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Die Klassiker

Allgemein

Die Klassiker

Im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie sind Schwarze Löcher ewig, und die Informationen der einfallenden Strahlung und Materie – also ihre physikalischen Eigenschaften – bleiben hinter dem Ereignishorizont verborgen. Doch berücksichtigt man die Quantentheorie, muss sich dieser Horizont in ferner Zukunft auflösen, weil sich dort Teilchen-Antiteilchen- Paare aus dem Quantenvakuum bilden, die teilweise ins All entkommen und dem Schwarzen Loch Energie entziehen. Diese Strahlung ist jedoch thermisch, also zufällig. Wo bleiben dann die im Lauf der Zeit von dem Gravitationsschlund verschluckten Informationen, wenn das ganze Schwarze Loch irgendwann verdampft?

Stephen Hawking: „Es gibt keine Schwarzen Löcher“

Am 22. Januar 2014 erschien ein vierseitiger Artikel mit dem eigenartigen Titel „Information Preservation and Weather Forecasting for Black Holes“ auf dem Physik-Preprint-Server arXiv – wie einige Dutzend andere Vorabdrucke für Fachzeitschriften und Konferenzbände auch. Zunächst nahmen nur Fachleute davon Notiz. Doch eine Woche später tanzten Schlagzeilen um den Globus. Denn der Autor der kurzen Abhandlung war niemand anderes als der Bestseller-Autor und wohl berühmteste lebende Wissenschaftler Stephen Hawking.

Obwohl seit 2009 emeritiert und durch seine schwere Muskelnervenerkrankung fast völlig zur Bewegungslosigkeit verdammt, arbeitet der Theoretische Physiker von der Cambridge University unverdrossen weiter. Im September 2013 hat er seine Autobiografie veröffentlicht, „Meine kurze Geschichte“, außerdem im Januar 2014 mit zwei Kollegen eine komplexe Abhandlung zur Kosmologie im Journal of Cosmology and Astroparticle Physics. Und jetzt auch noch einen weiteren Artikel zu den ominösen Schwarzen Löchern, zu deren theoretischer Erforschung Hawking seit den 1970er-Jahren wohl mehr – und Wichtigeres – beigetragen hat als jeder andere Mensch. Die eigentliche Sensation: Hawking hat, wie Zeitungen und Internet-Seiten groß verkündeten, nun bekannt gegeben, „dass es keine Schwarzen Löcher gibt“.

Auch wenn Medien zur Zuspitzung und Übertreibung neigen: Hawking hat dies tatsächlich so geschrieben. Allerdings kommt es auf den Kontext an – und der ist so kompliziert und umfangreich, dass er nicht in eine knappe Schlagzeile passt. Hinzu kommt, dass Hawkings These selbst im Kreuzfeuer der Kritik steht (siehe Kasten S. 41, „Medienschelte und Hawking-Tadel“). Doch was Hawking sagt, hat Gewicht. Und so verwundert es nicht, dass sein kurzer Artikel für große Aufmerksamkeit sorgte – genau genommen ist er die überarbeitete Version eines Vortrags, den Hawking via Internet-Zuschaltung (Skype) bereits im August 2013 auf einem kleinen wissenschaftlichen Meeting an der University of California in Santa Barbara gehalten hatte.

Verdampfende Schwarze Löcher

Vielleicht hätte er besser sagen sollen: Schwarze Löcher sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren – oder zu sein schienen. Das wäre nicht das erste Mal: Bereits 1974 hatte Hawking nachgewiesen, dass Schwarze Löcher nicht vollkommen schwarz sein können – was maßgeblich seinen Ruhm begründete. Vielmehr sollen sie irgendwann aufgrund von Quanteneffekten zerstrahlen.

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Diese Idee der „Black Hole Explosions“, so auch der Titel eines seiner Fachartikel, schlug unter Physikern wie eine Bombe ein und wurde bald nahezu einhellig akzeptiert. Das ist bis heute so, aber die Schockwellen sind nicht verebbt. Im Gegenteil: Bereits ein Jahr später argumentierte Hawking, dass bei diesem quantenmechanischen Auflösungsprozess sämtliche physikalische Informationen, die in dem Schwerkraftungetüm verschwunden sind, unwiderruflich vernichtet würden. Ob also das Schwarze Loch Gas und Staub verschlungen hatte, ob Materie oder Antimaterie, den Koran oder das Kamasutra – diese Informationen ließen sich nicht nur praktisch, sondern auch prinzipiell niemals mehr wiederherstellen.

