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„Heile-Welt-Berichte nützen niemandem“

Allgemein

„Heile-Welt-Berichte nützen niemandem“
Was halten Wissenschaftler von Journalisten? Wie können sich Qualitätsmedien positionieren? Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund, im Gespräch mit bdw-Chefredakteur Wolfgang Hess.

Der journalistische Nachwuchs ist weiblich. Vor Kurzem präsentierte der Leiter der Akademie der Bayerischen Presse, Martin Kunz, eine Übersicht, wonach von 2110 Kursteilnehmern 71 Prozent Frauen waren. Gilt das auch für die Journalistik-Studiengänge an der TU Dortmund, Herr Wormer?

Absolut – und für den Wissenschaftsjournalismus ganz besonders. In den vergangenen Jahren kamen bei uns auf ein bis zwei Studenten in der Regel zehn Studentinnen.

Ist der Journalistenberuf insgesamt unattraktiv geworden?

Ganz und gar nicht. Unsere Bewerberzahlen steigen. Für unsere 12 Plätze im Wissenschaftsjournalismus gab es in den letzten drei Jahren stets zwischen 400 und 500 Bewerber. 2008 verzeichneten wir 198 Bewerber. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Studierende sich heute an diversen Universitäten gleichzeitig bewerben, verzeichnen wir eine steigende Nachfrage. Warum unser Angebot für Frauen attraktiver zu sein scheint, könnte auch den Grund haben, dass die von uns verlangte Doppelqualifikation – besondere Fähigkeiten in Sprache und Ausdruck und tiefergehendes Interesse an einer Naturwissenschaft – Frauen oft mehr liegt als Männern. Die meisten Studierenden entscheiden sich für das Zweitfach Medizin und Biologie.

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Studierende könnten in Dortmund auch Maschinenbau als Zweitfach für den Wissenschaftsjournalismus wählen.

Ja, aber das machen ganz wenige. Redaktionen hätten für Journalisten mit einer solchen Qualifikation zwar Bedarf – egal ob es allgemein um Technik, um die Sicherheit von Großanlagen oder um den Bereich der Datensicherheit in Zeiten der NSA geht. Doch in den mehr als zehn Jahren, seit unser Studiengang besteht, hatten wir nur ganz vereinzelt Interessenten für die ingenieurwissenschaftlichen Zweitfächer. Das Zweitfach Physik wählen dagegen immerhin rund 30 Prozent eines Jahrgangs, gefolgt vom Zweitfach Statistik und Datenanalyse.

Was sind für Sie die Standardanforderungen an einen Wissenschaftsjournalisten?

Primär muss er Journalist ein. Ein Wissenschaftsjournalist muss alles können, was einen guten Journalisten heute auszeichnet. Die Zeiten sind vorbei, als man über Wissenschaftsjournalisten urteilte: fachlich gut, schreibt aber langweilig. Darüber hinaus ist strukturiertes Denken wichtig. Ein moderner Wissenschaftsjournalist muss kritisch hinterfragen, muss erkennen, ob es unter Wissenschaftlern Interessenkonflikte gibt oder ob es PR-Gründe sind, warum eine Nachricht ausgerechnet jetzt auf den Markt kommt. Und er muss erkennen, weshalb ein Forschungsfeld gerade gut finanziert wird.

Über Wissenschaft wird heute mehr berichtet als vor Jahrzehnten. Ist dadurch das gesellschaftliche Verständnis von und für Wissenschaft gestiegen?

Punktuell hat das Verständnis zugenommen. Dank der digitalen Revolution kennen sich heute in einzelnen Segmenten viele Leute besser als früher aus oder können sich rascher einen Überblick verschaffen. Nicht zugenommen hat nach meiner Beobachtung das Grundverständnis für das, was in der Wissenschaft geschieht. Auch deshalb, weil die journalistische Berichterstattung ergebnisorientiert ist und sich selten mit den eigentlichen Prozessen der Wissenschaft beschäftigt. Die oft nachsichtige politische Diskussion um Doktorarbeiten, bei denen es zum Teil gravierende Verstöße gab, zeigt, dass das System Wissenschaft von einigen nicht verstanden wird.

Auf kritisches Hinterfragen reagieren viele Wissenschaftler wenig souverän. Manche machen sogar die Schotten dicht und erklären den Journalisten für unfähig.

Sie haben recht – und auch nicht. Denn ich beobachte viele Wissenschaftler, die sehr wohl erkannt haben, dass eine Heile-Welt-Berichterstattung niemandem nützt – auch nicht der Wissenschaft insgesamt. Andererseits verstehe ich, dass ein Wissenschaftler ungehalten reagiert, wenn er merkt, dass sich ein Journalist rein gar nicht auf die Materie vorbereitet hat.

