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„Ich liebe den Iran“

Geschichte|Archäologie

„Ich liebe den Iran”
Seit über zehn Jahren arbeitet der Archäologe Christian Piller im Iran. Im Spätsommer 2014 wird der Forscher die bdw-Leserreise in das sich öffnende Land begleiten.

bild der wissenschaft: Herr Piller, Sie graben im Iran, in Gohar Tepe am Kaspischen Meer. Was hat Sie dorthin verschlagen?

Christian Piller: Das ist eine längere Geschichte. Ich habe für meine Doktorarbeit in den 2000er-Jahren schon über diese Gegend geforscht. Und dann war ich im Iran lange als Reiseleiter unterwegs. Aus lokalen Zeitungsartikeln erfuhr ich, dass der iranische Archäologe Ali Mahfroozi seit 2003 Ausgrabungen in Gohar Tepe leitet. Das ist mit Abstand der größte Siedlungshügel im Norden des Iran. 2008 war ich dort, und wir haben beschlossen zusammenzuarbeiten. 2009 begann dann unsere erste Grabungskampagne.

Aus welcher Zeit stammt diese Siedlung?

Die ältesten Funde gehören in die Kupfersteinzeit um 4000 v.Chr. Rund 1000 Jahre später war Gohar Tepe zu einer großen Siedlung mit einer mächtigen Stadtmauer herangewachsen. Vermutlich wegen einer Klimaverschlechterung verließen viele Menschen am Ende des 3. Jahrtausends die Siedlung. Danach benutzte man den Hügel hauptsächlich als Gräberfeld. Wir müssen also zunächst Bestattungen aus einem ganzen Jahrtausend freilegen, bevor wir auf die frühbronzezeitliche Stadt treffen. Und es gibt ziemlich viele Gräber. Damit werden wir noch eine ganze Weile beschäftigt sein.

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Wo lebten die Menschen, von denen die Gräber stammen?

Das wissen wir noch nicht genau. Die bronzezeitliche Lehmziegelarchitektur lässt sich im Erdreich leider kaum noch nachweisen. Zudem dürften die Landwirtschaft und moderne Bauprojekte vieles zerstört haben. Wegen der Masse an Gräbern vermute ich, dass es sich im 2. und frühen 1. Jahrtausend um einen zentralen Bestattungsplatz handelte.

Sie sagten, am Ende des 3. Jahrtausends v.Chr. änderte sich das Klima. Wie konnten Sie das feststellen?

Das haben geologische Untersuchungen knapp 100 Kilometer weiter östlich beim heutigen Gorgan gezeigt. Dort gab es eine reiche Bronzezeitkultur in einer sehr fruchtbaren Gegend. Doch um 2000 v.Chr. wurde es dann extrem trocken, und die Menschen waren gezwungen, ihre Siedlungen aufzugeben.

Die Menschen zogen fort – nur nicht aus Gohar Tepe?

Es scheint so, aber wir versuchen noch herauszufinden, was dort genau geschah. Dazu machen wir auch Auto-Surveys. Das klingt skurril, aber die Gegend ist ziemlich weitläufig und sehr stark bewachsen – wir können gar nicht über Stock und Stein laufen. Deshalb fahren wir die Gegend mit dem Auto ab und fragen die Dorfbewohner, ob und wo sie vielleicht Keramik gefunden haben. Damit leisten wir in gewisser Weise Pionierarbeit. Das hört sich seltsam an, aber tatsächlich hat bis vor zehn Jahren in dieser Provinz kaum eine Ausgrabung stattgefunden.

Wie viele ausländische Archäologen arbeiten momentan im Iran?

Sehr wenige, allenfalls eine Handvoll. Das war nicht immer so. In den 1970er-Jahren etwa haben US-Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener, Dänen, Belgier und Österreicher im Iran gegraben. Als 1979 die Islamische Revolution ausgerufen wurde, mussten auf einen Schlag alle Ausländer das Land verlassen. Dann erschütterte in den 1980er-Jahren der Krieg gegen den Irak das Land. Erst danach liefen allmählich neue Projekte an, fanden wieder archäologische Kongresse statt und wurden Denkmalämter in den Provinzen eingerichtet. Doch der Karikaturenstreit 2005, als dänische Karikaturen des Propheten Mohammed für einen Aufschrei in der islamischen Welt sorgten, und die Protestwelle nach den Präsidentschaftswahlen 2009 haben die neu geschaffenen Kontakte wieder unterbrochen.

Und jetzt?

Den Fuß in die Tür zu setzen, ist kein Problem, sie aufzustoßen aber umso mehr. Es gilt sehr viele Vorschriften zu beachten – beispielsweise für die Publikation der Funde, die Beschäftigung von Arbeitern oder die Abstimmung mit dem Denkmalamt. Gerade haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Per Gesetz müssen nach den Wahlen alle Ämter neu besetzt werden – ein Prozess, der mehrere Monate dauern kann. Als Archäologe fängt man dann wieder von null an und wühlt sich erneut durch die Amtsstuben, um eine Grabungserlaubnis einzuholen.

Empfinden Sie die Amtsgänge als Schikane?

