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Die Goldgräber vom Kaukasus

Geschichte|Archäologie

Die Goldgräber vom Kaukasus
Vor 5400 Jahren schürften Bergleute zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus nach Gold – und rangen mit raffinierten Methoden einem kleinen Berg das Edelmetall ab. Jetzt warnen Archäologen: Die älteste Goldmine der Welt ist in Gefahr.

Es ist eine der ältesten Abenteuergeschichten Europas: der antike Mythos von Jason und den Argonauten. 50 Gefährten, die mit ihrem angeblich blitzschnellen Schiff Argo von Griechenland nach Kolchis am Kaukasus segeln, um dort, am Ende der damals bekannten Welt, das goldene Fell eines Widders zu erbeuten. Die Heldenschar besteht viele Abenteuer, bringt gefährliche Ungeheuer zur Strecke und erfüllt schließlich das Ziel ihrer Reise: Jason entwendet das Goldene Vlies mithilfe der kolchischen Königstochter Medea, gewinnt die Liebe der Prinzessin und flieht mit ihr heimwärts nach Griechenland.

Die Argonautensage – eine echte Heldengeschichte mit Kämpfen um Leben und Tod, einer ereignisreichen Irrfahrt und prickelnder Romantik. Warum die Argonauten dabei ausgerechnet ein goldenes Widderfell aus einem Landstrich am Schwarzen Meer rauben, mag wie mythisches Beiwerk klingen, kommt aber nicht von ungefähr. Das Motiv kennen Wissenschaftler aus anderen Quellen, die gewiss werden lassen: Die Argonautensage hat einen wahren Kern. Antike Historiker und Dichter beschreiben das Land nicht nur als reich an Gold, sondern sie überliefern auch, dass Schafsfelle zum Goldwaschen dienten: Man spannte den Balg im Fluss auf, damit sich die Goldkörnchen darin verfingen. Danach verbrannte man das Fell – und übrig blieb das Gold.

Die Stimmen aus der Antike haben schon seit Längerem Altertumsforscher auf den Plan gerufen. 2004 brach der Montanarchäologe Thomas Stöllner nach Georgien auf, in das Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer, wo sich einst das antike Kolchis befand. Zusammen mit seinem Team vom Deutschen Bergbau-Museum in Bochum und Irina Gambaschidze vom Georgischen Nationalmuseum suchte er nach Spuren von prähistorischem Bergbau. Doch was die Forscher fanden, entpuppte sich als sehr viel älter als vermutet. Offenbar schon zwei Jahrtausende, bevor es antike Schriftzeugnisse gab, hatten Bergleute nach Metall geschürft.

Ein Hügel, viele Stollen

Erste Hinweise auf eine vorgeschichtliche Mine hatten georgische Wissenschaftler in den 1980er-Jahren rund 50 Kilometer südöstlich von Tiflis entdeckt. Nun nahmen die Bochumer Archäologen einen „Buckel“ dort genauer ins Visier: den Kachagiani-Hügel bei Sakdrissi. Die flache Erhebung ist von zahlreichen Gängen und Stollen durchzogen. „Ich habe gleich bei meinem ersten Besuch geahnt, dass es sich hier um eine Stätte prähistorischen Bergbaus handelt“, sagt Thomas Stöllner.

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Doch nach der Entdeckung des Bergwerks interessierte Stöllner und sein Team erst einmal: Was genau wurde hier abgebaut? Die Forscher nahmen Gesteinsproben und analysierten den Metallgehalt im Labor. Dort entdeckten sie den Stoff, für den die Bergleute sich bis zu 30 Meter tief in den Hügel gegraben hatten: Gold.