Insofern verhalten sich Schwarze Löcher anders als beispielsweise ein Computer. Crasht dort die Festplatte, sind die Informationen immer noch da und können von Spezialisten sogar zum Teil gerettet werden. Und selbst wenn der Computer in Flammen aufginge, wären die Informationen im Rauch quasi noch vorhanden, auch wenn sie keiner mehr lesen könnte. Nicht so bei Schwarzen Löchern: In ihrem „Qualm“ – der Hawking-Strahlung – stecken Stephen Hawking zufolge keine Informationen. Die Strahlung ist rein thermisch, wie Physiker sagen, also zufallsverteilt. Somit wären Schwarze Löcher die besten, ja einzigen absolut sicheren Verstecke für die finsteren Schandtaten von Wirtschaftsbossen und Politikern, die ihre Steuerfälschungen und prallen Schwarzen Kassen voller Parteispenden heimlich aus der Welt schaffen wollen.

Doch eine endgültige Informationsvernichtung in Schwarzen Löchern hätte einen hohen Preis. Es würde buchstäblich die Welt kosten – zumindest die Welt, wie wir sie kennen. Denn so abseitig Schwarze Löcher auch sind: Wären sie irreversible Informationsvernichter, hätte dies prekäre Auswirkungen bis in unseren Alltag hinein.

Gemäß der bestens etablierten Quantentheorie müssen sich alle Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen, auch zufälligen, auf 100 Prozent addieren. Daraus folgt, dass Informationen nie verloren gehen oder im quantenmechanischen Sinn vervielfacht („geklont“) werden können. Physiker sprechen von Unitarität oder unitären Transformationen. Die Unitarität, ein fundamentales Naturprinzip, bedeutet gewissermaßen eine Art von Informationserhaltung. Würde diese nicht gelten, wären seltsame, ja schreckliche Dinge möglich – und alles, was möglich ist, ereignet sich der Quantentheorie zufolge auch. Vor allem bliebe die Energie nicht erhalten, und somit würde ein Grundpfeiler der Physik wanken. Dann könnte buchstäblich alles geschehen – sogar, dass man den Mikrowellenherd anschaltet und ein rotblau karierter Elefant mit Narrenkappe auf dem Kopf heraushüpft.

Die Welt würde verbrennen

„Der Zusammenbruch der Unitarität würde sich ausbreiten und die gesamte Physik verschmutzen“, beschreibt es Steven Giddings drastisch. Die Welt würde förmlich verbrennen. Der Raum wäre voller heißer thermischer Strahlung. „Die Existenz Schwarzer Löcher droht die gegenwärtigen Grundlagen der Physik zu zerstören“ , kommentiert der Physiker von der University of California in Berkeley. „Astronomische Beobachtungen sprechen stark für die Existenz Schwarzer Löcher, aber der Rahmen der Quantenfeldtheorie gibt keine konsistente Erklärung für diese bemerkenswerten Objekte.“

Diese Konsequenz sahen Hawking und andere bereits in den 1970er-Jahren. Seither suchen sie nach Auswegen. So spekulierte Hawking einmal, dass die Informationen aus dem Schwarzen Loch in ein Paralleluniversum gelangen könnten. Oder die Informationen würden in einem extrem verdichteten Zustand gespeichert und als eine Art komprimierter Infor- mationskristall wieder zum Vorschein kommen, wenn das Schwarze Loch verdampft. Es würde sich dann nicht vollständig auflösen, sondern es bliebe ein äußerst informativer Rest übrig.

Doch auch diese und andere Lösungsvorschläge haben ihre Schwierigkeiten. So ist vollkommen unklar, wie ein solcher Rest alle ins Loch geratenen Informationen in sich bewahren könnte. Außerdem müssten die Informationsträger aufgrund von Quanteneffekten sogar von selbst entstehen. „Überall würden solche Gebilde in die Welt hinein explodieren“, beschreibt Giddings die zerstörerische Folge. „Kurz gesagt: Quanteninformation kann nicht aus einem Schwarzen Loch entkommen, weil die Quantenfeldtheorie ‚lokal‘ ist. Sie kann nicht zerstört werden, ohne die Quantentheorie und den Energieerhaltungssatz zu verletzen. Und sie kann nicht übrig bleiben, ohne die Stabilität der Welt zu gefährden.“

Dieses sogenannte Informationsverlust-Paradoxon wird in der Regel so interpretiert, dass irgendwo in Hawkings ursprünglicher Argumentation ein Fehler stecken muss. Eine der Annahmen soll falsch sein. Doch welche? Darüber besteht seit vier Jahrzehnten keine Einigkeit. Trotzdem kamen die meisten Physiker zum Schluss – 2004 auch Hawking selbst (bild der wissenschaft 12/2004, „Warum Stephen Hawking seine Wette verlor“) –, dass die Informationen erhalten bleiben und somit irgendwie wieder aus einem verdampfenden Schwarzen Loch entweichen – es fragt sich nur, wie.

