Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Ackerbau im 11. Stock

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Ackerbau im 11. Stock
Mit originellen Konzepten holen Architekten und Ökologen Stück für Stück die Natur in die Städte.

„Die Trennung zwischen Stadt und Land gibt es nicht mehr”, sagt der Stuttgarter Ökologie-Professor Folkard Asch, der sich mit Landwirtschaft in den Tropen beschäftigt. Was er damit meint, zeigt ein Blick aus dem Fenster. Sein Büro auf dem Campus der Universität Hohenheim im Stuttgarter Süden liegt zwar in der Stadt, aber dennoch im Grünen, unmittelbar neben dem Park von Schloss Hohenheim.

Vor einem Jahrhundert war die Welt noch klar geordnet: In den dörflichen Regionen hatte die Natur das Sagen, in der Stadt qualmten die Schlote – hier ein grünes Idyll, dort eine triste Steinwüste. Doch die Gegensätze verwischen mehr und mehr. Landwirtschaftliche Nutzflächen mit ihren Monokulturen und ihrer Nähe zur Chemie verkommen zu Agrarwüsten, während die Städte ergrünen. Wenn der Trend anhält, kann bald jeder Städter behaupten, er wohne im Grünen.

Schon heute macht sich in den Straßenschluchten ein vielfältiges Tier- und Pflanzenleben breit. Sogar Marder, Fuchs und Wildschwein haben sich an Autos und Fußgänger, Stein und Beton gewöhnt. Auch die Menschen selbst sorgen für ein Stück Natur direkt vor ihrer Haustür. Auf immer mehr Dächern gedeiht ein üppiges Biotop. In Deutschland ist inzwischen jedes zehnte Flachdach begrünt. In Nordamerika registriert die Branche der Dachgärtner einen jährlichen Zuwachs von mehr als 20 Prozent. Auch an vielen Hauswänden sprießt es.

Dazu kommen die städtischen Parks. Was wäre New York ohne den Central Park, London ohne den Hyde Park und München ohne den Englischen Garten? Und in New York haben Anwohner dafür gesorgt, dass auf einer Trasse der früheren Hochbahn ein kilometerlanger Park entstand, der inzwischen zur Touristenattraktion geworden ist. Selbst auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Rangierbahnhofs Tempelhof darf sich die Natur breit machen. Vor 30 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.

Anzeige

In Deutschland entfällt mittlerweile rund ein Drittel der Fläche, die überbaut oder neu kultiviert wird, auf Erholungsflächen – vor allem auf Grünanlagen und Sportplätze. Früher war das anders: Im bestehenden Stadtraum machen die Erholungsflächen nur 8,5 Prozent aus. Moderne Städter lieben das Grün. Nicht nur, dass sie sich selbst um die kleinsten Vorgärten kümmern, sie kämpfen auch um jeden Straßenbaum.

Der Streit um Bäume sorgt sogar für politische Unruhen. In Stuttgart konzentrierte sich der Protest gegen den neuen Tiefbahnhof „Stuttgart 21″ monatelang auf das Fällen von Hunderten alter Parkbäume für seinen Bau. Ähnlich in Istanbul: Als der Gezi-Park gerodet werden sollte, machte die türkische Jugend im ganzen Land gegen Präsident Erdogan mobil. Ein kleines Fleckchen Grün wurde zum Zündfunken für eine breite Bewegung.

Doch das Bedürfnis nach Grün treibt auch kuriose Blüten: Der niederländische Architekt Koen Olthuis hat für dicht bebaute Küstenstädte wie Hongkong und Singapur den „Sea Tree” entworfen – einen 30 Meter hohen schwimmenden Pflanztrog, eine Art Arche Noah, in dem heimische Tiere und Pflanzen ein Zuhause finden. Das künstliche Naturschutzgebiet soll vor der City im Wasser dümpeln. Und der belgische Architekt Vincent Callebaut visioniert riesige Wohnpilze und andere futurische grüne Elemente im Stadtbild.

Gesunde Kost vom Dach

Zudem es wird immer beliebter, Gemüse in der Stadt anzubauen – auf brachliegenden Flächen, Dächern oder in Kübeln. Während in Havanna und Shanghai beim „Urban Farming” die preisgünstige Selbstversorgung im Vordergrund steht, geht es in New York und Berlin vor allem um gesunde Kost und soziales Miteinander. Manche Experten gehen sogar noch einen Schritt weiter als diese Kleingärtner und wollen professionelle Landwirtschaft in die Städte holen. Das würde die Rolle von Stadt und Land vollends vertauschen. Bananen und Weizen, Tomaten und Erdbeeren sollen dann im Wolkenkratzer wachsen. Wenn schon Autos in Häusern stehen, warum sollen nicht auch Lebensmittel dort ihren Platz finden?