Woher wussten die Bergleute, dass sie an dieser Stelle nach dem Edelmetall suchen mussten? „Wahrscheinlich war das Gold einst an der Erdoberfläche sichtbar“, vermutet Stöllner. Unberührte Stollen aus dem Altertum fanden die Forscher erst ab einer Tiefe von acht Metern. In den Gängen unter Tage gruben die Archäologen Keramikgefäße, Werkzeuge und Holzkohle aus. Ein Glücksfall – denn mit den Kohleresten war es möglich, den Fundort genau zu datieren. „Als wir die Ergebnisse der C14-Datierung in der Hand hatten, war ich doch sehr überrascht“, erzählt Stöllner. Offenbar waren Goldsucher hier schon zwischen 3400 und 3000 v.Chr. am Werk. Das Bergwerk von Sakdrissi ist damit die älteste bekannte Goldmine der Welt.

Seit jeher übt das Edelmetall eine große Faszination auf die Menschen aus. Das liegt neben seinem glänzenden Aussehen vor allem an einer weiteren Eigenschaft: Gold verwittert nicht. Diverse Kulturen haben es daher in die Nähe von Göttern und Herrschern gerückt – denn auch deren Dasein sollte unvergänglich sein. Doch das begehrte Metall zu gewinnen ist aufwendig und verlangt spezielle Kenntnisse. In den Erzgängen des Kachagiani-Hügels etwa ist das Gold so fein verteilt, dass man es mit bloßem Auge nicht sehen kann. Wie die Kumpel der Frühbronzezeit diesen kostbaren Stoff trotzdem der Erde abrangen, fanden die Archäologen durch Experimente heraus.

Stetes Feuer höhlt den Stein

„Wir haben sogenannte Feuersetznischen, Rußspuren und unzählige Holzkohlereste gefunden, sodass uns bald klar war: Die Bergleute haben das Gestein durch Feuer mürbe gemacht“, schildert Thomas Stöllner die Spurensuche der Wissenschaftler. Das Team hat das Feuersetzen selbst ausprobiert. „Das hat wunderbar funktioniert. Wenn die Bergleute im Abbau schräg nach unten gingen und so eine Art Kamin aus dem Fels schlugen, konnten sie in 30 Meter Tiefe ein Feuer machen. Der Rauch zog problemlos ab.“

Etwa 25 Zentimeter Gestein ließen sich nach einmaligem Feuersetzen aus der Wand lösen. Tausende kaputte Steinhämmer, die sich in den Gängen fanden, zeugen von dem hohen Kraft- und Materialaufwand, mit dem die Bergleute den Fels bearbeiteten.

Der schwierigste Teil der Goldgewinnung kam aber erst danach: Die Bergarbeiter zerkleinerten das Gestein, um das goldhaltige Erz freizuschlagen. Diesen Vorgang konnten die Forscher mithilfe von Werkzeugfunden rekonstruieren. In den Abraumhalden waren sie auf Amboss- und Schlagsteine gestoßen. Sie funktionierten nach dem Prinzip von Mörser und Stößel. Mit den rundlichen Schlagsteinen in der Faust zerschlugen die Bergleute das abgebaute Gestein auf flachen Steinplatten – den Ambosssteinen –, in die sich mit der Zeit tiefe Mulden gruben.

Anschließend musste das Erz fein gemahlen werden. Wie die Goldschürfer im 4. Jahrtausend v.Chr. die Goldpartikel aus dem Erzstaub lösten, darauf fanden die Bochumer Montanarchäologen einen vagen Hinweis. Auf dem Gelände kamen die Reste einer bronzezeitlichen Zisterne zum Vorschein. Hier hatte man das Erzmehl vielleicht ausgewaschen. Denn: Die Erfahrung neuzeitlicher Goldwäscher lehrt, dass sich die feinen Flitter am besten mit Wasser herausschwemmen lassen. Gold ist etwa 19 Mal so schwer wie Wasser und sinkt schneller zu Boden als die übrigen Sedimente. Durch geschicktes Schwenken können die Goldstückchen von Sand und Erz abgesondert werden.

