Mit einer Stärke von 8,8 auf der Momenten-Magnituden-Skala war dieses Erdbeben das sechststärkste, das weltweit seit Beginn der seismischen Aufzeichnungen im Jahr 1900 gemessen wurde. Seitdem hat es in der südlichen Hemisphere kein Erdbeben gegeben, das größer als das 2010er Beben war. Ein Forscherteam um Zhigang Peng vom Georgia Institute of Technology in Atlanta hat nun gezeigt, dass die gewaltigen Erschütterungen damals sogar mehrere kleine Eisbeben am weit entfernten Südpol auslösten. Demnach scheinen Erdbeben nicht nur Aktivitäten in anderen Bereichen der Erdkruste auszulösen, sondern auch die Kryosphäre zu beeinflussen – also den Teil der Erdoberfläche, der von Eis bedeckt ist.
Wie sich die seismischen Wellen von in weiter Ferne liegenden Erdbeben auf die Dynamik von Gletschern auswirken könnten, war zuvor noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Die rauen, teils gefährlichen Umweltbedingungen sowie logistisch kaum zu bewerkstelligenden Herausforderungen haben detaillierte Analysen solcher Prozesse in den Polarregionen lange nahezu unmöglich gemacht. In den letzten Jahren ist jedoch eine Infrastruktur entstanden, die solche geophysikalischen Analysen ermöglicht: Rund um die antarktischen und grönländischen Eisschilde haben Wissenschaftler eine Vielzahl moderner Messinstrumente installiert, die sich ausbreitende Erdbebenwellen registrieren. Mithilfe dieser Technik haben Zhigang Peng und Kollegen systematisch nach seismischen Ereignissen gesucht, die dem Maule Erdbeben nachfolgten. Sie betrachteten dazu einen Zeitraum, der die sechs Stunden vor und nach dem Hauptschock des Bebens umfasst.
Sensible Systeme unter Spannung
Dabei konnten sie zum Teil Aktivitäten feststellen, die von der erwarteten Dynamik der Eisschilde abwichen – und eindeutig von dem Erdbeben in Maule verursacht wurden. Einen solchen Zusammenhang belegten die Forscher für 12 der 42 untersuchten Messstationen in der Antarktis. Besonders extrem reagierten dabei die Eisschilde an der Station „HOWD“ nahe den Howard Nunataks, einer Gruppe von Gebirgskämmen im Nordwesten des Ellsworth-Gebirges.
Das Beispiel des Chile-Bebens zeigt: Schwere, weit entfernte Erdbeben sind in der Lage, die Dynamik von Eisschilden zu beeinflussen. Ist die seismische Störung stark genug, könnten dabei winzige Klüfte in der Eisoberfläche zu Spalten ausgeweitet werden. Besonders sensibel reagieren darauf Schilde, die ohnehin schon unter bedeutendem physikalischem Stress stehen, vermutet das Team. Die Forscher betonen jedoch: „Noch wissen wir nicht, ob solche Prozesse allgegenwärtig sind.“ Zu klären bleibe zudem, inwiefern auf diese Weise ausgelöste Eisbeben zum Beispiel für plötzliche Veränderungen von Gletscherfließen verantwortlich seien. „Wenn wir systematisch untersuchen, wodurch Eisbeben ausgelöst werden, können wir ein besseres Verständnis für den Spannungszustand dieser sensiblen Systeme entwickeln – und dabei gleichzeitig mehr über das Zusammenwirken von fester Erde und Kryosphäre herausfinden.“