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„Das Bauchgefühl ernst nehmen“

Allgemein

„Das Bauchgefühl ernst nehmen”
Die 1999 ins Leben gerufene Initiative „ Wissenschaft im Dialog” sollte den Stellenwert der Wissenschaft in der Gesellschaft aufpolieren. Was inzwischen erreicht wurde, erläutert Geschäftsführer Markus Weißkopf.

bild der wissenschaft: Wer unter dem Stichwort „ Wissenschaft im Dialog” im Internet recherchiert, zählt ein 23 Köpfe umfassendes Team. Hinter der Initiative steckt ordentlich Geld. Wie hoch ist Ihr Etat, Herr Weißkopf?

Markus Weißkopf: Er liegt bei etwa 2,5 Millionen Euro. Rund eine Million Euro fließt allein in das Projekt MS Wissenschaft, wobei der größte Teil davon für die Miete des Schiffs ausgegeben wird, das wir jährlich für gut sechs Monate im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF chartern, um die Ausstellung zum jeweiligen Wissenschaftsjahr durch Deutschland zu transportieren.

Was haben die Finanzmittel bisher bewirkt?

Die Initiative der deutschen Wissenschaft sollte den Bürgerinnen und Bürgern Wissenschaft näher bringen, sie dafür begeistern, dazu beitragen, mehr über Wissenschaft zu diskutieren und junge Menschen dazu animieren, ein naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Wenn wir heute die Landschaft der Wissenschaftskommunikation betrachten, offenbart sich, dass es sehr viele Aktivitäten gibt und dass die wissenschaftlichen Einrichtungen besser ausgestattete Öffentlichkeitsabteilungen haben als vor einem Jahrzehnt. Es gibt die Langen Nächte der Wissenschaft, Kinderuniversitäten, Science Slams, School Labs oder die MS Wissenschaft. Wir von Wissenschaft im Dialog haben zu vielen dieser Aktivitäten den Anstoß gegeben.

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Ein wichtiges Element der Popularisierung von Wissenschaft sind die Wissenschaftsjahre. Sie begannen 2000 mit dem Jahr für Physik und werden bis heute fortgeführt. Welche Jahre überzeugten? Welche erwiesen sich als zäh?

Die wichtigste Änderung gab es 2009, als man sich von den Jahren, die eine wissenschaftliche Disziplin fokussierten, verabschiedete und sich den großen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft stellte. Wo vorher Mathematik, Informatik oder Chemie im Mittelpunkt standen, ging es nun um Fragen, wie wir mit dem demografischen Wandel umgehen oder wie wir durch Forschung unser Leben nachhaltig gestalten können. Beides hat Vor- und Nachteile: Wenn man sich auf eine Disziplin fokussiert, sind die entsprechenden Wissenschaftler leichter zu begeistern. Andererseits fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger stärker angesprochen, wenn die Wissenschaftler auf ihre Fragen zu der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung eingehen.

Wie sieht die Besucherzahl in den Wissenschaftsjahren konkret aus?

Das Jahr der Mathematik 2008 beispielsweise verlief über die Erwartung gut, was auch daran lag, dass die wissenschaftliche Community um die Hauptfigur Professor Günter Ziegler sehr engagiert dabei war. Aufgrund der vielen dezentralen Aktivitäten in den Wissenschaftsjahren können wir leider keine genauen Zahlen ermitteln. Ich persönlich bin der Meinung, dass auch die Jahre mit geringerem Besucherzustrom ein Erfolg waren. Natürlich sind Themen wie Schwarze Löcher oder Erdbeben sexy. Doch auch Wissenschaftler, deren Fragestellungen nicht im ersten Moment Aufmerksamkeit finden, sollten eine breite Öffentlichkeit bekommen.

Wer bestimmt, welchem Gebiet sich das nächste Jahr der Wissenschaft widmet?

Das geschieht in Zusammenarbeit zwischen BMBF und Wissenschaft im Dialog, wobei wir zur Ausarbeitung der Themen natürlich auch Wissenschaftler aus dem Gebiet hinzuziehen. 2014 wird es um die digitale Gesellschaft gehen – ein topaktuelles Thema, in dem nicht nur die technische Entwicklung angesprochen wird, sondern auch Fragen beantwortet werden sollen wie „Was passiert mit unserer Privatsphäre?”.

Öffentliche Events gibt es zuhauf. Gehen die Events der Wissenschaft im prallen Terminkalender nicht unter?

