Über den Jakobshavn Isbræ fließt ein beträchtlicher Teil der grönländischen Eismasse ins Meer ab. Von allen Eisgiganten des Nordens kalbt er auch am häufigsten: Von seiner Gletscherzunge lösen sich manchmal kilometergroße Eisberge und rutschen in den Ilulissat-Eisfjord an der Westküste Grönlands. Manche gehen dann auf weite Reise – so auch ein ausgesprochen prominentes Exemplar: Der Eisberg, der 1912 die Titanic versenkte, stammte wahrscheinlich vom Jakobshavn Isbræ.
Schon lange untersuchen Forscher den riesigen Gletscher und dokumentieren die drastische Abmagerungskur, die ihm der Klimawandel verpasst. Dabei hatte sich bereits abgezeichnet, dass der Gletscher parallel zu seinem Schwund auch immer schneller fließt. Doch die neuen Zahlen übertreffen nun alle bisherigen Daten. Um die Geschwindigkeit erneut zu berechnen, nutzten die Forscher um Joughin von der University of Washington Satellitenaufnahmen, die ihnen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Verfügung gestellt worden waren. Durch den Vergleich von aufeinanderfolgenden Aufnahmen konnten sie die Geschwindigkeit des Eisflusses erfassen.
Unterm Strich sei in den letzten Jahren die jährliche Geschwindigkeit um den Faktor drei gestiegen, berichten sie. „Im Sommer, wenn das Eis besonders schnell fließt, beobachteten wir sogar viermal höhere Geschwindigkeiten als in den 1990ern“, sagt Joughin. 17 Kilometer pro Jahr und Spitzenwerte von 46 Metern pro Tag seien die höchsten Geschwindigkeiten, die jemals bei Gletschern in Grönland oder der Antarktis gemessen worden sind, resümieren die Forscher.
Rückzug mit Beschleunigungseffekt
Die Ursache für die Beschleunigung des Jakobshavn Isbræ sehen die Forscher in seinem dramatischen Rückzug. 2012 und 2013 lag die Gletscherzunge mehr als einen Kilometer weiter im Inland als in den Jahren zuvor. Noch eindrucksvoller erscheint der Schwund beim Blick in die Geschichte. Als beispielsweise der Titanic-Eisberg vom Jakobshavn Isbræ abbrach, war der Gletscher noch rund 40 Kilometer länger als heute. Die derzeitige Kalbungszone befindet sich über einer sehr tiefen Stelle des Fjordes, sagen die Wissenschaftler: Das Felsbett befindet sich hier 1.300 Meter unter dem Meeresspiegel. Dadurch wird der Eisfluss weniger abgebremst und so beschleunigt sich der Gletscher, erklärt Joughin.
Der Jakobshavn Isbræ befindet sich den Forschern zufolge momentan in einem instabilen Zustand. Er wird sich wohl noch deutlich weiter ins Inland zurückziehen. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnte er sich um weitere 50 Kilometer verkürzen. Die Veränderungen des Eisgiganten sind dabei nicht nur ein deutliches Zeichen der Effekte des Klimawandels. Durch seine Beschleunigung wird er mehr und mehr Eis ins Meer befördern und damit auch zur Erhöhung des Meeresspiegels beitragen. „Wir wissen, dass der Jakobshavn Isbræ zwischen 2000 und 2010 für eine Erhöhung des Meeresspiegels um einen Millimeter gesorgt hat. In den nächsten zehn Jahren wird es durch die Beschleunigung noch ein bisschen mehr sein“, sagt Joughin.