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Mit Hochdruck gegen Aliens an Bord

Erde|Umwelt

Mit Hochdruck gegen Aliens an Bord
Heerscharen blinder Passagiere reisen mit Schiffen um die Welt. Die eingeschleppten Meeresbewohner stellen oft ganze Ökosysteme auf den Kopf.

Eigentlich ist sie ganz hübsch, die daumendicke Goldmuschel Limnoperna fortunei. Die Biologen, die sie 1991 im Rio de la Plata vor Buenos Aires von den Ufersteinen zupften, glaubten zunächst, eine neue Art gefunden zu haben. Doch Limnoperna ist lediglich ein Gast vom anderen Ende der Welt: Eigentlich ist sie in den großen Flussmündungen Chinas zu Hause.

In nur 20 Jahren hat die Muschel halb Südamerika erobert. Limnoperna klebt an Wasserpflanzen und Hafenmauern, wuchert Trink- und Kühlwasserleitungen sowie Wasserkraftwerke zu. Alle paar Wochen schrauben Arbeiter die Turbinen auseinander, um die Muschelmatten mit einem scharfen Wasserstrahl abzusprengen. Die Kosten sind immens. Inzwischen hat sich die Goldmuschel bis in den brasilianischen Pantanal an der Grenze zu Bolivien ausgebreitet – eines der artenreichsten Sumpfgebiete der Welt. Welche Folgen das für das Leben dort haben wird, lässt sich noch nicht absehen.

Limnoperna fortunei ist nur einer von vielen Wasserorganismen, die in neue Lebensräume eindringen und die ökologischen Regelkreise massiv stören. Die meisten sind als blinde Passagiere mit Schiffen angereist. Fachleute schätzen, dass auf den etwa 40 000 Handelsschiffen der Welt ständig bis zu 5000 Arten über die Meere schippern. Ob und wo sie heimisch werden, kann niemand vorhersagen.

Panzer aus Trittbrettfahrern

Sobald ein Eindringling zum Problem wird, sprechen Forscher von einer „invasiven Art“ oder einer „Bioinvasion“. Jeder dritte Fremdling reist außen auf dem Schiffsrumpf mit – Seepocken zum Beispiel. Zwischen ihnen spinnen Muschellarven ihre Klebefäden, Krebse und Schnecken siedeln sich ebenfalls an. So manches Schiff trägt einen mehrere Zentimeter dicken Panzer aus Trittbrettfahrern durch die See.

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Andere Invasoren fahren im Bauch der Schiffe, im Ballastwasser, über die Ozeane. Das Ballastwasser hält die Schiffe beim Be- und Entladen aufrecht wie ein Bleifuß ein Stehaufmännchen. Wird ein Schiff entladen, pumpt man Wasser in die Tanks, damit es nicht auftreibt und kentert. Lädt es schwere Fracht, wird die entsprechende Menge Ballastwasser abgepumpt. Weltweit, schätzen Experten, transportieren Schiffe rund zehn Milliarden Tonnen Ballastwasser pro Jahr – und damit eine immense Zahl potenzieller Eindringlinge. Manche gelangen auch durch Aquakultur auf eine Reise rund um den Globus, etwa als Bewuchs auf Saatmuscheln, die Züchter vom einen Ende der Welt ans andere verfrachten.

In den Großen Seen der USA wuchert seit den 1980er-Jahren die europäische Wandermuschel ebenso unkontrolliert wie Limnoperna im Süden. Mancherorts versinken Bojen unter der Muschellast. Inzwischen haben Wissenschaftler den Kampf mit den Fremdlingen aufgenommen. Sie wollen den Bewuchs auf Schiffsrümpfen verhindern, das sogenannte Biofouling.

Lack gegen Eindringlinge

Seit Jahrzehnten sind große Handelsschiffe mit Lacken bestrichen, die Gifte enthalten, sogenannte Biozide. Lange galt die Metallverbindung Tributylzinnhydrid (TBT) als wichtigstes Biozid – bis Wissenschaftler feststellten, dass die Substanz die Entwicklung der Geschlechtsorgane von Meeresorganismen stört. Seit sechs Jahren ist TBT daher verboten. Seitdem lassen Reeder ihre Schiffe mit Kupfer- oder Zinkverbindungen bestreichen. Die Lacke geben ihre Gifte nach und nach ab, was eine Besiedlung der Schiffsoberfläche weitgehend verhindert. Doch wenn die Schutzwirkung nach 24 bis 60 Monaten nachlässt, trägt das Schiff einen kleinen Zoo um die Welt. Die Europäische Union strebt mit der Biozidverordnung, die im Juli 2012 in Kraft getreten ist, eine Abkehr von den giftigen Lacken an.

Volkmar Stenzel vom Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) arbeitet an ungiftigen Alternativen. Sein Team hat ein Verfahren entwickelt, um wenige Mikrometer große Zackenmuster auf Oberflächen aufzutragen. Sie sind der rauen Haifischhaut nachempfunden und reduzieren den Wasserwiderstand. Den Lackexperten schwebt vor, die künstliche Haifischhaut mit Antifouling-Eigenschaften zu versehen. Im Labor vermischen sie zwei Substanzen, von denen die eine wasseranziehend, die andere wasserabstoßend ist. Dadurch entsteht ein Lack, der Muschel- und Seepockenlarven nicht geheuer ist und den sie meiden – ganz ohne Biozid.

Eine andere ungiftige Lacksorte, mit der etwa ein Prozent der weltweiten Handelsflotte bestrichen ist, enthält Silikon. Das macht die Schiffsoberfläche weich und wasserabweisend – und damit unbewohnbar für Meeresorganismen. Allerdings hat der Silikonlack einen Nachteil: Er lässt sich nicht einfach mit herkömmlichen Lacken überstreichen.