Nein, mit Schikane hat das gar nichts zu tun, sondern ganz schlicht damit, dass wir im Orient sind. Zum Beispiel im Frühjahr 2013: Da hatten wir nur unsere Arbeitsvisa in Händen, aber zunächst keine Grabungserlaubnis. Wir sind dann von München nach Teheran geflogen, haben uns durch die Ämter gefragt, und am Ende konnten wir zwar nur zwei statt vier Wochen arbeiten, nichtsdestotrotz kehrten wir mit guten Ergebnissen nach Hause zurück.

Das klingt abenteuerlich.

Es ist einfach so: Spricht man vor Ort mit den Leuten, ist viel mehr machbar als von Deutschland aus. Es läuft anders als bei uns. In einem deutschen Amt bedeutet ein Nein auch wirklich „ Nein”. Im Iran bedeutet ein Nein zuweilen „Vielleicht”. Und ein Vielleicht manchmal auch „Ja” (lacht). Man handelt wie auf dem Basar – und es gehört zum guten Ton zu verhandeln.

Gibt es etwas, dass Sie am Iran besonders schätzen?

Es ist ein unglaublich schönes Land. Die Gesellschaft, der Alltag und die Politik polarisieren und faszinieren zugleich. Gerade das macht einen so neugierig auf Land und Leute. Zudem ist der Iran im Umbruch, die Menschen sind aufgeschlossen und haben eine große Herzlichkeit. Ich liebe dieses Land.

Was hat sich in letzter Zeit verändert?

Zum Beispiel sind inzwischen über zwei Drittel der Studenten im Iran Frauen. Sie wollen sich nicht mehr einfach verheiraten lassen. Und die Väter sind stolz auf ihre Töchter. Viele sind berufstätig und gehen selbstständig durchs Leben. Noch vor 15 Jahren galt es als ungewöhnlich, wenn eine Frau alleinstehend war. Zwar will es die politische Situation nicht glauben lassen – aber die iranische Gesellschaft öffnet sich. Durch Reisen, Fernsehen und Internet haben sich die Menschen verändert.

Werden Fernsehen und Internet nicht auch von der Regierung kontrolliert?

Das ist zu vermuten, aber die Iraner sind durchaus in der Lage, sich ein eigenes Bild von ihrem Land und der Welt um sie herum zu verschaffen.

Die Menschen machen demnach das Beste aus ihrem Leben im islamischen Gottesstaat?

Die Regierung besteht auf gewissen Grundregeln: Kopftuch, Alkoholverbot, öffentliche Trennung der Geschlechter. Es geht der Regierung jedoch nicht darum, den Menschen alles Mögliche zu untersagen. Es ist ihr wichtig, dass es zu keinen Demonstrationen kommt.

Doch als die Anhänger von Hossein Mussawi 2009 gegen mutmaßliche Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen demonstrierten, ging die Regierung hart gegen sie vor.

Ja, ich war damals in Teheran und habe die Geschehnisse mitbekommen. Ich will nichts schönreden. Doch einige Wahlen haben auch für positive Überraschungen gesorgt. Das war schon 1997 so: Der gemäßigte Mohammad Chatami wurde damals zum Staatspräsidenten gewählt. Damit hatte keiner gerechnet. Seine Kandidatur galt als völlig aussichtslos. Genauso verhielt es sich vor Kurzem bei Hassan Rohani, dem neuen iranischen Staatspräsidenten. Er war mit Abstand der liberalste von allen Kandidaten. Freilich: Er ist auch schiitischer Geistlicher. Aber er wird vorsichtig vorgehen müssen, wenn er Reformen einleiten möchte.

Von den Perserkönigen der Antike bis zum Schah der Neuzeit – Persiens Kulturgeschichte ist lang. Wie wichtig ist den Menschen ihre Geschichte?

Sie sind sehr stolz auf ihre Vergangenheit. Das geht zurück bis zu Kyros I. und Persepolis im 6. und 5. Jahrhundert v.Chr.

Spielt die Vergangenheit im Alltag eine Rolle?

Ja, besonders die mittelalterliche Dichtkunst, etwa von Firdausi aus dem 10. Jahrhundert. Er hat das Schahname, das Königsbuch, geschrieben. Das ist eine Art persisches Nibelungenlied, in das diverse vorislamische Legenden und Geschichten eingeflossen sind. Viele Menschen können ganze Seiten seiner Erzählungen rezitieren. Die neupersische Sprache hat sich seit 1000 Jahren kaum verändert. Jeder kann die alte Dichtkunst im Original lesen und verstehen.

Die Iraner sind tiefer in ihrer Kultur verwurzelt als die Europäer?

Auf jeden Fall. Ein Beispiel: Wir standen einmal in Schiraz am Grab persischer Dichter und haben Werke von Saadi aus dem 13. Jahrhundert gelesen. Auf einmal kam eine Gruppe Iraner dazu. Einer fing an, eines von Saadis Gedichten vorzutragen, und der Rest sang im Chor mit.

Und wie steht die Regierung zur Geschichte des Landes?

Unterschiedlich. Der Schah nannte sich „König der Könige” in Anknüpfung an die persischen Großkönige der Antike. Ayatollah Chomenei distanzierte sich von der vorislamischen Zeit. Mohammad Chatami, Präsident und gleichzeitig Geistlicher, besuchte medienwirksam und voller Bewunderung Stätten wie Persepolis. Ahmadinedschad hat sich kaum dazu geäußert.

Gibt es etwas, das Sie von den Iranern gelernt haben?

Ja, locker und gelassen zu sein (lacht). ■

Das Gespräch führte Karin Schlott

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