Man muss da zwischen den verschiedenen Formaten unterscheiden. Eine „Lange Nacht” und ein „Tag der offenen Tür” setzen darauf, viele Menschen zu mobilisieren, auf Wissenschaft Appetit zu machen, zu zeigen, was Wissenschaft kann. Wenn die Besucher dann zwei, drei Botschaften mit nach Hause nehmen, ist das okay. Die Breite zu erreichen ist bis heute eine Herausforderung. Für viele Wissenschaftler ist es noch immer ein Problem zu popularisieren. Sie fürchten, zu platt zu werden und damit an Seriosität einzubüßen. Neben Großveranstaltungen brauchen wir auch kleine Formate, um mit den Bürgern direkt in Dialog zu treten – etwa bei schwierigen oder kritischen Themen wie Synthetische Biologie, Geo-Engineering, Fracking. Sie firmieren bei uns unter Titeln wie „Wissenschaft kontrovers” oder „Wissenschaftliches Nachtcafé” .

Wie viele Menschen erreichen die Formate von Wissenschaft im Dialog typischerweise?

Insgesamt kommen wir auf gut 100 Einzelaktivitäten übers Jahr. Durch die MS Wissenschaft erreichen wir etwa 100 000 Leute im Jahr, verteilt auf etwa 130 Tage. Mit der Science Station, die Wissenschaft in Bahnhöfe bringt, 50 000. Zur Diskussion „Geistig fit im Alter” kamen in Braunschweig immerhin 250 Menschen an einem Abend, was ich sehr gut finde. Daneben erweitern wir unsere Formate ständig, um neue Zielgruppen zu gewinnen. Beispielsweise haben wir 2013 mit unserer Plattform „Science Starter” begonnen, Forscher vorzustellen, die durch einen pfiffigen Web-Auftritt dafür werben, ihr Forschungsprojekt zu finanzieren. Und wir haben das neue Projekt „Jugend präsentiert”, in dem Jugendliche an vielen Schulen animiert werden, Naturwissenschaften zu präsentieren.

Wie steht es um den Stellenwert der Naturwissenschaften in der Gesellschaft: Studieren inzwischen mehr junge Menschen diese Fächer? Und schließen sie das Studium auch ab?

Beides ist besser geworden. Nicht direkt nachweisbar ist allerdings, ob dieses Resultat auf die Aktivität von Wissenschaft im Dialog zurückgeht. Und es ist auch sehr schwierig, ein Wissenschaftsjahr zu evaluieren – also der Frage nachzugehen, was ein spezifisches Themenjahr in der Öffentlichkeit bewirkt hat. Aber die Politik nimmt uns ernster und gibt der Wissenschaft einen höheren Stellenwert als in den 1990er-Jahren. Auch der Schulterschluss von Wissenschaft und Kommunen ist enger und die Kooperation mit der Industrie einfacher geworden. Daraus folgt allerdings: Dass die Wissenschaft heute in unserer Gesellschaft eine stärkere Rolle spielt, lässt auch unsere Verantwortung steigen. Das uns entgegengebrachte Vertrauen, unsere Glaubwürdigkeit, dürfen wir auf keinen Fall aufs Spiel setzen.

Hand aufs Herz: Ist es nicht auch Ziel dieser Aktivitäten, Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Debatte und um Vertrauen in moderne Technologien zu werben?

Ob wir eines Tages so weit kommen werden, dass eine wichtige technologische Entscheidung – etwa über das umstrittene Fracking – per Bürgerdialog getroffen wird, glaube ich nicht. Ich denke, die Einflussnahme der Wissenschaft in diesem Bereich wird sich darauf beschränken, Bürgerinnen und Bürger früher über neue Entwicklungen zu informieren, sie einzubinden und mit ihnen über Lösungswege zu diskutieren. Und das muss anders erfolgen als vielfach üblich: Wissenschaftler argumentieren streng rational und sind an Sachfragen interessiert. Bürger argumentieren dagegen oft aus einem Bauchgefühl heraus. Auf diese Ebene müssen sich Wissenschaftler künftig verstärkt einlassen, die Argumente ernst nehmen und sich zeitintensiv damit beschäftigen. Im Rahmen eines solchen Prozesses werden sich die Fronten aufweichen.

Haben Sie Beispiele?

Ich kann mich sehr gut an eine Dialogveranstaltung zum Thema Hochspannungstrassen erinnern. Da gelang es trotz unterschiedlicher Ansichten durch das persönliche Gespräch Vertrauen zwischen den Beteiligten herzustellen. Dann konnte man auch wieder in Ruhe zur Sache sprechen. Die Wissenschaftler kamen am Ende zu mir und sagten: „Wir müssen den Dialog unbedingt fortführen!” Ich denke, Wissenschaftler können aus diesem Dialog viel Positives für sich und ihre Forschung ziehen. Es geht nicht darum, Kritik zu verhindern, sondern das vorrangige Ziel ist umgekehrt, Vertrauen und Unterstützung zu gewinnen.

Welchen privaten Nutzen zieht Markus Weißkopf aus den Aktivitäten von Wissenschaft im Dialog?

Ich erlebe tolle Diskussionsrunden und Veranstaltungen über spannende Themen, die mich auch privat bereichern. Und: In meinem Berufsumfeld, der Wissenschaftskommunikation, gibt es sehr viele interessante und angenehme Menschen, die ich sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. ■

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

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