Ein vergleichsweise populärer und gut ausgearbeiteter Lösungsvorschlag ist die Hypothese der Black Hole Complementarity (BHC). Dieses Komplementaritätsprinzip wurde Anfang der 1990er-Jahre von dem holländischen Physik-Nobelpreisträger Gerard ‚t Hofft sowie unabhängig von Leonard Susskind von der Stanford University und seinen Kollegen formuliert und seither weiterentwickelt – auch mithilfe der Stringtheorie, dem besten Kandidaten für eine „Weltformel“ (oder Quantengravitationstheorie).

Laut der BHC-Hypothese erkennt ein Beobachter, der ins Schwarze Loch fällt, die Informationen darin. Und ein anderer weit entfernt könnte sie außerhalb des Schwarzen Lochs messen, etwa codiert in der Hawking-Strahlung. Trotzdem ist dies kein Widerspruch oder eine „Klonung“ der Informationen – die gemäß der Quantentheorie nicht möglich ist –, weil die beiden Beobachter nicht miteinander kommunizieren können.

Die BHC-Hypothese wird nicht von allen Physikern akzeptiert. Aber sie ist hinreichend genau, um ihre Widerspruchsfreiheit untersuchen zu können. Im Wesentlichen beruht sie auf folgenden Annahmen:

· Die Hawking-Strahlung enthält entgegen Stephen Hawkings ursprünglicher Annahme alle im Schwarzen Loch einst verschwundenen physikalischen Informationen. Somit bleibt die Quantentheorie gültig.

· Außerhalb des Ereignishorizonts gilt Hawkings semiklassische Näherungsrechnung – als effektive Feldtheorie – zur Beschreibung des „Verdampfens“ eines Schwarzen Lochs, und das Schwarze Loch ist ein Quantensystem mit einer bestimmten Entropie und diskreten Energieniveaus.

· Ein ins Schwarze Loch fallender Beobachter merkt nichts, wenn er den Ereignishorizont überquert. Diese Grenze ist zwar mathematisch ein besonderer Ort – nämlich der „Außenrand“ des Schwarzen Lochs, jenseits dessen es keine Rückkehrmöglichkeit mehr gibt, also ein „point of no return“. Aber dort ist die Raumzeit selbst nicht anders beschaffen als weiter innen oder außen. Denn sonst wäre das Äquivalenzprinzip falsch und eine drastische Änderung der Allgemeinen Relativitätstheorie nötig.

Verheerende Konsequenzen

So weit, so gut. Oder so unklar. Oder doch eher schlecht. Denn die BHC-Hypothese könnte eine Achillesferse haben. Das entdeckten 2012 vier Physiker von der University of California in Santa Barbara: Ahmed Almheiri, Donald Marolf, Joseph Polchinski und James Sully – nach ihren Initialen in der Fachliteratur inzwischen oft „AMPS“ abgekürzt. Sie fanden heraus, dass die BHC-Hypothese in sich widersprüchlich ist. Die aus dem Schwarzen Loch zum Vorschein kommenden Informationen stecken nämlich nicht einfach in den Photonen der Hawking-Strahlung, sondern in den quantenmechanischen Verschränkungen oder Korrelationen zwischen diesen – ein Quanteneffekt, der durch Experimente gut erforscht ist, aber in der klassischen Physik keine Entsprechung hat.

