinat macht stark. Ursache ist aber nicht das Eisen darin, wie lange fälschlich vermutet, sondern der hohe Nitratgehalt. Das hat eine Studie von Forschern des schwedischen Karolinska- Instituts kürzlich nachgewiesen. Als sie das Trinkwasser von Mäusen mit Nitrat (NO3 – ) anreicherten, fanden sie danach eine erhöhte Konzentration von Kalzium in den Muskeln der Tiere. Dadurch wuchsen „schnell zuckende Fasern“ heran, die bei kurzem, hohem Kraftaufwand nötig sind. Auf den Menschen übertragen entsprach die verabreichte Nitratmenge etwa der, die ein typischer Gemüseliebhaber zu sich nimmt.

Und Wissenschaftler haben noch mehr Erstaunliches zu berichten: Nitrat und seine Verwandte, die bislang als krebserregend geltende Substanz Nitrit (NO2 – ), können anscheinend das Herz schützen und so das Leben verlängern. Waren demnach all die Warnungen vor nitratreichen Gemüsesorten wie Blattsalat, Spinat oder Rucola falsch?

Das schlechte Image der beiden Salze stammt aus den 1970er- und 1980er-Jahren, als man herausfand, dass Nitrat im Körper zu Nitrit umgewandelt wird. In Anwesenheit von Aminosäuren – Eiweißbausteinen, die im Körper allgegenwärtig sind – bilden sich aus Nitrit Nitrosamine. Weil diese mit den Nukleinsäuren der Erbsubstanz reagieren können, gelten sie als stark krebserregend. Sehr viele Nitrosamine stecken zum Beispiel in Zigarettenrauch. Und in der Tat erhöht eine verstärkte Nitrosamin-Produktion das Risiko für Magentumore – im Tierversuch.

mythos Krebsgefahr

Ob das aber auch für den Menschen gilt, ist fraglich. Zumal vieles darauf hindeutet, dass Nitrat aus der Nahrung beim Menschen nicht zu Krebs führt. Bis zu 90 Prozent dieses stickstoffhaltigen Salzes, das wir zu uns nehmen, stammen aus Obst und Gemüse. Gemüse-Fans leiden aber tendenziell seltener an Krebs als Fleisch-Fans. Zwar erhöhen gepökelte Lebensmittel das Risiko für Darm- oder Magenkrebs. Das liegt aber offenbar nicht am Nitrat oder seinem Stoffwechselprodukt, dem Nitrit: Die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Schmid von der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) rechnete in einem Übersichtsartikel von 2007 vor, dass lediglich 1,3 Prozent der im Körper zirkulierenden Nitritmenge aus verspeistem Geräuchertem stammen. „Keine der zahlreichen Studien konnte einen Zusammenhang zwischen Nitrat oder Nitrit aus der Nahrung und Krebsentstehung beim Menschen nachweisen“, bestätigt Alan Schechter von den National Health Institutes in Bethesda.

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Die Wandlung „vom Saulus zum Paulus“ begann mit Studien, an denen Personen teilnahmen, die viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch aßen. Die Ergebnisse bescheinigten ihnen nicht nur eine geringere Anfälligkeit für bestimmte Krebsarten. Auch Herzinfarkte, Schlaganfälle und Demenzen traten seltener auf – obwohl Grünzeug-Fans relativ hohe Nitratmengen von bis zu 300 Milligramm täglich zu sich nehmen. Zum Vergleich: Ein Fleischesser bringt es nur auf rund 100 Milligramm pro Tag.

Auch Studien zur „DASH-Diät“ (Dietary Approaches to Stop Hypertension), die seit 1997 laufen, lassen aufhorchen. Demzufolge können Bluthochdruckpatienten ihre Hypertonie mit neun Portionen Obst und Gemüse täglich deutlich senken (um bis zu elf Millimeter Quecksilbersäule), und Gesunde können Bluthochdruck dadurch vorbeugen.

