Trotz vieler neuer Informationen, die Wissenschaftler in den letzten Jahren gewonnen haben, gibt es immer noch Unklarheiten über den Ursprung und die Besiedlungsgeschichte der ersten Menschen auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Derzeit gehen die meisten Experten davon aus, dass die Urbevölkerung einer bestimmten 4Menschengruppe entstammte, deren Wurzeln in Sibirien lagen. Doch bisher gab es einen Kritikpunkt an dieser Theorie: Die Merkmale der Gesichtsknochen von Überresten der frühesten bekannten Amerikaner unterscheiden sich deutlich von denen der modernen Ureinwohner. Dies führte zu Spekulationen, dass nach der ersten noch weitere Menschengruppen eingewandert sein könnten, die anderen Ursprungspopulationen entstammten. Bisher fehlte genetisches Material, um diese Möglichkeit zu überprüfen. Doch der neue Fund konnte diese Lücke nun schließen, berichten die Forscher um James Chatters von der US-amerikanischen Forschungseinrichtung Applied Paleoscience in Bothell.
Bei der Höhle handelte es sich in prähistorischer Zeit wohl um eine Art Falle, die auch vielen heute ausgestorbenen Tieren zum Verhängnis geworden war, denn ihre Knochen stapeln sich neben dem Fundort des menschlichen Skeletts in dem bizarren Unterwasserreich. Den Forschern zufolge begann sich die Höhle erst vor etwa 10.000 Jahren mit Wasser zu füllen. Heute ist sie ein Paradies für Höhlentaucher. So gelang auch der spektakuläre Fund – mit Blick durch die Taucherbrille.
Erbgut zeigt eindeutige Ähnlichkeiten
Den Untersuchungen zufolge stammt das Skelett von einem 15- bis 16-jährigen Mädchen. Die Forscher gaben ihr den Namen Naia. Die Radiobarbon-Datierung ergab, dass sie vor etwa 12.000 Jahren in die Höhle gestürzt war. Sie besaß die typischen – umstrittenen – Gesichtsmerkmale der frühesten Amerikaner, zeigten die Analysen. Es gelang den Forschern in diesem Fall allerdings, einem ihrer Backenzähne Erbgut zu entlocken und es zu analysieren. Es handelte sich dabei um mitochondriale DNA. Sie eignet sich besonders gut zur Untersuchung von Verwandtschaftsbeziehungen unter Menschengruppen.
Die Vergleiche mit Erbgut heutiger amerikanischer Ureinwohner offenbarten einschlägige Gemeinsamkeiten, berichten die Forscher: Trotz der unterschiedlichen Gesichtsstrukturen scheint die junge Frau zur Gruppe der Vorfahren der heutigen Ureinwohner gehört zu haben. Die Gesichtsmerkmale der heutigen Menschen haben sich demnach offenbar erst später entwickelt. Die charakteristischen Eigenschaften des Erbguts der ersten Amerikaner und ihrer Nachkommen sind den Forschern zufolge höchstwahrscheinlich in Beringia entstanden. In diesem heute überfluteten Gebiet zwischen Sibirien und Alaska lebten die Vorfahren der ersten Amerikaner vermutlich eine Zeit lang als isolierte Population, bevor das schmelzende Eis den Weg nach Nordamerika freigab. Die aktuellen Ergebnisse entkräften also die Spekulation, dass es mehrere Einwanderungswellen unterschiedlicher Menschengruppen aus Eurasien oder anderen Teilen der Welt gegeben hat.
„Diese Forschungsarbeiten waren in vielerlei Hinsicht begeisternd“, sagt Chatters: „Diese wunderschöne Höhle, die Tierknochen, das so vollständig erhaltene Menschenskelett und dann die erfolgreichen Untersuchungsergebnisse. Doch das Aufregendste ist natürlich, dass wir nun neue Antworten auf die Frage haben, wer die ersten Amerikaner waren“, so Chatters.