Der Mikrobiologe Dickson Despommier von der New Yorker Columbia University hat 1999 den Begriff „Vertical Farming” in Mode gebracht. Zusammen mit seinen Studenten entwarf er eine 30 Stockwerke hohe Agrarfabrik, die neben Tomaten und Kräutern auch Fische und Edelpilze hervorbringen soll. Seither haben Architekten und Agrarwissenschaftler viele fantastische Ideen beigesteuert, von denen allerdings bisher noch keine umgesetzt wurde.

Nachdenken im Biergarten

Auch der Stuttgarter Tropenökologe Asch ist mit dabei. Er will in Hochhäusern das Grundnahrungsmittel Reis anbauen. Der Wissenschaftler kann sich noch gut daran erinnern, wie er mit seinem Kollegen Jochen Sauerborn im Biergarten saß und darüber nachdachte, was man wissen muss, um Reis in einer künstlichen Umgebung zu kultivieren: Was brauchen die Pflanzen an Licht, Wasser und Nährstoffen? Wie regieren sie auf unterschiedliches Kunstlicht? Wie verändert sich der Ertrag, wenn man sie Tag und Nacht, womöglich gar von unten, beleuchtet? Asch war überzeugt, dass ihm eine Recherche schnell die Antworten liefern würde. Doch da hatte er sich getäuscht: „Man weiß nichts darüber”, wundert er sich. Daher betreibt der Wissenschaftler seit ein paar Jahren Grundlagenforschung.

Sein Doktorand Marc Schmierer hat eine mannshohe lichtdichte Klimakammer gebaut, in der reflektierende Folien für eine diffuse Beleuchtung sorgen. Darin untersucht er, wie Reis auf Licht unterschiedlicher Wellenlänge reagiert und welche Luftfeuchtigkeit für das Wachstum des Getreides optimal ist. Eines hat Schmierer schon herausgefunden: Wenn er die Luftfeuchtigkeit senkt, verdunsten die Pflanzen mehr Wasser und sorgen flugs wieder für den alten Wert. Das Grün fungiert wie eine Klimaanlage und bestimmt selbst seine Atmosphäre.

Folkard Asch würde seine Forschungen gerne intensivieren, vielleicht sogar eine Pilotanlage bauen, doch seine Förderanträge beim Bund wurden bisher als „zu unrealistisch” zurückgewiesen. Dabei hat das Bundesforschungsministerium im März selbst einen Workshop zum Thema „Vertical Farming” veranstaltet.

Asch kann viele Vorteile der innerstädtischen Landwirtschaft nennen. Vor allem verbraucht sie wenig Fläche. Derzeit ist zwar noch genügend Ackerland vorhanden, um die Weltbevölkerung halbwegs satt zu kriegen. Doch das könnte sich schon in wenigen Jahrzehnten ändern. Denn die Menschheit wächst, und immer mehr Ackerland geht durch Erosion, Versalzung oder Bebauung verloren.

Im Hochhaus toben keine Stürme

Ein weiteres Argument: Herkömmliche Felder sind anfällig für Stürme, Überschwemmungen, Ungeziefer, Krankheiten, Dürren und andere Plagen. Im Hochhaus sind die Pflanzen davor gefeit. Dort können Agraringenieure ein optimales Milieu schaffen und so die Ausbeute erheblich steigern. „Der Flächenertrag von Reis könnte sich von derzeit durchschnittlich vier Tonnen pro Hektar auf zehn bis zwölf Tonnen verdreifachen”, ist Asch überzeugt. Es gäbe keine Engpässe wegen Missernten, weil die „Fabrik” täglich verlässliche Mengen liefern würde.

