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„Weder Krankheit noch Krieg rotten uns aus“

Allgemein

„Weder Krankheit noch Krieg rotten uns aus”
Josef H. Reichholf ist überzeugt, dass der Mensch gegen globale Katastrophen gut gewappnet ist.

Herr Professor Reichholf, würde die Menschheit selbst globale Katastrophen enormen Ausmaßes überleben?

Ja, das halte ich für eine plausible Annahme. Drei ziemlich gewichtige Argumente sprechen hierfür. So ist die Menschheit global verbreitet. Menschen leben fast in jedem Winkel der Erde, mag er auch noch so unwirtlich sein. Selbst extreme Klimazonen wie Wüsten, Tropenwälder, den Eisrand der Arktis und das Tibetische Hochland haben Menschen gemeistert. Nach einer großen Katastrophe mit stark veränderter Umwelt wäre diese Fähigkeit ein unschätzbarer Vorteil. Die menschliche Anpassung an verschiedenste Lebensräume unterscheidet sich übrigens grundlegend von jener der Zugvögel. Zwar fliegen diese zum Überwintern in andere Regionen, doch zum Fortpflanzen müssen sie in ihren angestammten Lebensraum zurückkehren. Der Mensch dagegen kommt dauerhaft mit diversen Umweltbedingungen zurecht.

Welche beiden anderen Eigenschaften machen die Menschheit so robust?

Menschen haben sehr umfassende Möglichkeiten, sich zu ernähren. Sie sind im Prinzip Allesesser. Die Vielfalt der genutzten Nahrungsmittel ist enorm – die Proteinressourcen der Meere eingeschlossen. Menschen nutzen zur Ernährung fast alles, was organische Stoffe enthält. Dazu kommt die schiere Größe der Menschheit. Menschen sind genetisch so vielfältig, dass Seuchen den Bestand der Art nicht bedrohen können. Regional kann es zu furchtbaren Epidemien kommen – und das ist in der Geschichte der Menschheit auch immer wieder geschehen. Als etwa die Europäer Amerika eroberten, gelang ihnen das weniger durch Waffengewalt als durch eingeschleppte Krankheiten. Doch die Menschheit als Ganzes konnte und wird keine Krankheit gefährden, geschweige denn ausrotten.

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Wie war das zu früheren Zeiten?

Auch nicht anders. Der Pest fielen im Mittelalter je nach Region in Europa „nur” 20 bis 50 Prozent der Menschen zum Opfer. Der Teil der Bevölkerung, der überlebt hatte, erholte sich in wenigen Generationen wieder. Eine hundertprozentige Sterblichkeit durch einen Krankheitserreger gibt es nie. Manche Menschen sind stets aufgrund ihrer individuellen genetischen Veranlagung gegen die virulentesten Keime immun. Das galt auch für die Pest, die in der Menschheitsgeschichte wohl die meisten Todesopfer gefordert hat, gemessen an der Bevölkerungsgröße. Bei der Entwicklung der Bevölkerungszahl auf der Erde sind die Pestepidemien nur als winzige Dellen erkennbar.

Hatten Kriege eine verheerendere Wirkung?

Nein. Nicht einmal der Erste und der Zweite Weltkrieg haben markante Einbrüche in der Wachstumskurve der Weltbevölkerung hinterlassen – auch wenn einige Regionen stark betroffen waren. Der Prozentsatz der Menschen, die durch aggressive Handlungen oder Kriege ums Leben gekommen sind, hat während der Geschichte der Menschheit sogar kontinuierlich abgenommen.

Ob sie auch einen Atomkrieg überstehen könnte, hat die Menschheit zum Glück noch nicht „ausprobiert”.

Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Menschheit als Ganzes auch einen nuklearen Krieg überleben würde. Zum einen wird die Gefahr einer nuklearen Verseuchung allgemein zu hoch eingeschätzt. Hiroshima und Nagasaki sind trotz der gewaltigen Verwüstungen und der radioaktiven Kontamination heute wieder blühende Städte. Und nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl starben wesentlich weniger Menschen, als man befürchtet hatte. Die Natur gedeiht dort sogar so gut, dass die Sperrzone als bestes Naturschutzgebiet anzusehen ist. Zudem würden die Überlebenden nach einem Atomkrieg Orte auf der Erde finden, an denen sie leben und sich ernähren können. Der Mensch als biologische Art würde nicht ausradiert.

