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Achtung: Tollwut!

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Achtung: Tollwut!
Tollwut-Warnschilder gibt es in Deutschland seit Jahren nicht mehr. Doch die Gefahr ist nicht gebannt.

Es ist ein lauer Sommerabend in Berlin. Die Hauptstadt erstickt im Feierabendverkehr, als eine Meldung bei der Feuerwehrleitstelle eingeht: „Tier in Notlage“. Aufmerksame Passanten haben einen Mann beobachtet, der sich um eine Fledermaus kümmerte. Das Tier verhielt sich sonderbar und schien krank oder verletzt zu sein. Der etwa 40-jährige Tierfreund blutete aus einer Wunde am Finger, die vermutlich von einem Biss des Tiers stammte.

Die Einsatzkräfte rücken aus nach Berlin-Mitte. Um herauszufinden, ob die Fledermaus krank ist, bringen sie das Tier zum Landeslabor Berlin-Brandenburg. Der Mann lehnt eine Behandlung seiner Verletzung im Krankenhaus ab. Und er hinterlässt weder Personalien noch Adresse.

TIerfreund in LebensGefahr

Wenige Tage später kommt eine erschreckende Nachricht aus dem Labor. Im Gehirn der inzwischen toten Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) hat man sogenannte EBLV1-Genotyp-5-Viren entdeckt. Diagnose: Tollwut – eine Infektionskrankheit, die ohne sofortige Behandlung tödlich verläuft.

In Berlin beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Tierfreund schwebt möglicherweise in Lebensgefahr. Sollte er sich infiziert haben, bleiben ihm maximal drei bis acht Wochen, bis erste Symptome auftreten: Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit, manchmal auch Fieber. Zudem kann es zu Empfindungsstörungen an der Bissstelle, zu Gliederschmerzen, Verwirrung, Aggressionen und einer Abneigung gegen Wasser kommen.

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Wird der Infizierte nicht sofort behandelt, liegen maximal zehn Tage zwischen den ersten Symptomen und dem Tod. Wer von einem infizierten Tier gebissen wurde, sollte sich daher sofort impfen und die Wunde behandeln lassen (postexpositionelle Tollwut-Prophylaxe).

Tollwut nicht ausgerottet

Seit 2008 gilt Tollwut in Deutschland als ausgerottet – zumindest die sogenannte terrestrische Form, die vom Fuchs übertragen wird. Die Zeiten roter oder gelber Warnschilder mit Aufschriften wie „Tollwut! Gefährdeter Bereich“ oder „Impfgebiet Tollwut“ sind seither vorbei. Dennoch ist die Gefahr für den Menschen nicht gebannt. Theoretisch kann sich nämlich jedes Säugetier infizieren und den Erreger durch einen Biss weitergeben. Gerade Fledermäuse haben mit ihrem abgeschotteten Lebensstil in Verbänden von 20 bis 200 Tieren für das Überleben der Viren in Europa gesorgt. Groß angelegte Impfkampagnen, wie sie bei Füchsen unternommen wurden, sind praktisch unmöglich.

gefährliche Unwissenheit

„Bis heute weiß man nicht, wo die Tiere genau leben. Man würde nur einen Bruchteil von ihnen erwischen“, erklärt Tierarzt Thomas Müller, der am Friedrich-Löffler-Institut (FLI) das Referenzlabor für Tollwut leitet. Die Ausbreitung der Fledermaus-Tollwut in Deutschland zu überwachen, ist schwierig, da die Tiere unter Artenschutz stehen und nicht getötet werden dürfen. Doch eine eindeutige Diagnose ist bisher nur nach dem Tod möglich. Auch stellt sich die Frage, ob eine flächendeckende Überwachung überhaupt nötig ist. „In Deutschland ist bisher noch kein Mensch an Fledermaus-Tollwut gestorben“, sagt Müller.

Wahrscheinlich sind sogar nur wenige Fledermäuse infiziert: 2012 gab es gerade einmal 14 dokumentierte Fälle. Das könnte zumindest teilweise an den kleinen Verbandzahlen liegen. Dadurch verringert sich die Gefahr, dass die Tiere das Virus untereinander verbreiten. Außerdem fressen deutsche Fledertiere nur Insekten und andere Kleintiere. Die berüchtigten Vampirfledermäuse, die sich vom Blut anderer Säuger ernähren, gibt es hierzulande nicht. Die Gefahr für den Menschen besteht vor allem in seiner Unwissenheit. Wie für jedes wildlebende Tier gilt auch für Fledermäuse: nicht mit bloßen Händen anfassen, vor allem keine kranken oder sehr zutraulichen Tiere.

Eindeutig lässt sich Tollwut nur anhand von typischen Antikörpern diagnostizieren. „Dieser Nachweis kann aber nicht am lebenden Organismus durchgeführt werden“, bedauert Müller. Im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten wandert das Virus über das Nervensystem zum Gehirn. „Es benutzt zelleigene Transportsysteme, um von einer Zelle zur nächsten zu gelangen. Zusätzlich ,kidnappt‘ es Proteine innerhalb von Zellen, um sich vor der Immunabwehr der Zellen zu verstecken“, erklärt Conrad Freuling, Veterinärmediziner und Experte für Fledermaus-Tollwut am FLI .

todesursache unbekannt

Daher ist eine Diagnose oft erst möglich, wenn das Virus ins Gehirn gelangt ist und klinische Symptome auftreten. Dann hat die massenhafte Vermehrung des Erregers jedoch bereits zu irreparablen Schäden geführt.

Was letztlich zum Tod führt, ist unklar. Möglicherweise enden die Hirnschäden des Patienten tödlich. Oder das Virus verändert den genetischen Code der Gehirnzellen und führt so zu einer Fehlfunktion der betroffenen Zellen. Erste Anzeichen für veränderte Gene in Nervenzellen, die eine Tollwut-Infektion überstanden haben, gibt es bereits.

Ob sich der Berliner Tierfreund infiziert hat, ist nicht bekannt. Trotz der groß angelegten Suche bleibt sein Schicksal ungewiss. Er wurde nicht gefunden, auch nicht unter den Verstorbenen. ■

von Sonja Klein

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