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Die Evolution macht’s mit links

Allgemein

Die Evolution macht’s mit links
Rechts- und Linkshänder gab es schon bei unseren Vorfahren. Die heute weit verbreitete Vorliebe für die rechte Hand könnte sich gemeinsam mit der Sprache entwickelt haben.

Als sich der Humanethologe Wulf Schiefenhövel mit den Wörtern für links und rechts in verschiedenen Sprachen beschäftigte, machte er eine überraschende Entdeckung: Vom Wort „rechts“ abgeleitete Begriffe sind meist positiv besetzt. Wir sprechen im Deutschen zum Beispiel von „richtig“ oder „Recht“. Oder wir sagen, jemand habe das Herz am rechten Fleck. Mit dem Wort „links“ verwandte Begriffe haben dagegen oft einen negativen Beigeschmack. So kann man jemanden „linken“, „linkisch“ sein oder „mit dem linken Bein aufstehen“. Schiefenhövels Fazit aus seiner Untersuchung von insgesamt 50 Sprachen: Linkshänder werden in allen Kulturen mit herablassenden Bezeichnungen bedacht.

Weltweit sind Linkshänder in der Minderheit. Je nach Kultur schwankt ihr Anteil etwa zwischen 3 und 30 Prozent. Da die Vorliebe für eine Seite in allen Kulturen herrscht, schließt Schiefenhövel: „Links- und vor allem Rechtshändigkeit ist vor allem ein biologisches Phänomen.“ Zwillingsstudien unterstreichen das: Eineiige Zwillinge sind viel häufiger beide Linkshänder oder Rechtshänder als zweieiige Zwillinge. Trotzdem scheint die Händigkeit nicht ausschließlich genetischen Ursprungs zu sein: „ Sie entwickelt sich im Laufe der ersten Lebensjahre und stabilisiert sich erst ungefähr mit dem vierten Lebensjahr“, erklärt Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie an der Universität Bochum (siehe auch Interview ab Seite 18). „Unser Genom legt nur grobe Regeln für die Entwicklung des Gehirns fest.“

Auch Erfahrungen und die Umwelt spielen eine Rolle. Güntürkün hat zur Entwicklung der Händigkeit bereits 2003 eine Theorie publiziert. In seiner Untersuchung, die als „Kuss-Studie“ bekannt ist, prüfte er, in welche Richtung Menschen ihren Kopf beim Küssen wenden, „um nicht mit den Nasen zusammenzustoßen“. Es zeigte sich, dass zwei Drittel den Kopf nach rechts drehen. Tatsächlich bevorzugen genauso viele Säuglinge und sogar Ungeborene diese Richtung beim Kopfdrehen. „Die Präferenz für eine Richtung bei der Drehung des Kopfes, die auch bei Reptilien und Vögeln zu finden ist, beginnt vor der Geburt und hält ein Leben lang an“, sagt Güntürkün. „Und sie scheint kausal an der Entstehung der Händigkeit beteiligt zu sein. Die Hand, die Neugeborene aufgrund der Drehung ihres Kopfes häufiger betrachten, ist später bei ihnen dominant, meint Güntürkün. „Das Sehen und die Bewegung der Hand sind dann stärker rechts- als linksseitig gekoppelt oder umgekehrt.“

Höhlenmalerei verrät Linkshänder

Nichtsdestotrotz ist Händigkeit ein Phänomen, das vor allem in der Natur des Menschen liegt. Bereits an prähistorischen Werkzeugen, Höhlenmalereien und Knochenfunden lassen sich manuelle Vorlieben erkennen, wenn diese Deutungen auch mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Knochen beispielsweise sind schwerer auf der Seite, auf der sich die „starke“ Hand befindet.

