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Bedrohung Seuche

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Bedrohung Seuche
Todbringende Infektionen fordern immer wieder große Opfer. Der weltweite Handel und die Reiselust der Menschen machen es Krankheitskeimen leicht, sich auszubreiten.

Es passiert in einem Huhn, Affen oder Menschen: Plötzlich entsteht irgendwo auf der Welt ein neues Virus oder ein neues Bakterium, das sich um ein paar Gen-Abschnitte bereichert hat. Es breitet sich aus, macht Menschen krank und wird zur globalen Seuche. So geschehen mit dem HI-Virus, dem SARS-Corona-Virus und auch einstmals mit dem Pest-Erreger, Yersinia pestis. „Es wird immer wieder neue Infektionskrankheiten geben, auch gefährliche. Das lehrt uns die Geschichte“, sagt Andrea Ammon vom Europäischen Zentrum für Kontrolle und Prävention von Krankheiten (ECDC) in Stockholm.

Kaum etwas fürchten Menschen so sehr wie Pest und Cholera. Die Angst ist allgegenwärtig, Homo sapiens könnte wie einst Brachiosaurus und seine Verwandten vom Planeten verschwinden. In der Tat sind moderne Zivilisationen sehr anfällig für Krankheiten. Frühgeborene mit kaum über 350 Gramm Gewicht überleben dank Intensivmedizin. Doch jeder pathogene Keim kann sie das Leben kosten. Zudem sind durch die zunehmende Zahl alter Menschen immer mehr gebrechlich oder chronisch krank – ganz zu schweigen von Transplantierten, die zeitlebens ihre Körperabwehr unterdrücken müssen. „Die moderne Medizin macht viele Menschen anfälliger für Infektionen“, sagt der Präsident des Berliner Robert Koch Instituts, Reinhard Burger.

Immer mehr Menschen reisen zudem in ferne Länder und bringen Malaria oder Denguefieber mit zurück in ihre Heimat: Krankheiten, die man dort früher nicht kannte. Und die neue Mobilität führt dazu, dass sich Krankheitserreger in Windeseile um den Globus ausbreiten. So geschehen bei der SARS-Epidemie 2002, die eine atypische Form der Lungenentzündung hervorrief. ECDC-Wissenschaftlerin Ammon erinnert sich an den Ausbruch, als sie noch beim Robert Koch Institut beschäftigt war: „Eines Samstagmorgens bekam ich einen Anruf von der Weltgesundheitsorganisation, dass ein infizierter Arzt aus Singapur von New York auf dem Weg nach Deutschland sei. Er hatte SARS-Patienten behandelt und sich dabei angesteckt. Wir sollten das Flugzeug bei der Zwischenlandung in Frankfurt stoppen und den Arzt auf die Isolierstation bringen. Dafür hatte ich genau zweieinhalb Stunden Zeit.“

Auch der globale Warenhandel verschleppt Bakterien und Viren in andere Kontinente und bringt damit neue Seuchengefahren. So erkrankten 2011 „quasi über Nacht ungewöhnlich viele Menschen in Deutschland, auch junge Gesunde, an EHEC, einem Colibakterium, mit dem ägyptische Sprossen kontaminiert waren“, erinnert sich Reinhard Burger. Am Ende waren es in wenigen Wochen über 4000 Erkrankte, von denen über 50 starben. 2012 genügten 45 Tonnen mit Noroviren belasteter Erdbeeren aus China, um hierzulande rund 11 000 Kinder in Schulen und Kindergärten mit Durchfall und Erbrechen zu peinigen.

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Obendrein nimmt die Zahl von Bakterien und Viren zu, gegen die herkömmliche Medikamente nichts ausrichten können. Sie sind resistent geworden. Schon gibt es etliche HIV-Infizierte, denen die bewährte Therapie nicht mehr richtig hilft. Ähnlich prekär geht es auf Intensivstationen zu: Sie haben zunehmend mit Keimen zu kämpfen, die gleich gegen mehrere Klassen von Antibiotika resistent sind und geschwächte Patienten das Leben kosten können.

