Rund sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes – Tendenz steigend. Bei Betroffenen mit einem Typ-1 Diabetes gehen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zugrunde, dadurch fehlt ihnen das Hormon, das den Blutzucker reguliert. Mit 90 Prozent der weitaus größte Teil der Diabetiker leiden dagegen an einem Diabetes Typ-2. Hier werden die Körperzellen unempfindlich gegenüber dem Insulin. Um dies auszugleichen, produzieren die Zellen der Bauchspeicheldrüse mehr und mehr von dem Blutzuckerhormon, bis sie schließlich ebenfalls ihre Arbeit einstellen. Das Resultat ist in beiden Fällen ein bedrohlicher Mangel an Insulin. Steigt der Blutzuckerspiegel an, kann der Körper dies nicht mehr regulieren.
Ansatzpunkt: Abbau-Enzym
Bisher beruhen medikamentöse Therapien von Diabetes vor allem auf drei Prinzipien: Einige Wirkstoffe stimulieren die Freisetzung von Insulin im Körper, andere sollen die Sensibilität der Zellen für das wenige vorhandene Blutzuckerhormon steigern. Reicht dies nicht aus, müssen sich die Patienten das fehlende Insulin spritzen – eine wenig angenehme Prozedur. „Was bisher fehlte, war die Möglichkeit, den Abbau des Insulins zu verlangsamen“, erklärt Studienleiter Alan Saghatelian von der Harvard University. Denn wenn das wenige Insulin, das noch vorhanden ist, länger hält, kann dies einen Mangel zumindest in Teilen ausgleichen. Ein weiterer Vorteil: Der Insulinspiegel schwankt weniger stark als bei einer Zugabe von außen. Saghatelian und seine Kollegen suchten in den letzten Jahren gezielt nach einer Substanz, die dies leisten kann – jetzt hatten sie Erfolg.
Für ihre Studie setzten die Forscher am Insulin Degrading Enzym (DIE) an, dieses sorgt normalerweise dafür, dass das Blutzuckerhormon schnell abgebaut wird. Ausgehend von der Struktur dieses Enzyms konstruierten die Wissenschaftler mit biotechnischen Methoden 14.000 verschiedene kleine Moleküle. Diese brachten sie einzeln mit DIE in Kontakt und prüften, ob sich beide verbanden. „Unsere Hypothese war, dass Moleküle, die an IDE binden, auch seine Aktivität beeinflussen könnten“, erklärt Ko-Leiter David Liu von der Harvard University. Und tatsächlich wurden sie fündig: Eines der Moleküle, 6bK getauft, erwies sich als potenter Hemmstoff für das Insulin-abbauende Enzym. Und es entfaltete diese Wirkung sehr selektiv, ohne andere Enzyme zu behindern.
Wirksam auch im Mäusetest
Im nächsten, entscheidenden Schritt testeten die Forscher, ob das Molekül 6bK auch im lebenden Tier diese Wirkung zeigte – und ob es lange genug hielt, um wirksam zu sein. Dazu injizierten sie Mäusen zwei Milligramm dieser Substanz und untersuchten, wie viel davon sich in verschiedenen Geweben nachwiesen ließ und wie lange. Gleichzeitig verfolgten sie den Insulinspiegel der Tiere, nachdem diese gefressen hatten. Das Ergebnis: Die Halbwertszeit von 6bK im Blutplasma der Mäuse lag bei mehr als zwei Stunden – lange genug, um eine Wirkung zu entfalten. Gleichzeitig verhinderte die Blut-Hirn-Schranke, dass die Substanz ins Gehirn gelangte. Wie die Forscher erklären ist dies wichtig, weil das IDE dort die Amyloid-Proteine abbaut – geschieht dies nicht, bilden sich krankmachende Plaques. Und auch die Wirkung auf das Blutzuckerhormon Insulin erwies sich im Tierversuch als genauso potent wie erhofft: „Mäuse, die mit 6bK behandelt waren, hatten einen deutlich niedrigeren Blutzuckerspiegel und höhere Insulinwerte als die Kontrolltiere“, berichten Saghatelian und seine Kollegen.
Nach Ansicht der Forscher könnte diese Entdeckung einen ganz neuen Weg eröffnen, Diabetes zu behandeln – und zu neuen Medikamenten führen. Sie betonen aber auch, dass dafür noch zahlreiche weitere Untersuchungen und Tests nötig sein werden. „Es müssen noch einige Faktoren optimiert werden“, erklärt Saghatelian. „Aber wir haben bewiesen, dass dieser Weg funktioniert und damit die Karotte für die Pharmaindustrie und andere Labore rausgehängt, damit diese nun dazu beitragen, die verbleibenden Hürden zu überwinden.“