Zu viele Schiffe, zu wenig Fracht

Doch das Hauptproblem ist, dass die Handelsschiffe seit der Wirtschaftskrise 2008 seltener unterwegs sind: Es gibt zu viele Schiffe und zu wenig Fracht. Schiffe, die im Hafen liegen, wachsen sehr schnell zu. Bereits nach einigen Stunden bildet sich ein wenige Millimeter dicker Bakterienschleim. Algen und Seepockenlarven folgen innerhalb von Tagen. Selbst biozidhaltige Lacke helfen hier wenig. Denn sie entfalten ihre volle Wirkung erst während der Fahrt.

„Die Frage ist derzeit, wie man Schiffe mit langen Liegezeiten wirksam vor Fouling schützen kann“, erklärt Burkard Watermann, Geschäftsführer des Meeresforschungslabors Limnomar in Hamburg. Einige Firmen haben bereits reagiert, sagt er. Das belgische Unternehmen Hydrex etwa bietet einen biozidfreien Lack an – und dazu eine regelmäßige Reinigung: Alle paar Wochen säubern Taucher Schiffsrümpfe von mehreren 10 000 Quadratmeter Oberfläche binnen weniger Stunden mit einem kleinwagengroßen Reinigungsapparat.

Doch das Verfahren hat seine Tücken. Zwar stirbt der Bewuchs, wenn man ihn von der Bordwand schabt. Aber Seepocken und andere Besiedler setzen im Todeskampf ihre Larven frei. Kratzt man in fremden Gefilden an der Bordwand, gelangen also trotzdem potenzielle Invasoren ins Wasser. Die einzige Lösung: Man muss den Bewuchs auffangen – einen Service, den das norwegische Unternehmen Cleanhull bietet.

Um eine Bioinvasion zu verhindern, will die Internationale Schifffahrtsorganisation in London die Reinigung von Ballastwasser zur Pflicht machen. Die Ballastwasserkonvention von 2004 schreibt vor, dass Schiffe künftig Ballastwasser- Behandlungsanlagen an Bord haben. Mindestens 30 Staaten, die zusammen über 35 Prozent der weltweiten Schiffstonnage verfügen, müssen dieser Konvention zugestimmt haben, damit sie in Kraft treten kann. Zwar haben 36 Staaten die Konvention bereits abgenickt. Diese verfügen jedoch nur über gut 29 Prozent der Welt-Tonnage. Experten schätzen, dass die 35 Prozent erst 2015 erreicht werden.

Fachleute halten die Konvention dennoch für einen Erfolg, denn sie bekämpft erstmals eine der Hauptursachen der Bioinvasion. In Ballastwasser-Behandlungsanlagen entfernen Zentrifugen, sogenannte Zyklone, die Organismen aus dem Wasser. Alternativ werden sie mit UV-Licht oder verdünnter Salzsäure abgetötet. Solche Anlagen müssen künftig an Bord der Schiffe eingebaut werden. Ohne Druck durch die Konvention tun das bislang nur wenige Reeder.

Lange war unklar, über welche Routen sich die Arten hauptsächlich verbreiten und welche Häfen und Regionen besonders betroffen sind. Bernd Blasius und Hanno Seebens von der Universität Oldenburg haben jetzt die Hauptrisikostrecken der Bioinvasion identifiziert. Die beiden Experten für mathematische Biologie analysierten die Reisedaten von mehr als 30 000 Schiffen und schätzten die Menge des transportierten Ballastwassers ab. Außerdem verglichen sie die Wassertemperatur und den Salzgehalt in den verschiedenen Häfen. So fanden sie heraus, wie wahrscheinlich es ist, dass sich ein Eindringling in fernen Wassern wohlfühlt und vermehrt.

60 Alien-Arten in der Nordsee

Blasius und Seebens stellten fest, dass Häfen in den Tropen und Subtropen besonders gefährdet sind. Hochrisikogebiete sind Singapur, der Suez-Kanal und Hongkong. In der Nordsee erschweren die tiefen Temperaturen im Winter die Ansiedlung fremder Arten. Immun gegen Invasoren ist sie aber keineswegs: Derzeit leben dort über 60 fremde Arten. In der Ostsee sind es etwa 30. Prominente Beispiele sind der Schiffsbohrwurm, eine Muschel, die Holzbauwerke durchlöchert, oder die Pazifische Auster, die sich seit Jahren im Wattenmeer breitmacht.

Durch Wasserproben ließe sich überprüfen, ob ein Schiff aus einem Hochrisikohafen sein Ballastwasser gründlich gereinigt hat. Auch das könnte helfen, der Bioinvasion endlich Herr zu werden. •

TIM SCHRÖDER entdeckte seine erste invasive Art als Kind bei einer Wattexkursion: eine amerikanische Schwertmuschel.

von Tim Schröder

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Gri|gnard|re|ak|ti|on  auch:  Grig|nard–Re|ak|ti|on  〈[grınjar–] f. 20; Chem.〉 chem. Reaktion zur Synthese vieler organ. Stoffe mithilfe einer hochreaktiven organ. Magnesiumverbindung … mehr

Kel|vin  〈[–vın] n.; –s, –; Zeichen: K; Phys.〉 Maßeinheit der auf den absoluten Nullpunkt bezogenen Temperatur (0K = –273,15°C) [nach dem engl. Physiker Sir William Thomson, Lord Kelvin … mehr

mon|tan  〈Adj.; Bgb.〉 zum Bergbau u. Hüttenwesen gehörig [<lat. montanus … mehr

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