Sobald das Loch zur Hälfte verdampft ist, das heißt sich seine „Oberfläche“ halbiert hat, muss seine Entropie abnehmen. Dieses physikalische Maß für die Unordnung – quasi der Kehrwert der Information – ist nämlich proportional zur Fläche des Ereignishorizonts. Daraus folgerten AMPS, dass die Quantenverschränkungen zwischen den Teilchen diesseits und jenseits des Horizonts maximal werden und eine Art Sättigung erreicht ist. Das geschieht zwar bei typischen Schwarzen Löchern aus einem Sternkollaps erst in sehr, sehr ferner Zukunft – in ungefähr 1066 Jahren. Aber hier geht es ums Prinzip. Und obwohl die Argumentation von AMPS gleichermaßen vertrackt wie abstrakt ist, hat sie eine verheerende Konsequenz: Am Ereignishorizont muss sich wegen der Quantenkorrelationen eine dünne Wand aus hochenergetischen Partikeln bilden.

Diese „Firewall“ (oder „Feuerwand“), wie AMPS sie nannten, wäre nicht von Anfang an vorhanden – also nicht schon beim Kollaps des ausgebrannten Vorläufersterns des Schwarzen Lochs –, sondern erst bei und durch die Verdampfung und Informationspreisgabe entstanden. Wo genau sie sich befindet, lässt sich schwer sagen, vermutlich aber dicht hinter dem Ereignishorizont, vielleicht nur eine Planck-Länge entfernt: 10–3 3 Zentimeter, der physikalische Minimalabstand. (Die Feuerwand könnte sich alternativen Deutungen zufolge aber auch als ein Wirrwarr von Gezeitenkräften oder gar als „feste Oberfläche“ manifestieren – das ist ungeklärt.)

Drama an der Firewall

Die Assoziation mit einer „Firewall“, wie man sie als Schutzsoftware von Computern gegen Angriffe aus dem Internet kennt, ist übrigens durchaus treffend: Die Feuerwand verhindert, dass jemand ins Schwarze Loch hineinspähen oder eindringen kann, macht das Innere also unzugänglich. Das „Feuer“ selbst gleicht freilich nicht chemisch erzeugten Flammen, sondern ist ein nukleares Phänomen.

Wenn es aber diese dünne Schale energiereicher Teilchen wirklich gibt, ist eine Annahme der Black Hole Complementarity verletzt – nämlich die, dass ein Beobachter, der ins Schwarze Loch fällt, „kein Drama“ erleben sollte, wie die Physiker augenzwinkernd sagen. Damit ist nicht gemeint, dass dies eine ungefährliche Sache wäre. Im Gegenteil: Bei stellaren Schwarzen Löchern sind die Gezeitenkräfte so gewaltig, dass jeder wagemutige Raumfahrer – oder jede robotische Sonde – im Nu wie eine Spaghetti in die Länge gezerrt und dann zerrissen würde. Galaktische Schwarze Löcher sind hingegen fast so groß wie unser Sonnensystem und gewähren theoretisch einem Beobachter unversehrt Eintritt.

Doch das ist nicht der Punkt. „Kein Drama“ bedeutet, dass sich der Ereignishorizont quasi unbemerkt durchqueren lässt. Befindet sich dort jedoch eine Firewall, wären die Folgen dramatisch: Jeder Neugierige würde sofort in Flammen aufgehen. Und das wäre auch für die Theoretiker in ihren vermeintlich sicheren akademischen Elfenbeintürmen ein Problem. Denn eine Feuerwand widerspricht direkt dem Äquivalenzprinzip von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Dem zufolge ist jeder Ort, auch der Ereignishorizont, raumzeitlich gleichberechtigt. Das wäre durch die Firewall widerlegt – ebenso wie der „Vakuumzustand“ eines Schwarzen Lochs an dieser Stelle, wie er von der Relativitätstheorie beschrieben wird. AMPS zufolge impliziert die BHC-Hypothese die Feuerwand – die es aber eigentlich nicht geben dürfte, auch nicht im Rahmen der Komplementarität selbst. Kurzum: Quanten- und Relativitätstheorie – genauer: das von ihnen vorausgesetzte Unitäritäts- und Äquivalenzprinzip – geraten am Ereignishorizont miteinander in heftigen Konflikt.

„Ich war niemals zuvor so überrascht. Ich weiß nicht mehr, mit was ich rechnen soll“, kommentiert Raphael Bousso von der University of California in Berkeley das AMPS-Resultat. Der ehemalige Student von Stephen Hawking spricht von einem „Menü aus der Hölle“, so vergiftet ist der scheinbare Leckerbissen. Denn haben AMPS recht, ist entweder die Informationserhaltung, die Quantenfeldtheorie oder die Allgemeine Relativitätstheorie falsch.