Dazu kommen ökologische Vorteile. Heute pendelt ein Heer von Lastwagen täglich vom Umland in die Metropolen, um die nötigen Lebensmittel zu bringen. Und die Wege werden immer länger, weil die Städte wachsen. Die organischen Abfälle, in denen wertvolle Nährstoffe stecken, bleiben in der Stadt und gehen den Äckern verloren. Was Asch vorschwebt, ist eine nachhaltige Reisfabrik: ein Kreislaufsystem, in dem alles erhalten bleibt: Energie, Wasser und Nährstoffe. Nur die Getreidekörner würden das System verlassen.

jede reispflanze ist mobil

In seinem Wunsch-Hochhaus ist jede Reispflanze mobil, sodass sie immer dort steht, wo sie optimale Bedingungen hat. Nachts rückt ein Automat die Pflanzen dicht zusammen, und während des künstlichen Tages, wenn die Blätter Licht tanken, gehen die Pflanzen auf Abstand. Weder Erde noch stehendes Wasser sind nötig – das große Gewicht würde das Gebäude unnötig verteuern. Es genügt, die Wurzeln mit einer Nährlösung zu besprühen. Die Pflanzen wandern im Laufe ihrer Entwicklung auf einem Förderband von den oberen Etagen bis zum Erdgeschoss, wo sie schließlich geerntet werden.

Erdöl fördernde Wüstenstaaten, die über viel Geld, aber wenig Ackerland verfügen, könnten Gefallen an solchen Agrarfabriken finden. „Doch wir haben noch keine Technologie, die wir vermarkten könnten”, sagt Ökologe Asch. Um die zu entwickeln, schwebt ihm ein interdisziplinäres Projekt vor, an dem sich Maschinenbauer, Architekten, Biologen, Physiker und andere Experten beteiligen sollen.

Dabei müsste es natürlich auch um die Einsparung von Energie gehen. Denn bei einer ersten Überschlagsrechnung kam der Forscher zu dem Ergebnis, dass sein Agrar-Wolkenkratzer bei komplett künstlicher Beleuchtung rund ein Viertel der Ausbeute eines üblichen Atomkraftwerks verbrauchen würde. Doch er ist zuversichtlich, dass er diesen Wert noch erheblich drücken kann.

Während die teure Landwirtschaft im Hochhaus noch Zukunftsmusik ist, gehört das Grün als Fassadenschmuck längst zum Stadtbild. Es muss nicht immer Efeu oder Wilder Wein sein, der wie zu Omas Zeiten die Häuser hochrankt. Der französische Botaniker Patrick Blanc hat die Fassadenbegrünung revolutioniert. Wenn er Hand anlegt, spricht er von vertikalen Gärten. Denn die Bepflanzungen wirken wild und ursprünglich, als hätte sich ein Stück Urwald in die Stadt verirrt.

Tausende Pflanzen für die Wand

Die üppige Pracht kann man inzwischen in vielen Städten bestaunen, etwa in Berlin an der Fassade des Kaufhauses Galeries Lafayette. Blanc, der sich die Haare passend zu seiner Passion grün färbt, reist immer wieder um die Welt auf der Suche nach geeigneten Pflanzen für seine Installationen. Rund 2500 Arten hat er inzwischen im Sortiment. So erschafft er auf einer einzigen Wand Biotope mit mehreren Hundert Arten, die sich im Verlauf der Jahreszeiten verändern und wenig Pflege bedürfen. Aus einem Kunststoffschlauch tröpfeln nach einem festen Zeitplan Wasser und Nährstoffe. Die Wurzeln haften auf einem Vlies, das an einem Metallgerüst befestigt ist. Erde ist nicht nötig.

Patrick Blanc hat viele Nachahmer gefunden. Inzwischen gibt es eine Reihe patentierter Lösungen für grüne Wände. Zu ihren Schöpfern gehört das Unternehmen Helix Pflanzensysteme in Kornwestheim bei Stuttgart mit seinen 120 Mitarbeitern. „Der Boom geht jetzt gerade so richtig los”, freut sich Geschäftsführer Hans Müller. Auch als Lärmschutz seien die grünen Wände zunehmend gefragt.

Sogar innerhalb der Gebäude macht sich die Vegetation breit. Einige Architekturbüros haben sich auf Innengärten spezialisiert wie Andreas Schmidt mit seiner Agentur Indoorlandscaping mit Niederlassungen in München, Los Angeles und Mexico City. Die grünen Wände sollen die Raumluft befeuchten, Schadstoffe beseitigen, Sauerstoff liefern und für eine angenehme Atmosphäre sorgen.

