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Zeitreise mit kosmischem Staub

Astronomie|Physik

Zeitreise mit kosmischem Staub
Die Daten des Planck-Satelliten sind durch viele Störquellen verunreinigt. Doch was Kosmologen stört, ist für Astronomen eine Fundgrube – sie stöbern darin nach grundlegenden Hinweisen auf die Geschichte des Universums.

Wer durch ein Museum läuft, ist Zeitsprünge gewöhnt. Hier ein mittelalterliches Schwert, daneben ein Römerhelm und im Nachbarraum ein versteinerter Mammutschädel. Astronomen brauchen kein Museum – am Teleskop wird jede kosmische Besichtigung zu einer Reise in die Vergangenheit. Und auch dabei geht es sprunghaft zu: Je weiter ein Himmelsobjekt entfernt ist, umso tiefer blicken die Forscher in vergangene kosmische Epochen.

Besonders effektiv ist eine Zeitmaschine, spendiert von der Europäischen Weltraumbehörde ESA: der 2009 gestartete Planck-Satellit. Er hat bis 2013 den Himmel kartiert, und seine Daten werden noch immer ausgewertet. Bei dieser Mission geht es um die Zeit unmittelbar nach dem Urknall.

In seiner frühesten Phase sah das Universum noch ganz anders aus: Es gab weder Galaxien noch Sterne und Planeten. Um Spuren aus diesem Zeitalter aufzuzeichnen, hat der Planck-Satellit rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt den gesamten Himmel abgetastet. Sein wichtigstes Forschungsziel war die für Kosmologen so wichtige Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (bild der wissenschaft 9/2013, „Der Himmelscode”).

Für Astrophysiker, die sich für die folgende Ära der Sterne und Galaxien interessieren, sind diese Messungen ebenfalls wertvoll. Sie nutzen eine Art Abfallprodukt der Planck-Messkampagne. Denn die Strahlung aller Himmelskörper – im Kosmologen-Jargon „Vordergrund” genannt – muss sorgfältig analysiert werden, um diese Verunreinigung der Daten herauszurechnen. Nur so offenbart sich der nicht kontaminierte Mikrowellen-Hintergrund.

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Ein großer Anteil der Vordergrund-Strahlung stammt von unserer heimatlichen Galaxie, der Milchstraße – beispielsweise von den Gas- und Staubwolken des interstellaren Mediums, das immerhin zwischen 10 und 15 Prozent der Gesamtmasse der Galaxis ausmacht. In solchen interstellaren Wolken kommt es zur Geburt neuer Sterne.

Molekülwolken in der Milchstraße

Die größten Wolken sind gleichzeitig die massereichsten Gebilde in der Milchstraße – sie können mehrere Millionen Sonnenmassen Materie enthalten. Verschiedene Moleküle mischen sich darin. Nach dem Wasserstoff (H2) ist das zweithäufigste Molekül das Kohlenmonoxid (CO). Auf der Erde ist CO als giftiges Verbrennungsgas geächtet, Astrophysiker schätzen es hingegen als „ Tracer” (Indikator) für das ansonsten nur schwer nachweisbare H2.

Zwar besaßen die Forscher schon vor Planck Karten der CO-Verteilung in der Galaxis. Doch die beschränkten sich auf das Zentrum und die Äquatorebene. Nun eröffnet sich eine Art Rundumblick: Weil drei Spektrallinien des CO-Moleküls in Plancks Messkanäle fallen, konnten die Astrophysiker erstmals eine vollständige Himmelskarte anfertigen. Ein Ergebnis dieser Auswertungen ist, dass die CO-Emissionen deutlich über die bislang bekannten Grenzen der Gaswolken hinaus reichen. Sie sind demnach viel großräumiger als bisher angenommen.

Weit jenseits der Milchstraße sind genaue Entfernungs- und Altersangaben schwierig. Man behilft sich deshalb mit einem Maß, das leicht zu bestimmen ist: der kosmologischen Rotverschiebung (z). Sie ist eine Folge der von Edwin Hubble festgestellten Ausdehnung des Weltraums. Den z-Wert ermitteln Astronomen aus der gemessenen Verschiebung typischer Spektrallinien. Eine Rotverschiebung nahe bei null entspricht der kosmischen Nachbarschaft – diese Objekte sind uns auch zeitlich am nächsten.

Die heißen Gasmassen, die Planck kürzlich ablichtete, liegen bei z = 0,07. Das heißt, sie sind ungefähr eine Milliarde Lichtjahre entfernt. Somit hat die Planck-Zeitmaschine rund eine Milliarde Jahre in die Vergangenheit geblickt. Das Gas überbrückt die kosmischen Abgründe zwischen zwei Galaxienhaufen.

Gigantisches Netz

In der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics berichten die Forscher von diesen brückenartigen „Filamenten”. Entdeckt wurde das Gas mithilfe des sogenannten Sunyaev-Zel’dovich-Effekts (siehe Kasten unten). Juan Macias-Perez vom Laboratoire de Physique Subatomique et de Cosmologie in Grenoble erklärt: „Wir haben nach Paaren von Galaxienhaufen gesucht, die dicht genug beieinander liegen, damit sich darin Filamente erkennen lassen, aber gleichzeitig weit genug auseinander liegen, damit Planck sie als individuelle Quellen auflösen kann.”