Die Probanden nahmen mehr als 1000 Milligramm Nitrat täglich zu sich – ein Wert, der den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwert um 550 Prozent überschreitet. „Hier stellt sich die Frage, ob der bisher ungeklärte Mechanismus der blutdrucksenkenden Wirkung einer DASH-Diät möglicherweise auf deren hohem Nitratgehalt beruht“, resümierten 2010 Experten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Auch die viel gepriesene Mittelmeerdiät und die traditionelle japanische Ernährungsweise liefern weit mehr Nitrat, als die WHO empfiehlt. Trotzdem gelten beide Ernährungsformen als ideal für Herzkranke.

Wie das pflanzliche Nitrat der Gesundheit zugute kommen könnte, daran wird derzeit emsig geforscht. Bislang ist klar: Das Salz wird im Dünndarm zwar vollständig resorbiert, doch rund 75 Prozent werden über den Urin wieder ausgeschieden. Der Rest zirkuliert in der Blutbahn und gelangt in den Speichel. Hier machen sich Bakterien über den Nährstoff her und hinterlassen Nitrit. Dieses schluckt der Mensch und nimmt es über den Verdauungstrakt ins Blut auf. Bei Teilnehmern der DASH-Diät-Studien haben die Forscher bis zu fünf Milligramm Nitrit im Speichel nachgewiesen. „Diese vergleichsweise hohe Konzentration müsste zu der absurden Empfehlung führen, auf das Verschlucken von Speichel zu verzichten“, schreiben die DGE-Experten.

Gut fürs Herz

Der Körper selbst bildet aus der Aminosäure Arginin durch chemischen Umbau Nitrat und dessen Folgeprodukte, im Schnitt etwa 70 Milligramm täglich. Organe wie Lunge oder Leber sind für die Umwandlung von Nitrat in Nitrit zuständig. Enzyme in den Gefäßwänden verwandeln das zirkulierende Nitrit dann in Stickstoffmonoxid (NO), das einen positiven Einfluss auf die Blutzellen und die glatten Muskelzellen in den Gefäßen hat: Ist genug von dem reaktionsfreudigen Gas vorhanden, erweitern sich die Blutgefäße. Dadurch gelangen größere Mengen Sauerstoff mit weniger Pumpleistung zum Herzen. Außerdem verklumpen die Blutplättchen seltener und es kommt nicht so leicht zu Entzündungen. All das sorgt für eine gesundes Herz. „Seit dem Mittelalter kommen bei Herzkrankheiten Nitrat-Arzneien zum Einsatz“, erklärt der US-Wissenschaftler Alan Schechter.

Auch unter Sportwissenschaftlern wird Nitrat heiß diskutiert – denn das Salz macht nicht nur Mäuse stark. Forscher der Universität Maastricht ließen Radsportler sechs Tage lang täglich 140 Milliliter nitratreichen Rote-Bete-Saft trinken und verglichen ihre Leistung auf einer Zehn-Kilometer-Tour mit der von Sportlern ohne Nitrat-Plus. Ergebnis: Mit dem Saft benötigten die Radler nur 953 statt 965 Sekunden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie der University of Exeter. Tranken Senioren den Rübensaft, verbesserten sich Blutdruck und maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2 max) bereits nach drei Tagen. VO2 max ist ein wichtiges Maß für die Ausdauerleistung: Der Wert gibt an, welche Menge Sauerstoff der Körper verwerten kann. Zur Leistungssteigerung nehmen ambitionierte Sportler Nitrat- Supplemente wie Nitrat-Citrullin oder Nitrat-Creatin ein.

Nitrat scheint noch einen weiteren Vorteil für die Gesundheit zu haben: Sein Stoffwechselprodukt Stickstoffmonoxid schützt den Magen, indem es für eine verstärkte Durchblutung sorgt, was die Schleimproduktion anregt – das wiederum verhindert Entzündungen der Magenschleimhaut. Einige Forscher empfehlen daher, Aspirin gemeinsam mit Rote-Bete-Saft einzunehmen.