Das Ausgräberteam hat die mühevolle Arbeit mit prähistorischen Geräten experimentell nachgeahmt: „Wir haben 30 Kilogramm Erz aufbereitet. Vier Arbeiter benötigten vier Tage, um das Erz so fein zu mahlen, damit sie es auswaschen konnten“, berichtet Stöllner. „Für ein Gramm Gold musste ein Mann 42 Stunden arbeiten. Das entspricht ungefähr einer heutigen Arbeitswoche.“

Doch woher wussten die Kumpel der Frühbronzezeit, welche Erzadern im Berg Gold enthielten und welche nicht? Auch darauf fanden die Archäologen eine Antwort: Unmittelbar an den Grubenkanten entdeckten sie Mulden – ganz ähnlich den Kuhlen auf den Ambosssteinen. Die Bergleute prüften dort vermutlich immer wieder den Goldgehalt in kleineren Gesteinsproben, zermalmten das Erz und wuschen das Gold aus.

Stöllner und seine Kollegen schätzen, dass die Arbeiter in den 400 Jahren, in denen sie am Kachagiani-Hügel Bergbau betrieben, ungefähr 150 Kilogramm Gold gewannen. Freilich könnte es auch wesentlich mehr gewesen sein, falls sie auf Erze mit einem sehr hohen Goldgehalt gestoßen waren.

Die Spuren von dieser beachtlichen Menge Gold verlaufen jedoch sprichwörtlich im Sand. Den Verbleib konnten die Montanarchäologen bislang nicht feststellen. Dafür machten sie den Ort ausfindig, an dem die Erzbrocken fein zerrieben wurden. Etwa einen Kilometer vom Bergwerk entfernt stießen sie auf die Reste einer Siedlung, die zu der Zeit bewohnt war, als die Bronzezeit-Kumpel im Bergwerk zugange waren. „In der Siedlung haben wir Geräte gefunden, die zeigen, dass hier Gold verarbeitet wurde: Mahlsteine mit typischen Spuren und Rillen, um hartes Erzgestein mehlfein auszumahlen“, erklärt Stöllner. „In einem Haus haben wir sogar feine Goldpartikel entdeckt, außerdem Schmelzherde und Tiegel, in denen das Gold geschmolzen und von anderen Metallbestandteilen getrennt wurde.“

Zwischen Toten wohnen

Der Bereich zur Goldverarbeitung war klar von der übrigen Siedlung abgegrenzt, wo die Archäologen Mauerreste von Wohnhäusern aufspürten. Hier hatten womöglich mehrere Hundert Menschen gelebt, schätzt Stöllner. Die Goldschürfer begruben ihre Toten zwischen den Häusern. 6 Gräber mit insgesamt 20 Toten haben die Wissenschaftler bislang freigelegt. Darin fanden sie auch Tongefäße, die sie eindeutig der sogenannten Kura-Araxes-Kultur zuordnen konnten. Sie ist benannt nach dem längsten Fluss Georgiens, der Kura, und dem südkaukasischen Fluss Arax. Die Kulturstufe markiert den Beginn der Bronzezeit im Kaukasus, deren Ausläufer bis nach Ostanatolien und den Nordwestiran reichten.

In den Grablegen der Kachagiani-Siedlung fiel den Ausgräbern noch etwas anderes auf: Man hatte die Gräber für erneute Bestattungen immer wieder geöffnet, und dabei auch Skelette zur Seite geschoben und Knochen entnommen. Vielleicht, so vermuten die Bochumer Archäologen, spielte die Ahnenverehrung im Leben der Bewohner eine zentrale Rolle. Gold fand sich in den Gräbern allerdings nicht. Und das bereitet den Wissenschaftlern Kopfzerbrechen.

Zwar wissen sie jetzt, dass die Siedlungsbewohner Gold gewannen – doch was sie damit machten, ist ein Rätsel. „Es kann sein, dass der Handel mit Gold für den Austausch zwischen den Eliten, für soziale oder wirtschaftliche Transaktionen wichtig war. Vielleicht hatte Gold aber auch eine besondere rituelle Bedeutung und fand sich deshalb nicht in den Gräbern“, vermutet Thomas Stöllner.

