Unsere Gesichter verraten einiges über uns: Konturen und Gesichtszüge spiegeln unser Alter und unser Geschlecht, geben aber unterschwellig auch Auskunft über unsere Gesundheit und sogar unsere Fortpflanzungsfähigkeit. So fördert das weibliche Geschlechtshormon Östrogen beispielsweise typisch feminine Merkmale wie volle Lippen und große Augen, gleichzeitig spielt es eine wichtige Rolle für die weibliche Fruchtbarkeit. Studien zeigen, dass die meisten heterosexuellen Männer Frauen mit eher femininen Gesichtszügen bevorzugen – möglicherweise weil sie damit unbewusst auf die subtilen Signale der Fruchtbarkeit reagieren. Unklar war aber bisher, ob diese Präferenzen global sind oder ob es möglicherweise kulturelle oder regionale Unterschiede gibt.
Ein internationales Forscherteam um Urszula Marcinkowska von der Universität von Turku in Finnland hat dies nun in einem Online-Experiment getestet. Für die Studie nutzten die Forscher nachträglich mittels Bildbearbeitung veränderte Portraitfotos von Frauen. Eine Kopie machten sie jeweils etwas maskuliner – beispielsweise indem sie das Kinn breiter und kantiger und die Augen kleiner machten. Die andere Kopie wurde feminisiert – unter anderem indem sie das Kinn verschmälerten und die Lippen und Augen vergrößerten. Diese Portraits wurden für Online-Tests in 16 verschiedenen Sprachen eingesetzt. An diesen nahmen insgesamt 1.972 Männer im Alter zwischen 18 und 45 aus 28 Ländern teil. In den Tests sahen die Männer jeweils zwei Varianten eines Portraits – eines etwas maskuliner, eines etwas femininer – und sollten angeben, welche von beiden sie attraktiver fanden.
Japaner mögen es am femininsten
Das Hauptergebnis war zunächst eindeutig: „In allen Ländern hatten die Männer eine signifikant größere Vorliebe für die feminisierten Gesichter“ berichten Marcinkowska und ihre Kollegen. Wie stark diese Präferenz aber ausgeprägt war, unterschied sich zwischen den einzelnen Ländern erheblich: Am unentschiedensten reagierten die Männer aus Nepal: Bei ihnen lag das Ergebnis bei 52 Prozent – also nur knapp über der 50:50-Marke, wie die Auswertung zeigte. Sie fanden demnach auch eher maskulinere Frauen attraktiv. Japanische Männer bildeten das andere Extrem: Sie bevorzugten zu mehr als drei Vierteln die femininere Portraitvariante. „Das ist unseres Wissens nach die erste Studie, die solche geografischen Variationen in der Präferenz weiblicher Gesichter quantifiziert“, konstatieren die Forscher.
Einen möglichen Grund für die auffallenden Unterschiede fanden die Wissenschaftler, als sie ihre Ergebnisse mit den nationalen Gesundheits-Indices der einzelnen Länder abglichen: Je höher das Niveau der öffentlichen Gesundheitsversorgung, desto höher war auch die Präferenz der Männer für typisch weibliche Frauengesichter. In Ländern wie Nepal, in denen das Leben hart und die Ressourcen knapp sind, sind dagegen maskulinere Frauen eher gefragt. Die Vermutung der Forscher: Möglicherweise könnte dies daran liegen, dass männlichere Gesichtszüge unterschwellig signalisieren, dass eine Frau stark genug ist, um auch unter den harten Bedingungen „ihren Mann zu stehen“ und ihre Familie mitzuversorgen.
Eine weitere mögliche Erklärung: In Regionen mit hoher Krankheitsrate und niedrigem Lebensstandard haben Männer oft einen niedrigeren Testosteronspiegel, wie Marcinkowska und ihre Kollegen erklären. Das männliche Geschlechtshormon beeinflusst aber durchaus sowohl das Paarungsverhalten als auch den Blick aufs andere Geschlecht. Es könnte daher sein, dass Männer in den wohlsituierten Industrienationen hormonell gesehen maskuliner reagieren und daher femininere Frauen bevorzugen. Welche der beiden Erklärungen aber zutrifft – oder ob möglicherweise beide eine Rolle spielen – müssen nun weitere Studien zeigen.