In Zukunft Nitratpillen?

Nitrit eignet sich zudem zur Bekämpfung von Krankheitserregern. Je mehr von dem Salz im Speichel enthalten ist, desto weniger Chancen haben Kariesbakterien, Unheil anzurichten. Die neuen Erkenntnisse könnten auch erklären, weshalb Arbeiter in Düngerlagern, die täglich Nitratstäube einatmen, eine höhere Lebenserwartung haben als der Rest der Bevölkerung, wie Forscher bereits in den 1980er-Jahren herausfanden.

Sollen Ärzte in Zukunft Nitratpillen verabreichen, um Krankheiten vorzubeugen oder gar zu heilen? „Die Datenlage ist für solche Empfehlungen noch zu dünn“, meint Thomas Münzel, Herzspezialist und Nitratforscher am Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Und wie steht es um die Forderung von Landwirtschaftsverbänden, die Begrenzungen für den Nitratgehalt in Lebensmitteln und Wasser zu lockern? Auch das weisen Experten derzeit zurück. Denn: Säuglingen kann Nitrit sehr wohl gefährlich werden, da das Salz mit dem Hämoglobin im Blut reagiert. Dabei entsteht das sogenannte Methämoglobin, das keinen Sauerstoff transportieren kann.

Erwachsene verfügen mit dem Enzym Diaphorase über eine Möglichkeit, das gefährliche Methämoglobin wieder ins ungefährliche Hämoglobin zurückzuverwandeln. Doch Neugeborenen bis zum dritten Lebensmonat fehlt dieser Entgiftungsmechanismus. Die mangelnde Sauerstoffversorgung des Blutes kann zu einer Blausucht führen, bei der die Babys im schlimmsten Fall ersticken.

Vorsicht bei Kindern!

In den 1970er-Jahren gab es mehrere Blausuchtfälle in Deutschland, ausgelöst vor allem durch mit Nitrat belastetes Trinkwasser. Zur gefürchteten „Methämoglobinämie“ kam es aber auch vereinzelt durch nitratreiches Gemüse. Bewahrt man etwa pürierten Spinat zu lange auf, bildet sich aus dem darin enthaltenen Nitrat Nitrit, was für ein kleines Kind lebensgefährlich werden kann.

Deswegen, und weil eine Überdüngung der Felder mit Nitrat zur Eutrophierung von Gewässern führen kann, hat der Gesetzgeber Höchstmengen eingeführt. Leitungswasser darf laut Trinkwasserverordnung maximal 50 Milligramm Nitrat und 0,1 Milligramm Nitrit pro Liter enthalten. Für im Winter geernteten Rucola gilt seit April 2012 ein Grenzwert von 7000 Milligramm Nitrat pro Kilogramm, bei Spinat liegt die Obergrenze bei 3500 Milligramm. Dies sind bereits gelockerte Werte, da selbst bei guter landwirtschaftlicher Praxis die ursprünglichen Maximalwerte nicht eingehalten werden, argumentierten Experten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in einem 2008 vorgelegten Gutachten. Darin kamen sie zu dem Schluss, dass Gesundheitsgefahren durch die angehobenen Maximalmengen an Nitrat unwahrscheinlich sind und die positiven Wirkungen des Gemüseverzehrs überwiegen.

Am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hingegen war man gegen die Anhebung der Höchstmengen und ist auch gegen jegliche weitere Lockerung. Der mögliche gesundheitliche Nutzen sei nicht so gut belegt wie die negativen Wirkungen etwa auf Säuglinge, meint Hellmuth Schafft, Toxikologe am BfR. Zunächst gilt es also, weiter zu forschen, bis die Wirkung von Nitrat und Nitrit eindeutig entschlüsselt ist. ■

KATHRIN BURGER war bei ihrer Recherche erstaunt, wie schwer sich alte Ernährungs-Dogmen revidieren lassen.

von Kathrin Burger

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