Noch weiter geht der Stuttgarter Baubotaniker Ferdinand Ludwig, bei dem das komplette Gebäude lebt. Sein Baumaterial sind lebende Bäume. Als er vor zehn Jahren an der Universität Stuttgart mit ersten Versuchen begann, erntete er anfangs mitleidige Blicke. Das hat sich geändert. Für die baden-württembergische Landesgartenschau 2012 in Nagold errichtete Ludwig gemeinsam mit dem Architekten und Stadtplaner Daniel Schönle einen dreistöckigen kubischen Pavillon, der nun als Begegnungsstätte dient. Noch ist es eher ein begrüntes Stahlgerüst, auf dem mehrere Hundert Pflanztröge neben- und übereinander stehen. Doch die jungen Platanen, die darin gedeihen, werden im Lauf der Jahre miteinander verwachsen und ein robustes Fachwerk bilden, das alle vertikalen Lasten trägt. Dann kann man die Stahlstützen entfernen. Nur die stählernen Decken bleiben erhalten, auf denen man bequem laufen kann. Während der Gartenschau in Nagold war der Platanen-Kubus ein Highlight: „ Manchmal kamen mehr als 1000 Besucher am Tag”, berichtet Ludwig.

Aus dem X wird ein Y

In dem Projekt steckt viel Forschungsarbeit, wie man in der Versuchsstation für Gartenbau der Universität Hohenheim sieht. Hier lässt Ferdinand Ludwig die Stämme junger Bäume – Ahorn, Birken, Linden und Platanen – kreuzförmig miteinander verwachsen. Später kappt er einen Stamm bis zum Knoten, sodass aus dem X ein Y wird und eine einzige Wurzel beide Kronen versorgt. Die hölzernen Schnittstellen sind die Grundbausteine seiner Baumarchitektur. Allerdings wachsen die Stämme nicht von selbst zusammen. Man muss sie mit Edelstahlschrauben oder Seilen fest aneinanderpressen.

Manchmal ist es auch nötig, die Rinde einzuschneiden. Platanen, so ein Ergebnis der forscherischen Fleißarbeit, verwachsen leicht miteinander, Linden sträuben sich dagegen. Sobald der Saft ungehindert durch den Knoten fließt, lässt sich einer der Stämme kappen. Ludwig hat inzwischen einen Blick dafür, wann es soweit ist. Denn er hat bereits Hunderte Hölzer zerschnitten und unters Mikroskop gelegt. Seine lebenden Gebäude sind nur möglich, weil Stämme und Äste, sobald sie verholzt sind, nicht mehr in die Länge wachsen, sondern nur noch in die Breite. So bleiben die Etagen auf einer Höhe und geraten nicht in Schieflage.

Dennoch tun sich die Behörden schwer mit den Naturbauwerken, denn die amtlichen Regelwerke sind nicht für lebende Materialien gemacht. Statt eine statische Berechnung vorzulegen, muss Ludwig deshalb die Baumstruktur einem Belastungstest unterziehen, sobald er die Stahlstützen aus dem Platanen-Kubus entfernt hat. Wenn dabei nichts bricht, dürfen Besucher kommen.

Doch Ferdinand Ludwig strebt gar nicht an, Häuser oder Brücken nur aus Bäumen zu bauen. Diese „Naturromantik” sei Unsinn, sagt der Baubotaniker. Sein Ziel ist eine Verbindung von Natur und Technik, wobei die Bäume keine statische Aufgabe übernehmen sollen. Wie er sich das vorstellt, zeigt sein Entwurf zum „Haus der Zukunft”. Bei dem renommierten Architektenwettbewerb mit über 160 Teilnehmern hat er zusammen mit einem Partner den dritten Preis gewonnen. Das „Haus der Zukunft”, ein Status-Bau der Bundesregierung, soll auf 3500 Quadratmetern Ausstellungsfläche einen Blick in die Zukunft von Wissenschaft und Forschung liefern. Beim Beitrag der Stuttgarter ist die Baumstruktur lediglich wie eine Fassade vor das Gebäude gesetzt. Von außen wirkt das Gebäude wie ein großer Baum, von innen sieht man auf die Schatten spendenden Zweige, die sich mit den Jahreszeiten verändern.

Ob Parks, grüne Fassaden, lebende Bauwerke oder Straßenbäume – sie alle machen eine Stadt attraktiver, denn sie bringen ein Stück Natur zwischen die Mauern. Die Begrünung ist auch deshalb nötig, weil viele Städte wie Mexico City, Tokio und New York inzwischen so groß geworden sind, dass ihnen die Einwohner kaum noch für einen kurzen Erholungsspaziergang den Rücken kehren können. Und sie wachsen ungezügelt weiter. Sao Paulo wuchert so rasant, dass kein aktueller Stadtplan zu finden ist. Dass den Städten die Zukunft gehört, belegt auch die Statistik eindrücklich: Während vor 100 Jahren nur jeder zehnte Mensch in einer Stadt wohnte, ist es inzwischen jeder zweite. Im Ballungsraum Tokio drängen sich bereits mehr als 37 Millionen Menschen, ein Drittel der japanischen Bevölkerung.

