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Riesenrätsel im Untergrund

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Riesenrätsel im Untergrund
Verbirgt sich in Grönland der größte Meteoritenkrater der Welt?

Karg ist die Landschaft im Südwesten von Grönland. In Maniitsoq, der sechstgrößten Ansiedlung auf der Insel, gibt es bunte Holzhäuschen und ein paar Lagerhallen, eingequetscht zwischen steilen Felsen und dem Fjord. Für Rohstoffunternehmen ist die einsame Gegend hochinteressant: Die Firma North American Nickel fand hier Ende 2012 mehrere Erzvorkommen.

Sie enthalten Nickel, Kobalt und Kupfer, Gold und Platin. Die Erze lagern in einem Gürtel aus ungewöhnlichen magmatischen Gesteinen östlich von Maniitsoq. Diese sogenannten Norite bilden auffällige, teils kilometergroße dunkle oder rostigbraune Flecken innerhalb des hellen Granitgesteins. Sie sind uralt – etwa drei Milliarden Jahre – und stammen aus großer Tiefe.

Mysteriöses zermahlenes Gestein

„Sie müssen sich aus sehr heißen Schmelzen gebildet haben, die aus dem Erdmantel aufgestiegen sind“, sagt Adam Garde. Der Wissenschaftler von der Geologischen Forschungsanstalt für Dänemark und Grönland (GEUS) vermutet, dass die Norite bei einer der größten Katastrophen der Erdgeschichte entstanden sind, als ein 30 Kilometer großer Meteorit das heutige Grönland traf. Der kosmische Brocken soll einen 600 Kilometer großen Krater in die Kruste gerissen haben.

Garde arbeitete schon in den 1980er-Jahren als junger Forscher in Grönland. Mehrere Befunde gaben ihm Rätsel auf. Zum Beispiel, warum sich die Norite in der Gegend um Maniitsoq fanden, wo sich vor drei Milliarden Jahren ein Gebirge bildete, etwas kleiner als die heutigen Anden. „Norite sind an sich schon ungewöhnlich, aber in diese geologische Konstellation passen sie überhaupt nicht“, sagt Garde.

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Merkwürdig erschienen ihm auch Gneise, die sich durch Kontakt mit hydrothermalen Flüssigkeiten stark verändert hatten. Mit denen waren sie offenbar tief im Erdinneren in Kontakt gekommen. Und dann noch die Brekzien: An mehreren Stellen besteht der Untergrund aus Felsen, in denen die Bruchstücke unterschiedlichster Gesteine vermischt sind.

2009 stellte Garde seine Theorie bei einem Workshop in Grönland vor – und konnte den Geochemiker und Meteoritenexperten Iain McDonald von der Cardiff University in Wales überzeugen. Inzwischen haben die beiden Forscher bei zwei Exkursionen weitere Indizien für Gardes Vermutung gefunden – zum Beispiel einen tropfenförmigen Bereich mit einem Durchmesser von etwa 30 Kilometern, in dem sämtliches Gestein zu sandkorngroßen Bröckchen zermahlen wurde. „Dieses Gebiet repräsentiert eine Zone intensiver Zerstörung. Das Gestein wurde dort innerhalb kürzester Zeit pulverisiert“, sagt Iain McDonald.

Die Feldstudien und Laboranalysen bestärkten die Forscher in dem Schluss, dass sich in Maniitsoq die Relikte eines einstmals gewaltigen Kraters befinden. Mit einem geschätzten Durchmesser von 600 Kilometern wäre die „Maniitsoq-Struktur“, wie Garde und McDonald das Gebiet in ihrem Bericht in der Zeitschrift Earth and Planetary Science Letters nennen, der größte bekannte Meteoritenkrater der Erde – und gleichzeitig mit Abstand der älteste.

Den pulverisierten Bereich halten die Forscher für das Zentrum des Kraters. „Das Gestein ist umso stärker zerkleinert und geschmolzen, je näher man dieser Zone kommt“, sagt McDonald. Er und Garde nehmen an, dass dieses Gestein vor drei Milliarden Jahren in 20 bis 25 Kilometer Tiefe lag. Im Laufe der Erdgeschichte wurde die Deckschicht abgetragen, sodass inzwischen nur noch die tiefsten Eingeweide des Kraters zu sehen sind.

Die hydrothermalen Veränderungen erklären die Forscher dadurch, dass die Kraterschüssel sich nach dem Einschlag mit Meerwasser füllte. Die metallreichen Norite sollen kurz nach dem Einschlag entstanden sein. Als die Erdkruste nach dem schweren Impakt zurückfederte, sei Mantelgestein geschmolzen und habe sich durch Spalten und Brüche einen Weg nach oben gebahnt.

Bei manchen Fachkollegen stößt die Hypothese freilich auf Skepsis. „Die Conclusio steht auf tönernen Füßen“, kritisiert Christian Köberl von der Universität Wien. „Ich sehe in Maniitsoq nichts, was auf einen Krater hindeuten würde.“ Er veröffentlichte 2010 zusammen mit Bevan French von der Smithsonian Institution in Washington in der Zeitschrift Earth-Science Reviews eine Liste von Kriterien, mit denen sich Impaktkrater auf der Erde eindeutig identifizieren lassen. Demnach muss man entweder Spuren meteoritischen Materials oder Anzeichen für eine sogenannte Schock-Metamorphose finden. Es müssten also zum Beispiel erhöhte Anteile bestimmter Spurenmetalle vorhanden sein oder besondere Hochdruck- Mineralien wie Diamant oder Stishovit. Diese Variante von Quarz entsteht bei extrem hohen Drücken, wie sie auf der Erde normalerweise nicht vorkommen.

In Maniitsoq, sagt Christian Köberl, sei keines der beiden Kriterien erfüllt: „Es gibt keine Anzeichen für Schock-Metamorphose und nur eine einzige Probe mit einem etwas ungewöhnlichen Platingehalt.“ Den könne man allerdings auch auf eine Beimengung aus dem Erdmantel zurückführen.

Eine unterirdische Schatzkammer?

Garde und McDonald halten dagegen, dass Maniitsoq anders ist als alle bislang bekannten Krater auf der Erde. „Wir glauben, dass das hohe Alter und das Umfeld, in dem der Einschlag stattfand, viele der Unterschiede erklären können“, sagt McDonald. Bislang hätten Meteoritenforscher noch nie die Auswirkungen eines Einschlags auf die heiße untere Erdkruste untersuchen können. Und: Fein zermahlenes Gestein wie in der Trümmerzone bilde sich zwar auch bei Erdbeben. „Solche Zonen sind aber normalerweise gerade Linien, vielleicht ein paar Hundert Meter lang. Sie sind nicht 30 Kilometer groß und kreisförmig“, argumentiert McDonald. Er ist überzeugt: „Ein Einschlag liefert die stimmigste Erklärung für alle unsere Beobachtungen.“

Der kanadische Konzern North American Nickel verfolgt die Debatte mit großem Interesse. Denn viele Meteoritenkrater sind reich an Rohstoffen, so wie die beiden Uralt-Krater Vredefort in Südafrika und Sudbury in Kanada. Das Unternehmen plant für 2013 mehrere Tiefbohrungen in Grönland. Vielleicht wird es dabei neue Hinweise auf eines der brachialsten Ereignisse der Erdgeschichte geben. •

von Ute Kehse

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