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Klinische Studien – hinterfragt

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Klinische Studien – hinterfragt
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WIe verlässlich sind klinische Studien? (thinkstock)
Wenn es um Medikamente geht, sind klinische Studien das Maß aller Dinge. Ihre Ergebnisse bestimmen, ob ein Arzneimittel zugelassen wird und ob es sich auf dem Markt durchsetzen kann. Doch trotz strenger Vorgaben für die Durchführung – was hinterher bei der Auswertung herauskommt, ist offenbar weniger objektiv und verlässlich als gemeinhin angenommen. Das stellten US-Forscher fest, als sie untersuchten, ob eine erneute Auswertung der Rohdaten bei klinischen Studien das Ergebnis und die Behandlungsempfehlungen ändert. Und siehe da: Bei immerhin einem Drittel der klinischen Studien war dies der Fall.

Wenn ein Arzneimittel oder eine sonstige neue Therapie zugelassen werden soll, ist der Weg klar geregelt: Nach Laborexperimenten und Tierversuchen folgen klinische Studien mit Menschen – zunächst mit einer kleinen Gruppe von gesunden Freiwilligen, um die Sicherheit und Verträglichkeit zu testen, dann mit kranken Patienten, um die Wirksamkeit zu belegen. Um Verzerrungen der Ergebnisse durch Placebo-Effekte und subjektive Eindrücke so gering wie möglich zu halten, sind diese Studien in der Regel randomisiert und doppelblind. Das bedeutet: Ob ein Teilnehmer zur Kontrollgruppe oder der eigentlichen Testgruppe gehört, wird mit Zufallsgeneratoren bestimmt. Von doppelblind spricht man, wenn weder der Patient, noch derjenige, der das Medikament oder die entsprechende Kontrollsubstanz austeilt, noch der auswertende Forscher wissen, ob es sich um das zu testende Mittel handelt oder ein Placebo.

Ohne Rohdaten keine Überprüfung der Ergebnisse

Typischerweise werden die Ergebnisse von klinischen Studien nicht nur bei Zulassungsbehörden eingereicht, sondern auch in Fachjournalen veröffentlicht. Diese Artikel enthalten Angaben zu Methoden, den verwendeten statischen Verfahren und den Ergebnissen. Die Rohdaten jedoch fehlen – und werden vor allem bei Arzneimitteltests von Pharmaunternehmen oft auch nach Nachfrage nicht herausgegeben. Das jedoch macht es anderen Forschern schwer, die Analysen nachzuvollziehen und so zu überprüfen, ob die aus den Daten gezogenen Schlüsse auch korrekt sind, wie Shanil Ebrahim von der Standford University School of Medicine und seine Kollegen erklären. „Ohne diesen Zugang gibt es ein zunehmendes Misstrauen darüber, ob die Ergebnisse publizierter Studien glaubwürdig sind“, so die Forscher. Dass dies tatsächlich nicht immer der Fall ist, zeigt der Streit um das Grippemittel Tamiflu: Bei diesem ergab eine nachträgliche Neuanalyse, dass die Wirkung bei vorbeugender Einnahme schwächer und die Nebenwirkung stärker sind als ursprünglich veröffentlicht, wie die Forscher berichten.

Um zu prüfen, wie verlässlich auch andere publizierte Ergebnisse von klinischen Studien sind, durchsuchten Ebrahim und seine Kollegen die medizinische Datenbank Medline nach Fällen, in denen Forscher anhand der Rohdaten Neuanalysen von klinischen Studien durchgeführt hatten. Unter 3.000 gelisteten Studien war dies bei gerade einmal 37 der Fall, wie die Wissenschaftler berichten. In den meisten Fällen hatten Forscher für die Zweitanalyse andere Methoden der statistischen Auswertung genutzt, in einigen Fällen wurden zudem einzelne Patienten aus der Auswertung ausgeschlossen, die bestimmte Kriterien nicht erfüllten.

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Ein Drittel mit anderem Ergebnis

Wie sich zeigte, kamen immerhin 13 von 37 Neuanalysen zu einem anderen Ergebnis als die ursprüngliche Veröffentlichung – dies entspricht einem guten Drittel. Die Unterschiede betrafen Schlüsse zur geeigneten Dosierung und Anwendung und auch die Frage, für welche Patienten dieses Medikament geeignet wäre, wie die Forscher berichten. Ein Beispiel: Bei einer Studie zu einem Verfahren, mit dem Blutungen in der Speiseröhre gestillt werden, kamen die ursprünglichen Forscher zu dem Schluss, dass die Behandlung das Risiko signifikant senkt, durch eine solche Blutung zu sterben, aber nur wenig gegen immer wieder aufbrechende kleinere Blutungen hilft. Die Neuanalyse ergab genau das Umgekehrte: Das Verfahren hilft gegen ein Wiederaufbrechen, senkt aber nicht die Mortalität.

„Es ist schwierig zu beurteilen, wie sich diese Änderungen in den Studienergebnissen auf die klinische Praxis auswirken und wie groß die Auswirkungen sind“, sagen die Forscher. Das Original erscheine oft in einflussreicheren Journalen als die Reanalyse und bekomme daher auch mehr Aufmerksamkeit. Ihrer Ansicht nach machen jedoch schon diese Stichproben deutlich, wie sinnvoll und wichtig es ist, Rohdaten zugänglich zu machen, um spätere Überprüfungen zuzulassen. Zudem ermöglicht dies auch, solche Datensätze in Bezug auf andere Fragestellungen und Aspekte hin auszuwerten – das kann unter Umständen teure Neustudien ersparen und kostet zudem weniger Zeit.

„Open Science und Replizierbarkeit sollten nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel für alle klinischen Studien sein – vor allem für diejenigen mit potenziell großem Einfluss“, konstatieren auch Harlan Krumholz von der Yale University und Eric Peterson von der Duke University in einem begleitenden Kommentar. Bisher allerdings haben Apelle dieser Art nur wenig gefruchtet – bleibt abzuwarten, ob sich dies im Zukunft ändert.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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