Die Kommunikationsabteilungen der wissenschaftlichen Einrichtungen wachsen unentwegt. Ist das der künftige Arbeitsplatz für Wissenschaftsjournalisten?

Wer wirklich Wissenschaftsjournalist werden möchte, für den gibt es diese Alternative erst einmal nicht. Wir unterscheiden an unserem Lehrstuhl nach wie vor zwischen Wissenschaftskommunikation – etwa von Museen –, Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus. Auch wenn eine Institutsbroschüre oder ein entsprechendes Magazin edel aussieht, gut geschrieben ist und optisch an bild der wissenschaft heranreicht, ist es doch kein journalistisches Produkt. Wissenschaftskommunikateure berichten kaum kritisch über ihre Institution. Dennoch ist Wissenschaftskommunikation ein Back-up-Markt. Wenn ein Absolvent im Wissenschaftsjournalismus keine gute Anstellung findet, wird er möglicherweise die guten Chancen in der Wissenschaftskommunikation nutzen. Mehr als zwei Drittel unserer Absolventen landen aber nach wie vor im Journalismus.

Die Stellenangebote in der Wissenschaftskommunikation nehmen zu, die im Journalismus ab. Bedeutet das, dass Journalisten mehr und mehr eingelullt werden – auch von Forschungseinrichtungen?

Es gibt zwei Aspekte. Zum einen wird Journalisten die Recherche dadurch einfacher gemacht. Das beobachte ich an der Nobel-Stiftung, um nur ein Beispiel zu nennen. Sie bietet heute ungleich bessere Unterlagen zur ersten Orientierung für Journalisten an als vor 15 Jahren. Andererseits versteht sich Wissenschaftskommunikation als Marketing. Insofern muss ein Journalist heute noch kritischer auf eine Pressemitteilung schauen als früher – selbst bei höchst renommierten Instituten wie Helmholtz oder Fraunhofer. Kritische Wissenschaftsjournalisten sind wichtiger denn je. Natürlich hat auch eine breite Wissenschaftskommunikation seitens der Institutionen ihre Berechtigung. Auch sie ist meinem Verständnis nach aber vor allem der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet. Immerhin bemerke ich in Gesprächen mit Pressesprechern von Hochschulen, Instituten und forschenden Kliniken ein gewisses Unwohlsein, wenn die Verantwortlichen sehen, dass sie Dinge größer verkaufen müssen, als diese es wert sind. Wissenschaft zu verkaufen ist etwas anderes als Gebrauchtwagen anzupreisen. Bei Letzteren erwartet niemand ein hohes Maß an Wahrheit. Wenn das Ganze aber den Wissenschaftsstempel trägt, muss stimmen, was da im Namen einer renommierten Einrichtung behauptet wird.

Wo sehen Sie die größten Defizite im Wissenschaftsjournalismus des deutschen Sprachraums?

Er steht bei den meisten Medien immer noch – oder wieder stark – in der bunten Unterhaltungsecke und ist dort sehr erfolgreich. Anderseits kommt der Wissenschaftsjournalismus in den Hauptnachrichtensendungen oder in der politischen Berichterstattung zu wenig vor – obwohl Wissenschaft heute oft hochpolitisch ist: Beispiel ist die Debatte um Bioethik. Da reicht es eben nicht, als politischer Journalist einfach die Meinungen der Parteien abzufragen, sondern man muss zuverlässig erklären können, was der Stand der Wissenschaft rund um Stammzellen und Klonen ist. Übrigens sind viele Printmedien in diesem Zusammenhang besser entwickelt als die öffentlich-rechtlichen Sender, die nur in seltenen Fällen Wissenschaftsjournalisten ans Eingemachte lassen.

Inwiefern sind Facebook, Twitter oder Google+ eine neue Perspektive für Wissenschaftskommunikation?

Jedes neue erfolgreiche Format ist ein Ausdruck dafür, dass die bisherige Medienwelt auf bestimmte Wünsche nicht eingegangen ist. Bezogen auf die Kommunikation von Forschungseinrichtungen sehe ich die aktuelle Entwicklung aber skeptisch. Wir sind da auf einem Weg, der fast dem US-Privatfernsehmarkt ähnelt und der eine Art Mikrokommunikation darstellt: Jeder installiert seinen eigenen Kanal – mit dem Ergebnis, dass sich eine große Forschungsorganisation dann über sage und schreibe 500 Likes freut. Oder man produziert einen 50 000 Euro teuren Film, den nicht einmal 1000 Leute anschauen. Da wird aus einem Modegefühl heraus unglaublich viel öffentliches Geld vernichtet. Ich meine, Forschungseinrichtungen müssen die wirklich tollen Entdeckungen in Massenmedien verbreiten, ihre sonstige Kommunikation stärker bündeln und sich nicht gegenseitig so viel Konkurrenz machen. Die meisten Menschen haben doch gar keine Zeit, sich täglich durch die Facebook-Einträge oder You-Tube-Kanäle der 83 Max-Planck-Forschungseinrichtungen, 67 Fraunhofer-Institute, 18 Helmholtz-Zentren und der mehr als 400 Hochschulen durchzuzappen.