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Forscher um die Archäologin Lisa Cashmore von der britischen Universität Southampton sichteten 2008 akribisch die wissenschaftliche Literatur zum Thema. Sie stellten dabei fest: Spätestens seit dem Neandertaler bevorzugten die frühen Menschen die rechte Hand. Homo sapiens, der vor etwa 200 000 Jahren auftauchte, hinterließ Hinweise in seinen Malereien. Beliebt war bei unseren Vorfahren, sich mit einem Handabdruck an der Höhlenwand zu verewigen (siehe bild der wissenschaft 7/2014, „ Hohe Frauenquote“).

Der Archäologe Marc Groenen von der Freien Universität Brüssel katalogisierte mehr als 500 Handdarstellungen. Sie stammen aus Spanien und Frankreich und sind wahrscheinlich zwischen 22 000 und 29 000 Jahre alt. Unsere Vorfahren haben offenbar eine Hand als Schablone fest gegen den Stein gedrückt und mit der anderen Farbstoff darüber gegeben. Zurück blieb ein Abdruck. Groenen stellte fest, dass es sich vor allem um Abdrücke der linken Hand handelt. Er vermutet, dass die frühen Menschen den Farbstoff mit einem pinselähnlichen Werkzeug oder einem Spuckrohr aufgetragen haben – wofür sie ihre starke rechte Hand benötigten.

Doch warum bevorzugen wir überhaupt eine Hand? Beobachtet man Menschenaffen, fällt auf: Je schwieriger eine Aufgabe ist, desto eher ziehen sie eine Seite vor. „Wenn Schimpansen nach Termiten stochern, führen sie einen zuvor von Blättern befreiten Zweig in ein Loch des Termitenbaus ein“, sagt Wulf Schiefenhövel. „Dabei benutzen etwa gleich viele Individuen stets die rechte wie die linke Hand.“ Wenn die Affen hingegen einfachere Tätigkeiten verrichten, etwa Blätter pflücken, benutzen sie meist die Hand, die der Nahrung am nächsten ist.

Auch beim Menschen hängt die Handpräferenz von der Tätigkeit ab. Bei Studien von Wulf Schiefenhövel in Neuguinea hatten einige seiner Versuchspersonen vom Stamm der Eipo bei manchen Aufgaben – zum Beispiel beim Pflücken von Gemüseblättern – keine eindeutige Vorliebe für eine Seite. Das deutet darauf hin, dass die Händigkeit bei ihnen nicht stark ausgeprägt war. „Doch bei wichtigen Tätigkeiten wie Werfen oder Holzhacken bevorzugten auch sie eine bestimmte Hand“, stellte Schiefenhövel fest.

Anscheinend gilt die Faustregel: Je kniffliger die Aufgabe, desto eher kommt nur eine Seite zum Zug. Offenbar ist es effektiver, bloß eine Hand auf die Bewältigung schwieriger Aufgaben zu trainieren. Das bestätigt auch eine Studie der Neurowissenschaftlerin Gillian Forrester von der Westminster-Universität in London. Per Video beobachteten sie und ihre Kollegen rechtshändige Kleinkinder im Klassenzimmer und beim Spielen. Aus ihren Aufnahmen ging hervor, dass die Kinder ihre rechte Hand nur dann verstärkt einsetzten, wenn sie geschickt mit Gegenständen wie Spielzeug hantierten. In anderen Situationen, zum Beispiel beim sozialen Umgang miteinander, benutzten sie auch oft ihre „ungeliebte“ Seite, etwa wenn sie einen Spielkameraden berührten, weil sie dessen Aufmerksamkeit gewinnen wollten.