Aus Osteuropa drängt die Tuberkulose heran

Auch außerhalb der Kliniken ist das ein wachsendes Problem. Von Osteuropa her breiten sich antibiotikaresistente Tuberkulose-Erreger aus. Aus Italien und Frankreich kommen resistente Helicobacter-pylori-Stämme. Der Magenkeim ist für zwei Drittel aller Magengeschwüre und für Magenkrebs verantwortlich. Der Vorrat an Reserveantibiotika, die bei Resistenzen helfen sollen, schmilzt dahin. Die Pharmafirmen haben kaum neue Wirkstoffe in der Pipeline. Längst besiegt geglaubte Krankheiten wie die Tuberkulose kehren zurück. Und trotzdem ist die Menschheit heute viel besser aufgestellt als zuzeiten der Spanischen Grippe, die von 1918 bis 1920 grassierte. Ein besonders aggressives H1N1-Grippevirus kostete damals mindestens 25 Millionen Menschen das Leben.

Weil man um die immense Gefahr durch neue Erreger weiß, haben Industrienationen und Schwellenländer Vorkehrungen für eine globale Pandemie getroffen. Jedes Land hat Pandemiepläne, in denen festgelegt ist, was geschehen muss, wenn sich ein Ausbruch anbahnt. Schulen und Kindergärten können geschlossen, Notvorräte an Impfstoffen und Medikamenten angebrochen werden. Nationale Behörden wie das Robert Koch Institut erfassen ständig die Berichte der Gesundheitsämter zu meldepflichtigen Erkrankungen und werten sie aus. Auf europäischer Ebene übernimmt diese Aufgabe das ECDC, das als Reaktion auf die SARS-Pandemie 2003 eingerichtet wurde.

Googeln nach Husten und Durchfall

Automatische Suchmaschinen durchforsten dort das Internet auf Krankheitsreports, berichtet Ammon, die Stellvertretende Direktorin der Stockholmer EU-Behörde. Sie grasen Bezeichnungen von Erregern wie Escherichia coli, aber auch Begriffe wie Fieber, Husten und Durchfall ab. Jeden Tag diskutieren die Wissenschaftler die Funde. Zeigt sich eine Häufung von Krankheiten, fragen sie bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder bei den Mitgliedsstaaten an, ob dort ein ähnlicher Trend bekannt ist. Dann muss alles sehr schnell gehen: Sind eher Kinder oder Ältere betroffen? Wie überträgt sich die Erkrankung? Welche Möglichkeiten zur Eindämmung gibt es? Solche Fragen versuchen die Forscher, anhand der aufgetretenen Fälle so rasch wie möglich zu beantworten. Die Vernetzung der Welt via Internet und Medien und die gut ausgebaute gesundheitliche Infrastruktur – mit der WHO an der Spitze und den Arztpraxen an der Basis – gewährleistet einen raschen Informationsfluss. Gleich nachdem jener SARS-infizierte Arzt in Frankfurt gelandet war, rollte das Flugzeug auf einen Parkbereich, der für solche Fälle reserviert ist. Die Gesundheitsbehörden waren informiert. Der Passagier kam in Quarantäne, ohne weiteren Menschen die Hand geschüttelt zu haben. Durch globale Information und sofortiges entschiedenes Handeln konnte der SARS-Pandemie ein Ende bereitet werden – ohne ein Therapeutikum.

Zurzeit gibt es einen neuen Seuchenherd im Nahen Osten: In Syrien ist im Herbst 2013 wegen der bürgerkriegsähnlichen Zustände eine Polio-Epidemie ausgebrochen. Das Virus, das Kinderlähmung verursacht, galt längst als aus Europa verbannt. Über Flüchtlinge aus der Krisenregion könnte es zurückkehren. Das Robert Koch Institut empfiehlt Eltern, ihre Kinder gegen diesen Erreger impfen zu lassen – und verweist darauf, dass jedes 20. Kind in Deutschland keinen ausreichenden Impfschutz hat.

Nach drei Tagen war der EHEC-Erreger überführt

Auch der Fortschritt in Molekularbiologie und Genetik kann neuen Infektionskrankheiten den Schrecken nehmen. Beispiel EHEC: „ In nur drei Tagen war der Erreger charakterisiert. Ein, zwei Tage später gab es Testverfahren, und zweieinhalb Wochen später hatten wir die Sprossen als Quelle ausgemacht“, erinnert sich Robert-Koch-Institutschef Burger. Wenige Monate nach der SARS-Welle hatten Forscher das Genom des Virus entschlüsselt, und das Team um den Hamburger Virologen Christian Drosten stellte zwei Tage später einen Test vor. Bei HIV haben die modernen Biowissenschaften überhaupt erst eine Unterdrückung der Krankheit möglich gemacht. Noch in den 1980er- und 1990er-Jahren galt die sexuell übertragbare Krankheit als Todesschrecken schlechthin. Frisch Verliebte fürchteten trotz Kondom den Sex mit dem neuen Partner. „Aber heute hat die Krankheit etwas von ihrem ärgsten Schrecken verloren“, betont der Aids-Forscher Joachim Hauber vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg. Schon 1983, ein Jahr nach den ersten Hiobsnachrichten über die neue Seuche, gelang es, das Virus zu identifizieren und auf Immunzellen – sogenannten T-Zellen – zu vermehren. Damit war der Grundstein für die Laborforschung gelegt. Bald stand ein HIV-Test zur Verfügung, womit die Übertragung durch Blutkonserven verhindert werden konnte.