Viel konnten die Forscher bisher nicht über die Menschen in Erfahrung brin- gen, die damals am Kaukasus lebten. Seit 6000 v.Chr. wurde in dem Gebirge nach Metall gesucht, das sich anfangs nur in geringen Mengen und nur an der Oberfläche fand. Ab der Mitte des 4. Jahrtausends v.Chr. kam es dann zu einem regelrechten Metallrausch. Die Menschen gruben sich immer tiefer in den Berg, um neben Kupfer – wie in Sakdrissi – Gold aus der Erde zu holen. Sie ersannen immer komplexere Methoden, um die Metalle zu gewinnen und zu verarbeiten.

Die Kaukasusregion entwickelte sich zu einem boomenden Bergbauzentrum. Spätere antike Sagen erzählen davon. So ließ Zeus Prometheus im Kaukasus an den Fels schmieden – als Strafe dafür, dass er den Menschen das Feuer gebracht hatte. Der Mythos vom Zug der Argonauten hat seinen Ursprung wahrscheinlich am Beginn des 1. Jahrtausends v.Chr., als die Griechen in die Gebiete am Schwarzen Meer vordrangen und von dort Gold nach Hause brachten – entweder als Beute oder als Handelsware.

Mit dem Metallboom im Kaukasus veränderte sich die Lebensweise der Menschen. Sie blieben, wo das Erz war, und wurden sesshaft. Es begann jene Kura-Araxes-Kultur aufzublühen, der auch die Menschen im Bergarbeiterdorf bei Sakdrissi angehörten. Die typische Keramik fanden Ausgräber überdies im sogenannten Königsgrab von Arslantepe nahe der ostanatolischen Stadt Malatya. Dort hatte man dem Toten Perlen aus Gold mit ins Grab gegeben. Stammte das Metall dafür aus der georgischen Grube? Das interessiert die Bochumer Archäologen brennend. „Wir haben inzwischen den ‚Fingerabdruck‘ des Goldes aus dem georgischen Bergwerk bestimmt. Das heißt, wir können seine chemische Zusammensetzung genau beschreiben“, berichtet Andreas Hauptmann, der am Deutschen Bergbau-Museum für die Untersuchung des Goldes verantwortlich ist.

Wo ist das Gold aus Sakdrissi?

Eine winzige Probe der Perlen von Arslantepe könnte vielleicht endlich klären, welchen Weg das Gold aus Georgien einst genommen hat. „Doch das dürfte für die nächsten Jahrzehnte aussichtslos sein“, meint der Mineraloge Hauptmann. „Das Museum wird sein Gold auf keinen Fall herausgeben.“ Die Sorge um den Erhalt der Objekte ist schlicht stärker als der Gewinn wissenschaftlicher Erkenntnisse. Verständnis für diese Entscheidung haben die Bochumer aber allemal. Sie plagen inzwischen ähnliche Sorgen, denn sie bangen um ihre prähistorische Goldgrube: Eine georgische Wissenschaftlerkommission hat 2013 der Stätte den Status als nationales Kulturdenkmal aberkannt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die russisch-georgische Bergbaufirma RMG Gold Ltd will in der Gegend Gold fördern und hat von der georgischen Regierung eine Lizenz erworben.

Thomas Stöllner schätzt, dass unter dem Kachagiani-Hügel Gold im Wert von rund 120 Millionen Euro schlummert. Im Umkreis von Sakdrissi könnte sogar genügend Gold lagern, um bis zu 700 Millionen Euro umzusetzen. Stöllner hat an die georgische Regierung appellliert, sich nicht dem Druck der Bergbauindustrie zu beugen. Er verfasste einen offenen Brief und startete eine Petition – bislang noch ohne Wirkung.

Gold ist eben ein besonderer Stoff. Dem griechischen Helden Jason hat es jedenfalls kein Glück gebracht: Jahre nach seiner Rückkehr nach Griechenland wollte er eine weitere Frau ehelichen. Aus Rache tötete seine kolchische Gemahlin Medea die gemeinsamen Kinder und ließ die neue Braut bei lebendigem Leib verbrennen. Zum Glück scheint an dem Mythos nur der Kern wahr zu sein. •

Ulrike Biehounek hat der Goldrausch gepackt – los geht‘s in der Goldwaschanlage für Kinder im Leipziger Zoo.

von Ulrike Biehounek

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