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„Streichel-Sensor“ enträtselt

Erde|Umwelt

„Streichel-Sensor“ enträtselt
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Selbst sanftestes Streicheln spüren wir (thinkstock)
Ein sanftes Streicheln, das kaum wahrnehmbare Reiben eines Stoffs, das sanfte Wehen einer Brise – unsere Haut spürt selbst leichteste Berührungen. Womit wir aber diese sanften Reize wahrnehmen, war bisher unklar. Jetzt zeigen Versuche mit Mäusen: In der Haut von Maus und Mensch sitzen gleich zwei verschiedene „Streichel-Sensoren“. Beide tragen eine Art Schalter in ihrer Membran, der schon bei leichter Dehnung des Gewebes einen Nervenimpuls auslöst. Die Enträtselung dieses Streichel-Sinns könnte möglicherweise auch den Menschen helfen, denen schon leichteste Berührungen höllische Schmerzen verursachen, hoffen die Forscher.

Unsere Haut liefert uns wichtige Informationen über unsere Umwelt: Über sie erspüren wir Umweltreize wie Wind, Nässe oder Kälte, in unserem Sozialleben spielen Berührungen eine wichtige Rolle. Um diese Signale wahrzunehmen, tragen wir zahlreiche verschiedene Sensoren in der Haut. Doch eines gab Forschern bis heute Rätsel auf: wie wir sanftes Streicheln und zarteste Berührungen wahrnehmen. Bekannt war nur, dass dafür andere Sensoren zuständig sein müssen als bei handfesteren mechanischen Reizen oder gar bei Schmerzen. Kandidaten für solche „Streichel-Sensoren“ gab es zwar bereits, sogenannte Merkel-Zellen – spezielle Zellen in der Haut, die in enger Verbindung zu freien Nervenenden stehen. „Aber ob die Merkelzellen selbst oder diese Nervenenden die leichten mechanischen Reize erspüren, wird noch immer diskutiert“, erklären Seung-Hyun Woo vom Scripps Research Institute in La Jolla und seine Kollegen.

Streicheltest mit Mäusen

Um diese Frage zu klären, führten die Forscher Versuche mit Hautzellen, aber auch mit gentechnisch veränderten Mäusen durch. In einem Vorversuch hatten sie bereits festgestellt, dass in den freien Nervenenden der Haut von Mensch und Maus Ionenkanäle sitzen, die sich bei mechanischer Reizung öffnen. Dehnt sich das umliegende Gewebe, weil beispielsweise ein Finger die Haut direkt daneben sanft eindrückt, werden sie durchlässig und dies löst ein Nervensignal aus. Aber existieren diese Piezo-2 getauften Dehnsensoren auch in den Merkelzellen? Um das zu klären, züchteten die Forscher einen Mäusestamm, bei dem der Piezo-2-Kanal mit einem fluoreszierenden Molekül markiert war. Öffnete er sich, begann er zu leuchten. Im Experiment drückten die Forscher die Mäusehaut leicht ein und beobachteten dann, welche Zellen aufleuchteten. Das Ergebnis: Piezo-2 sitzt offenbar nicht nur in den Nervenenden der Haut, sondern auch in den Merkelzellen.

Um zu testen, welcher der beiden Zelltypen nun das entscheidende Berührungssignal abgibt, schufen die Forscher mittels Gentechnik einen weiteren Mäusestamm. Bei diesem fehlten die Piezo-2-Kanäle nur in Hautzellen – und damit auch in den Merkelzellen. Diese Mäuse setzten Woo und seine Kollegen dann verschiedenen Reiztests aus: Sie pieksten sie vorsichtig mit einer Nadel, stupsten sie mit einem Glasstab, berührten sie sanft mit einem Wattebausch und streiften ganz leicht mit feinen Fasern über ihre Haut. Die Reaktion darauf fiel bei den Piezo-2-losen Mäusen deutlich anders aus als bei normalen Labormäusen, wie die Forscher berichten: Schmerz- und stärkere Druckreize registrierten sie noch genauso gut wie die Kontrolltiere. Aber bei den sanften Berührungen spürten die Tiere augenscheinlich nichts. Auch ihre Nervenzellen feuerten nicht, wie ergänzende Versuche ergaben. „Das zeigt, dass die Merkelzellen eine wichtige Rolle beim Erspüren sanfter Berührungen spielen – und dass sie dazu Piezo-2 benötigen“, erklärt Woo.

Doppelter Sensor

Das Rätsel, wie Maus und Mensch sanfte Berührungen wahrnehmen, ist damit zumindest in weiten Teilen gelöst. Und auch der Streit um den Sensor ist beigelegt – mit einem Kompromiss: „Es scheint, dass beide Lager recht hatten: Sowohl die Nervenenden als auch die Merkelzellen reagieren auf sanften Druck“, sagen Woo und seine Kollegen. Der für unser Sozialleben so wichtige „Streichel-Sensor“ ist damit gleich doppelt besetzt. Das könnte auch erklären, warum er so fein abgestimmt reagiert und sich schnell an wechselnde Bedingungen anpassen kann, meinen die Forscher.

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Und noch etwas könnte die neue Erkenntnis klären helfen: Es gibt Menschen, denen schon leichteste Berührungen höllische Schmerzen bereiten. Selbst der minimale Druck eines Hemds auf der Haut oder ein Luftzug sind für sie eine Qual. „Berührung und Schmerzen sind eng verwandt. Indem wir nun die Mechanismen der Berührung aufklären, könnte uns das helfen, auch diese Schmerzen besser zu verstehen“, hofft Seniorautor Ardem Patapoutian vom Scripps Institute.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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