In einer neuen Arbeit zeigte Bousso sogar, dass selbst ohne Quantenverschränkung und uraltes Schwarzes Loch hinter dem Ereignishorizont eine Firewall lauern könnte. „Der konzeptuelle Preis, Informationen aus einem Schwarzen Loch herauszubekommen, ist noch höher, als wir gedacht haben“, resümiert Bousso. „Wenn der Horizont ein spezieller Ort ist – wenn man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit lokal messen kann, dass man ihn überquert –, ist das Äquivalenzprinzip verloren, egal wie harmlos die Überquerung ist. Und das erschüttert die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie.“

Hawking als Feuerwehrmann

Im Kontext dieser Firewall-Diskussion ist auch Stephen Hawkings neuer Beitrag zu verstehen. Hawking versucht, den Brand zu löschen, der die bewährte Physik abzufackeln droht. Wenn, so seine Überlegung, es gar keinen klassischen Ereignishorizont gibt, dann kann dieser auch nicht „Feuer fangen“ – und die Relativitäts- und Quantentheorie bleiben unangetastet.

Quantenfluktuationen verhindern die Entstehung des Horizonts, spekuliert Hawking. Er hat auch ein Argument, warum die Natur solche irreversiblen Ereignishorizonte nicht zulassen könnte – ein fundamentales Prinzip, das sich in der Teilchenphysik bislang glänzend bewährt hat: das CPT-Theorem. Diesem 1956 von Wolfgang Pauli eingeführten Symmetrieprinzip zufolge darf quasi per Naturgesetz jeder Vorgang stattfinden, der zugleich die Ladung (charge, C), Händigkeit (Parität, P) und Zeit (time, T) vertauscht, der also positiv durch negativ (beziehungsweise Materie durch Antimaterie), rechts durch links und temporal vorwärts durch rückwärts ersetzt und umgekehrt. Auch C-, P- und CP-Verletzungen sind erlaubt. Wäre das CPT-Theorem falsch, hätten Quanten- und Relativitätstheorie keine Gültigkeit. Weil aber Schwarze Löcher CP erhalten, jedoch gewissermaßen die irreversibelsten Objekte überhaupt sind – und die größten Entropie-Produzenten –, ihre Entstehung und Auflösung also radikal verschieden erscheinen, müssen sie Hawking zufolge gegen die Vertauschungsrelation der Zeit verstoßen, und damit auch gegen das CPT-Theorem.

Vom Gravitationskollaps zum Regenwetter

Dieses Argument ist umstritten. Doch um die CPT-Symmetrie zu retten, leitet Hawking aus dieser Bedingung kühn ab, dass die Natur Ereignishorizonte streng genommen gar nicht bilden kann. Da diese aber das klassische Definitionsmerkmal Schwarzer Löcher sind, kommt Hawking zu dem Schluss: „Die Abwesenheit von Ereignishorizonten bedeutet, dass es keine Schwarzen Löcher gibt – im Sinn von Bereichen, aus denen Licht nicht ins Unendliche entkommen kann.“ Er relativiert aber sofort: „Es gibt jedoch scheinbare Horizonte, die für eine gewisse Zeit bestehen bleiben. Das bedeutet, dass Schwarze Löcher neu definiert werden sollten als metastabile gebundene Zustände des Gravitationsfelds.“

Das also ist seine schlagzeilenträchtige neue Botschaft. Und sie birgt eine gute Nachricht: Ohne Ereignishorizont ist auch die Annahme von Feuerwänden, Informationskristallen und anderen theoretischen Unerquicklichkeiten passé. Und die Informationen bleiben in der Raumzeit erhalten. Damit wäre das Informationsverlust-Paradoxon aufgelöst. Wenn Hawkings Überlegungen stimmen, war es ein Scheinproblem, bedingt durch eine zu großzügige Näherungsrechnung bei den entsprechenden Lösungen der Allgemeinen Relativitätstheorie – etwa der berühmten Kerr-Metrik rotierender Schwarzer Löcher, die der Neuseeländer Roy Kerr 1963 gefunden hat.