Händigkeit und geschicktes Hantieren

Der Psychologe Gordon Frost von der University of Georgia glaubt, dass Händigkeit und geschicktes Hantieren mit den Händen nicht nur zusammenhängen, sondern sich in der Menschheitsgeschichte auch gemeinsam entwickelt haben. Beim Werkzeuggebrauch, so Frost, müsse man vor allem mit einer Seite geschickt sein. Schließlich braucht die andere Hand nichts weiter zu tun, als den Gegenstand festzuhalten, den man gerade bearbeitet. Der spezialisierten Hand, so nimmt Frost weiter an, entspricht eine spezialisierte Hirnhälfte. Sie ermöglicht das notwendige Fingerspitzengefühl. Im Falle der rechten Hand ist das die linke Hirnhälfte. Denn beim Menschen und bei Tieren steuert die linke Hemisphäre die rechte Körperseite, die rechte dagegen die linke (siehe „Der Kampf im Kopf“ ab Seite 12).

Bei der Aufgabenteilung zwischen den Hirnhälften handelt es sich um eine ökonomische Maßnahme der Natur: „Wenn ich etwas mit nur einer Hemisphäre ausführe, spare ich Hirngewebe ein“, erklärt Stefan Gutwinski, Neurowissenschaftler an der Charité in Berlin. „ Außerdem laufen die Verarbeitungsprozesse vermutlich wesentlich schneller ab.“

Den Forschern hat eines besonders zu denken gegeben: Bei 97 Prozent der Rechtshänder steuert die linke Hirnhälfte nicht nur die starke rechte Hand. Sie beherbergt auch das Sprachzentrum. Unter Umständen ging die Entwicklung der „starken“ Seite und die Spezialisierung der linken Hirnhälfte auf Sprache Hand in Hand. „ Das Gehirn war möglicherweise am Anfang der Menschheitsgeschichte wenig lateralisiert“, meint Stefan Gutwinski. Vielleicht hätten die einzelnen Areale bestimmte Funktionen erst nach und nach übernommen.

„Unsere Vorfahren fingen im Laufe der Evolution an, Ruflaute von sich zu geben, gemischt mit Gesten“, vermutet der Neurowissenschaftler. Allmählich hätten sich dann immer komplexere Ruflaute und Gesten entwickelt. Hierbei spezialisierte sich die linke Hemisphäre auf beide Aufgaben. Da sowohl das Sprechen als auch manuelle Tätigkeiten eine gute Motorik erfordern, ist es effektiv, wenn eine Hirnhälfte beides übernimmt. Noch heute sind Sprache und Motorik bis zu einem gewissen Grad gekoppelt, was man zum Beispiel daran erkennt, dass viele Menschen beim Sprechen ihre Hände bewegen.

Das könnte erklären, warum die meisten Menschen Rechtshänder sind.

Allerdings befinden sich bei den meisten Linkshändern das Sprachzentrum und die Areale für die Steuerung der „starken“ Hand in verschiedenen Hirnhälften. Diese Verteilung erscheint auf den ersten Blick nachteilig – und ungünstige Varianten sollten eigentlich irgendwann im Lauf der Evolution verschwinden. Warum halten sich dann aber die Linkshänder bis heute so wacker in allen Kulturen?

Offenbar kann die Linkshändigkeit mit einem Vorzug aufwarten, der ihr bei der Evolution zugutekam. Dazu passt die „ Kampfhypothese“ des Evolutionsbiologen Michel Raymond von der Universität Montpellier. Demnach hat im Kampf mit einem Rechtshänder ein Linkshänder ein Überraschungsmoment auf seiner Seite (siehe „Links vor Rechts“ ab S. 26).

Damit das ein Vorteil blieb, durften die Linkshänder nicht zur Mehrheit werden, sogar nicht einmal 50 Prozent in der Verteilung ausmachen, meint Wulf Schiefenhövel. Auch Stefan Gutwinski ist überzeugt: „Wäre Linkshändigkeit ein reines Zufallsprodukt, wäre eine viel geringere Verbreitung in der Evolution zu erwarten. Also muss Linkshändigkeit eine Funktion haben.“ •

CHRISTIAN WOLF ist Philosoph und freier Wissenschaftsjournalist in Berlin. Er ist Rechtshänder – und hat beim Tischtennis seine liebe Mühe mit linkshändigen Gegnern.

von Christian Wolf

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