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„In der Wissenschaft geht es nicht ums Glauben“

Astronomie|Physik

„In der Wissenschaft geht es nicht ums Glauben“
Die Physik hinter dem Medienrummel: Was Experten von Hawkings neuer Idee halten.

Wenn Stephen Hawking spricht, dann rauscht es im Blätterwald – und nicht nur dort. So wollen auch jetzt Forscher und Laien wieder wissen, was der Altmeister der Schwarzen Löcher in seinem neuen Artikel „Information Preservation and Weather Forecasting for Black Holes“ genau meint.

Der Theoretiker aus Cambridge will zwei Paradoxien lösen, die bei der „Verdampfung“ Schwarzer Löcher entstehen. Hawking hatte diesen Quanteneffekt 1974 postuliert (siehe Grafik „Die Klassiker“ auf S. 40). Zum einen scheint mit der Selbstauflösung der Schwerkraftextremisten eine Vernichtung der einfallenden Informationen einherzugehen. Zum anderen könnte sich an der Grenze eines verdampfenden Schwarzen Lochs eine undurchdringliche „Feuerwand“ bilden, die es der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge gar nicht geben darf.

Beide Probleme wären Hawking zufolge beseitigt, wenn statt des absoluten Ereignishorizonts lediglich harmlosere „scheinbare“ Horizonte entstehen, die Licht und Materie nur lokal ausbremsen (siehe Beitrag „Stephen Hawking: ,Es gibt keine Schwarzen Löcher‘ “ ab S. 38 und bild der wissenschaft 7/2003, „Wie Schwarze Löcher wachsen“). Könnte es also wirklich sein, dass sich beim Kollaps eines ausgebrannten Sterns der Ereignishorizont gar nicht bildet?

Unrealistische Idealisierung

Ja, das sei durchaus möglich, meint Claus Kiefer, Professor an der Universität Köln: „Wenn man die Quantentheorie einbezieht, ist es denkbar, dass nur ein scheinbarer Horizont entsteht“, erklärt der Experte für Quantengravitation. „Das ist Hawkings Vorstellung und auch meine Meinung.“

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Gerhard Börner, ein Relativitätstheoretiker und Kosmologe am Max-Planck-Institut für Astrophysik in München, sieht es ähnlich: „In realistischen astrophysikalischen Umgebungen gibt es ein Schwarzes Loch immer nur näherungsweise.“ Das liege daran, dass das Schwarze Loch mathematisch präzise mit einem Ereignishorizont „erst dann fertig ist, wenn man bis in die unendlich ferne Zukunft schaut“. Weil dazu aber niemand in der Lage ist, „kann man lokal die Existenz eines scheinbaren Horizonts näherungsweise als ziemlich gute Definition für das Schwarze Loch wählen“.

Und wie verhält es sich mit dem Problem des mutmaßlichen Informationsverlusts, um das es Hawking vor allem geht? Der Haken liegt womöglich in der Mathematik. Hawkings Ansatz beschreibt die quantisierte Strahlung mathematisch als kleine Störung der klassischen Raumzeit eines Schwarzen Lochs. Die Kombination stellt eine „semiklassische Theorie“ dar, die freilich nur im Rahmen dieser Näherung gültig ist. Doch diese Näherung beschreibt die physikalischen Prozesse nicht mehr korrekt, wenn die Quanteneffekte zu groß werden, sagt Gerhard Börner. Dann liefere die Rechnung unsinnige Resultate. Das Informationsverlust-Paradoxon sei ein Scheinproblem, weil es ein Artefakt dieser Näherung ist. „Denn es gibt keine konsistente Beschreibung der Verdampfung des Schwarzen Lochs.“ Die Rückwirkung der ausgesandten Strahlung auf das klassische Schwarze Loch werde ignoriert, die semiklassische Näherung sei damit unvereinbar. Ähnliches gelte auch für die Berechnung des Feuerwand-Paradoxons.

Eigentlich müsse man den gesamten Prozess quantenmechanisch charakterisieren, meint Börner. Man wisse auch nicht, was mit der Singularität passiert, wenn sich das Schwarze Loch am Ende ganz auflöst. „Insofern gibt es hier keine Paradoxien“, sagt der Astrophysiker, „sondern vielmehr offene Fragen.“ Und die bleiben ungelöst, so lange man kein besseres Näherungsverfahren findet oder gar eine vollständige Theorie der Quantengravitation, die auch das Schwarze Loch als Quantenobjekt beschreiben kann.

Claus Kiefer lokalisiert das Problem ebenfalls an dieser Stelle. Auch Hawking glaubt zwar nicht, dass es am Horizont eine Feuerwand gibt. „Aber dafür liefert er nur verbale Argumente, keine quantitativen Rechnungen.“ Hawkings Idee beruht auf der Annahme der Zeitumkehrinvarianz für die Quantengravitation. Danach verändern fundamentale Naturgesetze ihre Form nicht, wenn man gedanklich die Zeitrichtung umkehrt, also den Parameter „t“ durch „- t“ ersetzt. Das Schwarze Loch steht Hawking zufolge im Gleichgewicht mit seiner Strahlung und kann somit keinen Ereignishorizont ausbilden, der eine temporale Sackgasse ist, sondern nur einen scheinbaren Horizont, der sich wieder auflöst.

Kiefer hält dieses Argument für falsch. „Auch die Elektrodynamik und die Statistische Physik sind zeitumkehrinvariant. Dennoch sind nur die auslaufenden elektromagnetischen Wellen realisiert, aber keine einlaufenden, sodass die Zeit hier eine Richtung hat. Ebenso zeichnet der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik einen Zeitpfeil aus.“ Hawking übersieht Kiefer zufolge, dass auch ein Schwarzes Loch ein makroskopisches System ist, für das eine effektive Zeitrichtung existiert. Das heißt: Kiefer hält Hawkings Argumente nicht für schlüssig, obwohl er wie dieser bezweifelt, dass es Feuerwände gibt.

Der Inhalt spielt keine Rolle

Auch Viatcheslav Mukhanov steht nicht hinter der Feuerwand-Hypothese. Der Spezialist für die Beziehung zwischen Quanten- und Gravitationstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München meint: „Mit Hawkings Einwänden bin ich zwar einverstanden. Aber ich widerspreche seiner Aussage zur Wiederherstellung der Information nach der Verdampfung eines Schwarzen Lochs.“

Viele Forscher haben also eine eher zurückhaltende Sicht von Hawkings neuer Arbeit. Zweifellos liefere der Brite einen Beitrag zu einem wichtigen Problem der Relativitätstheorie – nur eben mit vielen unbewiesenen Einschätzungen, meint Claus Kiefer. „Hätte nicht Hawking das geschrieben, sondern jemand anderes, würde kein Hahn danach krähen. Hawking ist eben an sich ein Medienereignis, unabhängig vom Inhalt seiner Arbeiten.“

Viatcheslav Mukhanov formuliert es noch schärfer: „Da in Hawkings Artikel alles nur Worte und Meinungen sind, aber keine Gleichungen stehen, bin ich der Ansicht, dass es gar nichts zu diskutieren gibt.“ Einen Seitenhieb auf die Medien kann sich auch der Theoretische Physiker nicht verkneifen: „In der Wissenschaft geht es nicht ums Meinen und Glauben, und so verstehe ich ehrlich gesagt nicht, warum sich Journalisten so sehr für diesen Artikel interessieren.“ •

von Reinhard Breuer

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