„Innerhalb des Horizonts sind die Metrik und die Materiefelder klassisch chaotisch. Es ist die Näherung dieser chaotischen Metrik durch die glatte Kerr-Metrik, die für den Informationsverlust beim Gravitationskollaps verantwortlich ist“, schreibt Hawking. Chaos meint dabei das klassische, durch nichtlineare Gleichungen beschriebene Phänomen, dass die Entwicklung eines Systems sehr empfindlich von seinen Anfangsbedingungen abhängt, wie man es beispielsweise bei turbulenten Luftströmungen kennt. Also: kleine Ursache, große Wirkung. Selbst der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen unvorhersagbaren Wirbelsturm auslösen … oder verhindern. Obwohl sich das nicht oder nur über kurze Zeiträume hinweg berechnen lässt, geht dabei alles mit rechten und sogar nichtzufälligen Dingen zu, und es verschwinden keine Informationen.

„Das chaotisch kollabierte Objekt wird deterministisch, aber chaotisch zerstrahlen“, schreibt Hawking am Ende seines Artikels und meint damit das neu definierte Schwarze Loch. „Es wird wie bei der Wettervorhersage auf der Erde sein. Sie ist unitär, aber chaotisch, sodass es einen effektiven Informationsverlust gibt. Man kann das Wetter nicht länger als ein paar Tage vorhersagen.“ Womit Hawking auch den eigenartigen Titel seiner Arbeit erklärt hätte. •

RÜDIGER VAAS brennt für die Astrophysik. Der bdw-Redakteur hat ein Buch voller Informationen über Hawking und die Schwarzen Löcher geschrieben: „Tunnel durch Raum und Zeit“.

von Rüdiger Vaas

Medienschelte und Hawking-Tadel

Stephen Hawkings neue These hatte ein großes mediales Echo. Und es gab bisweilen geharnischte Kritik – sowohl an den Medien als auch an Hawking selbst. „Hawkings Meinung, dass keine Ereignishorizonte existieren, wird von vielen seiner Kollegen geteilt, mich eingeschlossen. Sie ist in keiner Weise neu“, sagt beispielsweise Sabine Hossenfelder vom Nordita-Institut in Stockholm, die mit Lee Smolin vom Perimeter Institute im kanadischen Waterloo schon vor einigen Jahren Ähnliches publiziert hat. „Nichts hat sich in unserem Verständnis Schwarzer Löcher aufgrund von Hawkings Artikel geändert.“ Aber der Physiker ist nun einmal enorm populär. Da verwundert es nicht, dass Massenmedien seine Aussagen aufgreifen. Ärgerlich ist aber, wenn das auf verzerrte oder gar falsche Weise geschieht. „Es ist unerquicklich, dass Hawkings Aussage so fehlinterpretiert wurde, weil viele Leute nun meinen, Schwarze Löcher existieren gar nicht“ , sagt Sabine Hossenfelder. Matt Strassler von der Harvard University sieht es ähnlich: „Das schuf eine große Verwirrung.“ Er fürchtet sogar, das Ganze spiele Wissenschaftsgegnern in die Hände, „denn es erweckt den Anschein, dass Forscher täglich ihre Meinung ändern und dass keine etablierten Fakten existieren“. Wenn Hawking recht hat – und das ist keineswegs sicher –, sind die Schwarzen Löcher bloß etwas weniger schwarz und abgründig als bislang gedacht, doch sie sind nicht als astronomische Objekte verschwunden. Das ging in vielen Berichten unter. Ob die Folgen wirklich so dramatisch sind, wie Strassler meint, lässt sich schwer abschätzen. Der Physiker reagierte jedenfalls ziemlich ungehalten: „Manchmal sind die Medien wie ein Schwarzes Loch: Informationen gehen hinein, und nachdem sie bis zur Unkenntlichkeit verrührt wurden, kommen sie wieder heraus durch einen mysteriösen Prozess, der für niemanden einen Sinn ergibt. Außer, dass in diesem Fall eines sehr deutlich wird: Informationen sind verloren gegangen und Fehlinformationen wurden erzeugt.“

Kompakt

· Stephen Hawking spekuliert, dass Schwarze Löcher – also Objekte mit einem Ereignishorizont – streng genommen nicht existieren.

· Er widerspricht damit einer neuen Hypothese, derzufolge sich sein berüchtigtes Informationsverlust-Paradoxon am besten lösen ließe, wenn unterhalb des Ereignishorizonts eines verdampfenden Schwarzen Lochs eine vernichtende Feuerwand wabern würde.

· Wie auch immer der Streit ausgeht: Eine revolutionäre Modifikation der bekannten Grundlagenphysik scheint unvermeidbar zu sein.