Fündig wurden die Forscher zwischen den beiden Haufen Abell 399 und Abell 401. Die Gas-Filamente überbrücken eine Distanz von etwa 10 Millionen Lichtjahren. Am Himmel überspannen sie einen Winkel, der ungefähr dem scheinbaren Durchmesser des Vollmonds entspricht. Damit bestätigten die Astrophysiker Hinweise auf eine solche Brücke, die zuvor das europäische Röntgenteleskop XMM-Newton gefunden hatte. Die Temperatur des Plasmas beträgt schätzungsweise 80 Millionen Grad Celsius – ähnlich wie beim Gas im Innern der Galaxienhaufen.

Theoretiker gehen von einem gigantischen Netz aus Gas und unsichtbarer Dunkler Materie aus, das schon in den jungen Kosmos eingewoben war (bild der wissenschaft 1/2009, „Heiße Haufen”). An dessen verdichteten Knotenpunkten sollen sich einst die Galaxienhaufen gebildet haben. Doch die Suche nach den dünnen Filamenten ist schwierig. Immerhin scheint das Gas zwischen manchen Galaxienhaufen durch Wechselwirkungen dichter und heißer zu sein, was den Nachweis erleichtert. Hat Planck also Gas vom kosmischen Netz aufgespürt, oder entstammt es dem Innern der Galaxienhaufen? „Numerischen Simulationen zufolge könnte es eine Mischung aus beidem sein”, vermutet Planck-Forscher Torsten Enßlin vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching.

Mithilfe des SZ-Effekts wurden auch viele neue Galaxienhaufen aufgespürt. Die Wissenschaftler erstellten so einen erweiterten Katalog von Galaxienhaufen, der mit 1227 Einträgen das Sechsfache der früheren Version umfasst.

Ein weiterer Katalog, der nicht nur Galaxienhaufen verzeichnet, basiert auf allen neun Frequenzbändern des Planck-Satelliten. Er enthält Zehntausende kompakter Strahlungsquellen. Viele sind Embryosterne, deren Kernfusion erst später zünden wird, oder ältere, bereits in Staub gehüllte Exemplare. Außerhalb der Milchstraße kommen Radiogalaxien und Aktive Galaktische Nuclei hinzu.

Wärmestrahlung von Urgalaxien

Neben solchen individuellen Störquellen des Mikrowellenhintergrunds hat Planck eine weitere diffuse Strahlung aufgezeichnet: den Kosmischen Infrarot-Hintergrund, der aus allen Himmelsrichtungen auf die Erde trifft. Er wurde erst in den 1990er-Jahren entdeckt. Diese Wärmestrahlung entstand wohl größtenteils, als interstellarer Staub im Innern von Galaxien durch junge Sterne erhitzt wurde. Die Spiralnebel sind allerdings so weit von uns entfernt, dass ihr Licht zu einem diffusen Hintergrund verschwimmt. „Die Strahlung stammt aus einer Hochphase der Galaxienbildung, typischerweise bei z = 1,5, als sich Sterne in großer Zahl bildeten. Die schwersten davon setzten sehr viel Strahlung frei, bevor sie nach kosmisch kurzer Zeit als Supernova explodierten”, erklärt Enßlin. „Das war ein wildes Zeitalter.”

Plancks Daten zeigen, dass die infrarote Hintergrundstrahlung nicht völlig gleichmäßig ist. Wärmere und kältere Regionen entsprechen verschieden dichten Populationen von Galaxien in bestimmten Himmelsregionen. Die Astrophysiker hoffen, dass Analysen des Infrarot-Hintergrunds helfen, die Modelle dieser jungen, staubhaltigen Galaxien zu verbessern.

Die Zeitmaschine Planck hat den Astronomen einen Blick tief in die Vergangenheit gewährt. Vor zehn Milliarden Jahren waren die Galaxien weniger als halb so alt, wie es die Milchstraße heute ist. Doch solche Zeitsprünge sind nicht das Ende der Fahnenstange. Plancks eigentliches Ziel liegt bei einer Rotverschiebung von z = 1100. Das entspricht nur 380 000 Jahren nach dem Urknall.

Damals wurde der Weltraum durchsichtig für elektromagnetische Wellen: Der Kosmische Mikrowellenhintergrund entstand, der noch heute das All durchflutet. Die winzigen Variationen seiner Temperatur zeugen von kleinen Dichteschwankungen im Urgas, aus denen die Schwerkraft im Lauf der vergangenen 13,8 Milliarden Jahre die Galaxien und Galaxienhaufen geformt hat. Und damit ist die kosmische Zeitreise wieder in der Gegenwart angekommen, von der aus die Kosmologen die Geschichte des Universums erforschen. •

Thorsten Dambeck schreibt regelmäßig für bdw – zuletzt (7/2014) berichtete er über die Kapriolen des Mars-Wetters.

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von Thorsten Dambeck

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