Tausende von Forschern nahmen danach den Lebenszyklus des Virus auseinander. „Man hat herausgefunden, welche viralen Gene für welche Funktionen nötig sind, indem man sie in Bakterien einbrachte und studierte, was dann geschieht“, erläutert Hauber. „ Nach kurzer Zeit hatte man so viel gelernt wie über keine andere Infektionskrankheit.“ Dieses Know-how konnte die Industrie verwenden, um Arzneien zu entwickeln. Heute gibt es Dutzende zugelassene Wirkstoffe, die eine HIV-Infektion zu einer gewöhnlichen chronischen Erkrankung machen.

Ist die Menschheit also jedem Keim gewachsen? Ganz so überlegen sollten wir uns nicht fühlen, mahnt Reinhard Burger. „ Seuchen bleiben eine Bedrohung, auch wenn sie wohl kaum weite Landstriche veröden lassen werden.“ Einige Viren und Bakterien haben es in sich: Das landläufige Grippevirus etwa verändert sich so rasch, dass jedes Jahr neue Impfstoffe nötig sind, um es in Schach zu halten. Jede Saison sterben daran weltweit Tausende Menschen. Doch zumindest kann man tödliche Begleiter bekämpfen, wie die bakterielle Lungenentzündung – solange es wirksame Antibiotika gibt. Dem tödlichen Treiben des Virus lässt sich so eine Schranke setzen. •

SUSANNE DONNER, Wissenschaftsjournalistin und regelmäßige bdw-Autorin aus Berlin, hatte bislang nur bei einer Reise ins ostafrikanische Tansania Angst vor Seuchen.

von Susanne Donner

Ausbruch der Killerkeime?

Nur wenige Forschungsstätten auf der Welt forschen an extrem gefährlichen Erregern. Schon zum Schutz des Personals gelten dort strenge Sicherheitsvorkehrungen: etwa in der Forschungsstation des Friedrich-Löffler-Instituts auf der Ostseeinsel Riems. In den Laboren herrscht Unterdruck, der Außenluft in die Räume saugt und so verhindert, dass Keime nach außen gelangen. Autarke Lüftungen sorgen zusätzlich dafür, dass kein Austausch mit der Umgebungsluft stattfindet. Dass Krankheitserreger aus den Laboren freikommen und eine Seuche verursachen, ist deshalb sehr unwahrscheinlich. Ganz ausgeschlossen ist es allerdings nicht. Und für viele Erreger, die erforscht werden, etwa das afrikanische Denguefieber- oder das Chikungunyafiebervirus, gibt es weder Impfstoffe noch Medikamente. Diese beiden werden aber nicht direkt von Mensch zu Mensch übertragen, und die Infektion verläuft üblicherweise auch nicht tödlich. Keine Bedrohung für die gesamte Menschheit also.

Einige Forschergruppen experimentieren aber damit, bedrohliche Infektionserreger noch gefährlicher zu machen. So veränderten Virologen um Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam 2010 das H5N1-Virus gentechnisch so, dass es von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Dieses Killervirus könnte im schlimmsten Fall eine Pandemie mit Millionen Toten auslösen. Fouchier durfte seine Studie zunächst nicht in allen Details veröffentlichen, aus Sorge, Bioterroristen könnten sich der Bauanleitung für eine Super-Biowaffe bedienen. 2012 erschien seine Arbeit dann doch im Fachjournal Science – weil sie helfen könne, künftige Grippeepidemien besser zu bekämpfen.

Kompakt

· Die moderne Medizin macht die Menschen anfälliger für Infektionen.

· Ein großes Problem ist die Resistenz vieler Erreger gegen diverse Antibiotika.

· Durch globalen Informationsaustausch und koordiniertes Handeln wollen Gesundheitsbehörden Keimen die Stirn bieten.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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