Die Doppeldeutigen

Nach der „Black Hole Complementarity“- Hypothese verschwinden Informationen einerseits hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs. Andererseits bleiben sie zugleich für äußere Beobachter zugänglich, etwa in Form von Quantenkorrelationen in der Hawking-Strahlung, die am Horizont entsteht.

Mehr zum Thema

Lesen

Schwarze Löcher groß und klein, nah und fern, theoretisch und konkret: bild der wissenschaft 2/1998, 7/2000, 12/2004, 3/2005, 6/2005, 2/2007, 3/2011, 2/2014

Xavier Calmet, Bernard Carr, Elizabeth Winstanley Quantum Black Holes Springer, Heidelberg 2014, € 53,20

Rüdiger Vaas Tunnel durch Raum und Zeit Von Einstein zu Hawking Kosmos, Stuttgart 2013, € 9,99

Internet

Stephen W. Hawking: Information Preservation and Weather Forecasting for Black Holes arxiv.org/abs/1401.5761

Vortrag von Joe Polchinski über das Firewall-Paradoxon: www.youtube.com/watch?v=tEtt4A7WsDg

Samir Mathur über Informationsverlust und Fuzz Balls: www.physics.ohio-state.edu/~mathur/infopublic/main.html

Ohne Folgen für die Astrophysik

Was wäre, wenn Stephen Hawking recht hat – sowie viele andere Physiker mit ihm – und nirgendwo Ereignishorizonte existieren, sondern nur scheinbare Horizonte? Für die fundamentale Physik und Kosmologie hätte dies erhebliche Konsequenzen. Denn von der Natur der Schwarzen Löcher, aber auch des Urknalls und des Horizonts unseres ganzen beobachtbaren Universums, hängt unser Weltverständnis grundlegend ab. Für die Astronomie hingegen spielt die Diskussion keine Rolle. „Der scheinbare Horizont sieht für eine begrenzte Zeit wie ein Ereignishorizont aus. Und weil wir ohnehin nur etwas für eine begrenzte Zeit messen können, ist der scheinbarer Horizont ausschlaggebend“, sagt Sabine Hossenfelder. „Für alle praktischen Zwecke – und damit meine ich astrophysikalische Beobachtungen – ist der Unterschied völlig irrelevant“, betont die Theoretische Physikerin am Nordita-Institut in Stockholm. Ob die ultrakompakten Objekte, die beim Kollaps der Kerne ausgebrannter Sterne entstehen, deren äußere Hülle als Supernova explodiert, Schwarze Löcher sind oder nur „Fastschwarze Löcher“, macht keinen Unterschied. Die Erklärung beispielsweise von Röntgendoppel- sternen, etwa Cygnus X-1, bleibt die gleiche: Hier entzieht ein „Schwarzes“ Loch einem Nachbarstern Materie und bringt sie zum Aufglühen, bevor es sie verschlingt. Die supermassereichen Objekte im Zentrum der meisten Galaxien, auch der Milchstraße, bei denen sich Millionen bis Milliarden Sonnenmassen auf einem Gebiet kleiner als das Sonnensystem konzentrieren, werden durch Hawkings neue These ebenfalls nicht in Zweifel gezogen. Damit bleibt auch die gängige Erklärung der Galaxiendynamik sowie der ultraenergetischen Strahlungsgewitter von Quasaren, Blasaren und Aktiven Galaxienkernen unangetastet. Demnach verschwinden hier riesige Mengen an Gas und Staub – und manchmal sogar ganze Sterne – im Malstrom der Gravitation.

Die Brandstifter

Einer neuen Hypothese zufolge können die in ein Schwarzes Loch geratenen Informationen wieder entkommen, codiert zum Beispiel in der Hawking-Strahlung. Dann würden deren Quantenverschränkungen mit der Materie und Strahlung im Schwarzen Loch eine Art Feuerwand dicht hinter dem schrumpfenden Ereignishorizont erzeugen, sobald das Loch zur Hälfte verdampft ist. An dieser dünnen Kugelschale aus extrem energiereichen Partikeln würde alles verbrennen, was ins Schwarze Loch fällt – es könnte also nicht weiter nach innen gelangen.

Die Avantgarde

Stephen Hawkings neuer Hypothese zufolge besitzt ein Schwarzes Loch keinen Ereignishorizont, sondern nur einen temporären scheinbaren Horizont. Löst sich dieser infolge von Quanteneffekten auf, kommt die verschwundene Information wieder zum Vorschein. Sie ist allerdings aufgrund chaotischer Prozesse kaum wiederzuerkennen.

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