Vor wenigen Jahren haben Sie medien-doktor.de ins Leben gerufen. Dort beurteilen Sie und ein gutes Dutzend weiterer Journalisten die Qualität von Medizin- und Umwelt-Beiträgen in Publikumsmedien. Ihr Ziel ist, die Berichterstattung über diese Themen qualitativ zu verbessern. Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?

Unsere Beurteilungskriterien orientieren sich an internationalen Vorbildern und entstammen sowohl der guten wissenschaftlichen als auch der guten journalistischen Berichterstattung. Die Bewertungen zweier wissenschaftsjournalistischer Gutachter werden zusammengefasst und online gestellt. Ehe wir das publizieren, informieren wir die Autoren über unsere Beurteilung. Unsere Kritik soll konstruktiv sein und die Arbeit der Kollegen unterstützen.

Und was ist das bisherige Ergebnis der Stärken und Schwächen der journalistischen Berichterstattung?

Der Medien-Doktor Umwelt und unsere experimentelle Bewertung von Pressemitteilungen, der Medien-Doktor PR-Watch, sind erst im Mai 2013 gestartet. Hier ist die Faktenlage noch zu dünn. Zum Medien-Doktor Medizin haben wir bereits erste wissenschaftliche Veröffentlichungen. Demnach ist eine pauschale Kritik an der Berichterstattung unangebracht. Wir haben jedenfalls etwa ebenso viele gute wie schlechte Beiträge gefunden – wobei die Regionalmedien im Durchschnitt schlechter abschnitten als überregionale Medien mit eigener Wissenschaftsredaktion. Die häufigsten Mängel waren, dass Hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen einer Therapie fehlten oder umgekehrt nicht deutlich wurde, wie groß der tatsächliche Nutzen ist und wie gut dieser belegt ist. Eines der krassesten Negativbeispiele der letzten Monate ist jedoch kein journalistischer Artikel, sondern die Pressemitteilung eines Fraunhofer-Instituts. Darin wurde, illustriert durch die Situation einer Patientin, behauptet, dass die Einnahme von Tonmineralien gegen bestimmte Erkrankungen hilft. Tatsächlich waren zum Zeitpunkt der Pressemitteilung aber noch nicht einmal die Tierversuche abgeschlossen, geschweige denn klinische Versuche gestartet worden. Wenn man weiß, dass die meisten Substanzen diese Frühstadien der Wirkungsforschung nicht überstehen, sieht man sofort, dass hier seitens des Instituts eine üble Kommunikationsarbeit abgegeben wurde. Im Journalismus wäre das ein Fall für den Presserat gewesen.

Printmedien verlieren an Kunden – sowohl unter den Lesern als auch bei Anzeigen. Online boomt – aber die dort arbeitenden Journalisten werden schlecht bezahlt. Wie geht es weiter im Qualitätsjournalismus?

Journalisten müssen lernen, effizienter zu arbeiten. So kann ich heute effizienter recherchieren als in den 1990er-Jahren – wenn ich denn weiß, wie. Journalisten müssen folglich durch Aus- und Weiterbildung auf neue Qualitätsniveaus kommen. Andererseits haben journalistische Medien künftig nur dann eine Überlebenschance, wenn sie einen Mehrwert liefern. Wenn Redaktionen so geschrumpft werden, dass sie ihr Medium nur noch über Pressemitteilungen füllen können, fällt dieser Mehrwert flach. Und natürlich müssen die Verlage neue Geschäftsmodelle entwickeln. Doch für eine Übergangszeit sehe ich die Notwendigkeit, dass die Politik eingreift und den Qualitätsjournalismus – der immerhin ein Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie ist – mit innovativen Fördermodellen unterstützt. Und da ist dann wieder die Wissenschaft gefordert, indem sie aufzeigt, welche Modelle eine freie Qualitätsberichterstattung stützen können. Ich glaube nicht, dass in einer funktionierenden Demokratie hochwertiger Journalismus komplett durch Social Media ersetzt werden kann. Wenn das so käme, hätten wir ein Demokratieproblem. •

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  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
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