Die riesigen Steinwüsten erzeugen ihr eigenes Klima. In Sommernächten kühlt die Luft kaum ab, der Wind lässt sich von Häuserfronten und Wolkenkratzern leiten statt von Hoch- und Tiefdruckgebieten, Feinstaub und Abgase erschweren das Atmen. Das Grün soll das Stadtklima erträglicher machen. Schließlich verbraucht eine einzige 100 Jahre alte Buche täglich rund 18 Kilogramm Kohlendioxid, produziert 13 Kilogramm Sauerstoff, bindet mit ihren Blättern Feinstaub und verdunstet rund 400 Liter Wasser.

Doch die Wissenschaftler tun sich schwer damit, die Wirkung der Vegetation auf das Stadtklima exakt abzuschätzen. Eine Arbeitsgruppe der Ruhr-Universität Bochum kam schon vor zehn Jahren zu dem Ergebnis, dass Straßenbäume die Luftqualität in der unmittelbaren Umgebung meist nicht verbessern. Denn sie stehen dem Wind im Weg, der die Schadstoffe aus den Straßenschluchten pustet. Alleebäume, die an einer stark befahrenen Straße stehen, können sogar wie ein Tunnel wirken, in dem sich der Dreck anreichert.

Herrlich kühle Sommernächte

Ein Park bietet die meisten Vorteile. Dort ist nicht nur die Luftqualität besser als in den Straßen, es bildet sich auch ein eigenes Mikroklima mit angenehm kühlen Sommernächten. Allerdings hilft das nur den Anwohnern direkt daneben. Einen Steinwurf weiter bestimmt schon wieder die Steinwüste das Klima. Hier könnten begrünte Fassaden helfen, die dem Wind nicht in die Quere kommen. Eine deutsch-britische Studie, an der auch Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beteiligt waren, kam zu dem Ergebnis, dass grüne Wände den Feinstaub um 10 bis 30 Prozent reduzieren können. Aber auch diese Berechnungen, die auf Computersimulationen basieren, sind unsicher.

„Wir haben vorausgesetzt, dass Regen den Staub von den Blättern wäscht”, sagt KIT-Klimaforscher Thomas Pugh. Doch lange trockene Sommer machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Außerdem haben Blätter unterschiedliche Oberflächenstrukturen und reagieren verschieden auf Staub und Regen. Dass eine üppige Vegetation nicht das Allheilmittel gegen Feinstaub ist, zeigt sich in Stuttgart, wo mit der Neckarstraße eine der dreckigsten Straßen Deutschlands fast direkt an einem Park entlangführt.

Für die Ökobilanz einer Stadt sind jeder Baum und jeder Busch ein Gewinn. Jeder weiß, wie beruhigend und angenehm ein Fleckchen Grün ist. Ein Neubaugebiet, auf dem schon Pflanzen wachsen, sagt der Kornwestheimer Großgärtner Müller, lasse sich leichter vermarkten als ein Gelände ohne Vegetation. „Es ist uns Menschen in die Wiege gelegt, dass wir die Natur brauchen.” ■

KLAUS JACOB, Bauingenieur und freier Wissenschaftsjournalist in Stuttgart, entflieht der urbanen Tristesse oft auf dem Sattel seines Fahrrads.

Ohne Titel

Kompakt

· Forscher wollen in Hochhäusern Obst, Gemüse und Getreide anbauen.

· Erholungsparks sollen im Meer vor Küstenstädten schwimmen.

· In vielen Städten sorgen schon heute begrünte Fassaden für eine größere Nähe zur Natur.

Mehr zum Thema

Internet

Infos zum Platanen-Kubus von Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle: www.ferdinandludwig.de/tl_files/fl/downloads/Broschuere%20 Platanenkubus.pdf

Grüne Visionen des belgischen Architekten Vincent Callebaut: vincent.callebaut.org/projets-groupe-tout.html

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Va|ri|ze  〈[va–] f. 19; Med.〉 = Krampfader; oV Varix … mehr

so|phis|ti|ca|ted  〈[sfistıktıd] Adj.〉 1 kultiviert, gepflegt, anspruchsvoll 2 hoch entwickelt, ausgeklügelt (Technik usw.) … mehr

Kie|fern|span|ner  〈m. 3; Zool.〉 im Frühjahr fliegender Spanner mit umfangreicher schwarzbrauner Zeichnung auf gelben Flügeln, bei Massenauftreten Forstschädling: Bupalus piniarius

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige