Wer sich munter, müde, melancholisch, vergesslich, schüchtern, ängstlich oder auch nur grantig fühlt, ist vor allem eines – krank. Das vermitteln Psychologen und Pharmaindustrie seit Jahrzehnten. Massenhaft werden ganz normale Menschen zu behandlungsbedürftigen Patienten erklärt. Dabei geht es um sehr viel Geld, aber kaum um die geistige und seelische Gesundheit des Einzelnen. Wie das gut geschmierte Geschäftsmodell funktioniert, macht der Medizinjournalist Jörg Blech in seinem neuen Buch deutlich.
Er legt nicht nur die gewinnmaxi- mierende Symbiose zwischen Arznei- mittelherstellern, Pharmaforschung und Psychiatrie offen, sondern nennt auch Namen (darunter sehr prominente) und Fakten. Ob Pfizer, Eli Lilly, Novartis, Hoffmann-LaRoche: Alle haben sie die Koryphäen ihres Fachs auf der Honorarliste. Für Vorträge, Beratung und das Verfassen von Leitlinien wird hervorragend bezahlt: Ein deutscher Klinikchef kassierte rund 95 000 Euro pro Jahr für einschlägige Leistungen.
Die Philosophie des Kartells: Völlig natürliche, im Verlauf der Evolution entstandene Merkmale und Verhaltensweisen werden zu psychischen Störungen erklärt, die mittels Psychopharmaka repariert werden müssen. Hilfreiche Ärzte, Institutionen und Lehrstuhlinhaber fördern gegen üppige Zuwendungen Reputation und Vermarktung. Für jeden Wirkstoff findet sich so eine passende Diagnose – und umgekehrt. Hans Schmidt
Jörg Blech DIE PSYCHOFALLE S. Fischer, Frankfurt am Main 2014 288 S., € 19,99, ISBN 978–3–10–004419–8 E-Book für € 17,99, ISBN 978–3–10–402964–1