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Das Geheimnis perfekten Zusammenspiels

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Das Geheimnis perfekten Zusammenspiels
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Streichquartette spielen ohne Dirigenten - und trotzdem harmonisch (thinkstock)
Kammermusik und insbesondere Quartette gelten als die hohe Schule der klassischen Musik. Denn hier gibt nicht ein Dirigent den Takt an, sondern die Musiker untereinander koordinieren ihr Spiel. Wie sie es schaffen, trotz aller Freiheiten in der Interpretation synchron zu bleiben, haben britische Forscher jetzt untersucht. Sie schauten dafür zwei professionellen Streichquartetten genau auf die Finger und analysierten ihr Spiel mit einer aus der Finanzanalyse entliehenen Methode.

Zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello – das ist die klassische Zusammensetzung eines Streichquartetts. Typischerweise hat dabei jedes Instrument seine eigene Stimme, im Zusammenspiel entsteht daraus der harmonische Wohlklang. Die Schwierigkeit dabei: Die klassische Musik lebt von der Interpretation. Ein winziges Verzögern hier, eine leichte Beschleunigung dort hauchen dem Stück Leben ein und machen das Spiel der Musiker unverwechselbar und individuell. „Im Allgemeinen timen Musiker die Tonanfänge daher nie exakt so, wie es in der Partitur steht“, erklären Alan Wing von der University of Birmingham und seine Kollegen.

Das aber macht das Zusammenspiel im Quartett besonders schwierig, denn es gibt keinen Dirigenten, der den Takt vorgibt. Stattdessen müssen sich die Spieler durch intensive Proben aufeinander einstimmen und erspüren, wo jeder einzelne welche Variation einbringt und wie sie sich am besten daran anpassen. „Wir geben einander Freiheit – aber es ist ein natürliches Geben und Nehmen“, erklärt der Cellist des berühmten Guarneri-Quartetts, David Soyer. Wie aber funktioniert dies in der Praxis? Gibt es trotz scheinbar gleichberechtigtem Ensemblespiel einen „Leithammel“, der Ton und Tempo vorgibt? Oder passt sich jeder Musiker in gleichem Maße an seine Mitspieler an? Das haben Wing und seine Kollegen nun am Beispiel zweier international bekannter Streichquartette untersucht.

Haydn als Testfall

Für ihre Studie ließen die Forscher beide Quartette ungeprobt einen 48 Noten langen Ausschnitt aus Joseph Haydns Streichquartett Opus 74 Nummer 1 spielen. In dieser Passage folgen alle Instrumente dem gleichen Rhythmus. Um nicht hörbar asynchron zu werden, ist daher eine genaue Anpassung besonders wichtig. Jedes Quartett spielte diese Passage 15 Mal hintereinander und sollte dabei alle Freiheiten der Interpretation nutzen. Die Forscher zeichneten währenddessen mit Mikrophonen das Spiel jedes einzelnen Musikers auf. Anschließend analysierten sie für jeden von ihnen, wie stark und wann dieser seine Geschwindigkeit an das Spiel seiner Kollegen anpasste.

Wie sich zeigte, synchronisieren erfahrene Musiker ihr Spiel unbewusst immer etwa ab dem gleichen Maß der Abweichung. Ist diese erreicht, spielen sie den nächsten Ton gerade so viel länger oder kürzer, dass die Abweichungen sich nicht weiter aufschaukeln können. Das genaue Timing dieser Ausgleichsmaßnahmen entspricht dabei ziemlich genau dem in theoretischen Modellen ermittelten Idealwert für eine Vierergruppe, wie die Forscher berichten.

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Leithammel versus Demokratie

Darüber hinaus aber enthüllte die Auswertung zwei ganz unterschiedliche Anpassungs-Strategien in den beiden Quartetten: In einem folgten die vier Musiker einem eher hierarchischen Muster, bei dem die erste Geige den Ton angab. Sie passte ihr Tempo deutlich weniger an ihre Mitspieler an als umgekehrt. „Diese Rollenverteilung findet man bei Kammermusik häufig: Ein Musiker, meist die erste Geige mit der Melodielinie, übernimmt die Führung“, erklären Wing und seine Kollegen. Es geht aber auch anders, wie das zweite Quartett belegte: Denn in dieser Vierergruppe gab es keinen klaren „Leithammel“. Die erste Geige korrigierte ihr Tempo etwa gleich oft und gleich stark wie ihre Mitspieler. „Dieses Ensemble folgt damit einem eher demokratischen Ansatz und sieht in dieser Musikpassage alle vier Stimmen als gleichberechtigt an“, so die Forscher.

Allerdings: In beiden Ensembles hatte der Cellist offenbar die größten Probleme, synchron zu bleiben. Er musste häufiger als die anderen sein Tempo durch Kürzen oder Verlängern von Tönen angleichen. „Das ist spannend, denn eigentlich gilt das Cello oft als rhythmisches Fundament eines kleinen Ensembles“, konstatieren Wing und seine Kollegen. Die Frage sei nun, ob diese Annahme generell nicht stimme, oder ob dieses spezielle Stück möglicherweise eine Ausnahme darstelle. Denn in dieser Passage von Haydns Streichquartett muss das Cello viele Tonsprünge spielen, die große Handbewegungen und einen Saitenwechsel beinhalten. Das könnte dafür sorgen, dass die Cellisten dazu neigen, ein wenig hinterherzuhinken – sie haben es hier einfach schwerer.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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