Zeigt sich das Ausmaß der Folgen radioaktiver Verseuchung nicht erst viel später?

Ja, aber genau darin liegt auch etwas Positives. Der Mensch sammelt im Körper im Lauf seines Lebens immer mehr genetische Schäden an – zufällige wie durch radioaktive Strahlung hervorgerufene. Die meisten heute tödlichen Krankheiten treten erst in fortgeschrittenem Alter auf. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes spielen als Todesursachen erst weit jenseits der 30 eine bedeutende Rolle – und damit jenseits des besonders reproduktionsfähigen Alters, in dem die meisten Kinder geboren werden. Selbst wenn sich die mittlere Lebensdauer der Menschen durch eine stark erhöhte Sterberate im Alter deutlich verkürzte – die Menschheit würde nicht aussterben. Ein langes Leben ist für ihren Fortbestand nicht nötig. Es gibt keinen natürlichen Grund, warum Menschen 70, 80 oder 90 Jahre alt werden müssten.

Durch einen Nuklearkrieg würden also vor allem Menschen getroffen, die für das Überleben der Art nicht mehr nötig sind?

Richtig. Das liegt auch daran, dass die genetischen Reparaturmechanismen des Körpers – also dessen Fähigkeit, Schäden an Körperzellen zu beheben – im jungen Alter besser funktionieren. Später nimmt ihre Effektivität deutlich ab. Natürlich gäbe es viel mehr Missbildungen, abgestorbene Föten und Fehlgeburten. Doch für die Art zählt allein, ob genügend Nachkommen überleben.

Welche Rolle spielt technisches Know-how?

Die Menschen haben enorm viel Wissen und Technologie angehäuft, was im schlimmsten Fall sicher sehr hilfreich wäre. Auch dabei kommt uns ein biologischer Pluspunkt zugute: Menschen leben im Vergleich zu den meisten anderen Spezies sehr lange. Dadurch können wir während unseres Lebens besonders viel lernen.

Gibt es eine evolutionäre Entwicklung, die die Robustheit des Menschen begründet?

Das ist der aufrechte Gang. Er ermöglicht körperliche Leistungen, die die aller anderen Lebewesen übertreffen. Als Zweibeiner erschlossen sich Menschen neue, für sie günstigere Lebensräume: heraus aus dem wenig ergiebigen Tropenwald und hinein in die Savanne mit viel proteinreicher Nahrung. Der aufrechte Gang machte den Menschen zum Sprinter und Dauerläufer – eine Kombination, die bei keinem anderen Säugetier so ausgeprägt ist.

Was bedeutet das für das Überleben?

Laufen wir nicht viel, können wir eine vergleichbare Energiemenge einsetzen, um zu arbeiten, auch geistig: Das menschliche Gehirn verzehrt 20 bis 25 Prozent des Energieumsatzes. Die immense körperliche und geistige Leistungsfähigkeit eröffnet dem Menschen alle Möglichkeiten, um seine Umwelt zu formen und sich optimale Lebensbedingungen zu schaffen. Der Mensch hat sich weitgehend von den Zwängen der Umwelt gelöst. Daher kann er diese beherrschen. Die wichtigere Frage ist, ob er das verantwortungsvoll genug tun wird. Überleben zu können, ist nicht alles. Es geht auch darum, wie! •

Das Gespräch führte Ralf Butscher

Ohne Titel

(*1945) ist Biologe, Chemiker, Geograf und Tropenmediziner. Von 1974 bis 2010 arbeitete er in der Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung München und leitete ab 1995 die Abteilung Wirbeltiere. Zudem forschte und lehrte er rund 30 Jahre lang an der Technischen und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2010 ist er pensioniert.

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