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Diamant & Co: wenig wundervoll

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Diamant & Co: wenig wundervoll
Etliche neuartige Werkstoffe aus Kohlenstoff wurden in den letzten Jahrzehnten als „Wundermaterial“ gepriesen. Doch ihr Weg in den Alltag verläuft langsam und im Stillen.

Gigantische Aufzüge hieven Satelliten und Baumaterial für Raumstationen energiesparend ins All. Auf der Erde fahren superleichte Autos, deren Insassen bei einem Unfall kaum Schaden nehmen. Durch menschliche Adern sausen Nanotransporter und reparieren defekte Zellen. Und in der virtuellen Welt regelt eine neue Generation von Computern den Verkehr auf staufreien Datenautobahnen. Vor zwei Jahrzehnten machten solche Visionen die Runde. Werkstoffe aus Kohlenstoff mit wundersamen Eigenschaften sollten die Technik umkrempeln. Wissenschaftler experimentierten mit aufregenden neuen Materialien wie Kohlenstoff-Nanoröhrchen und kohlefaserverstärkten Kunststoffen (CFK). Selbst synthetische Diamanten – auch sie bestehen aus Kohlenstoff – gerieten in den Hype. Doch bisher konnten sich die einst gefeierten neuen „ Wunderwerkstoffe“ kaum durchsetzen.

Diamant ist die Mutter der Wundermaterialien aus Kohlenstoff. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere schwärmte bereits um 50 v.Chr. von den schier magischen Eigenschaften des „Adamas“, des „ Unbezwingbaren“. Dieser transparente Edelstein lasse sich nicht zerstören, ihm sei weder durch Feuer noch durch rohe Gewalt beizukommen – und man könne ihm, wie dem antiken Helden Achill, nur durch ein Geheimnis zu Leibe zu rücken: Um einen Diamanten zu vernichten, sei frisches, noch warmes Bocksblut nötig, meinte der Römer. In indischen Schriften waren die wundersamen Geheimnisse um die erste Modifikation des Kohlenstoffs, wie die Wissenschaftler Diamant bezeichnen, bereits im dritten und vierten Jahrhundert vor Christus erwähnt worden.

Doch inzwischen hat das Staunen über Diamanten wissenschaftlicher Ernüchterung Platz gemacht. Ewig beständig und unverwüstlich ist der in Jahrmillionen gewachsene Edelstein nicht. Er ist und bleibt zwar das härteste natürlich vorkommende Mineral, doch er lässt sich in kleinste Splitter zerschlagen. Er ist zwar thermisch beständig, da die Anordnung der Kohlenstoff-Atome darin sehr stabil ist – doch hat er einmal Feuer gefangen, verbrennt er unter 800 Grad Celsius zu flüchtigem Kohlendioxid. Bei 1700 Grad verwandelt er sich zu schwarzem und weichem Graphit, der zweiten Kohlenstoff-Modifikation.

Dass dieser Vorgang umkehrbar ist und wohl vor 70 bis 150 Millionen Jahren und in rund 150 Kilometer Tiefe zur Entstehung der Diamanten geführt hat, machte man sich ab den 1950er-Jahren zunutze. Seitdem ahmen haushohe Pressen die einstigen Umweltbedingungen nach und stellen mit einem gigantischem Druck von bis zu 60 000 Bar und bei 1500 Grad Celsius künstliche Diamanten her. Sie pflügen durchs Erdreich wie durch Wasser, schneiden Stahl und Granit wie Papier und hinterlassen als Beschichtung auf einem Skalpell nur hauchfeine Schnitte mit wenig Narbengewebe am menschlichen Körper.

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„Diamanten sind ein ungewöhnlich spannendes Material“, schwärmt Nicola Heidrich vom Fraunhofer-Institut für angewandte Festkörperphysik (IAF) in Freiburg. Die Ingenieurin ist überzeugt, dass der geheimnisvolle Edelstein voller unentdeckter Möglichkeiten steckt. Am IAF arbeiten Heidrich und ihr Team daran, Linsen für Hochenergielasersysteme herzustellen. Dabei ersetzen Diamanten den herkömmlichen Quarz, der sich bei starker Hitze verformt und dem Werkzeug die Präzision nimmt. Um dafür synthetische Diamanten extrem hoher Reinheit zu erhalten, bringen die Fraunhofer-Forscher unter Druck „vorgebackene“ industriell hergestellte Diamant-Kristalle in einen Reaktor. Beigemischte Gase wie Methan lassen besonders große Einkristalle auf den Substraten wachsen.

Indem sie bestimmte Atome in die Kristalle einbauen, können die Freiburger Wissenschaftler zudem die künftigen Eigenschaften des Steins gezielt bestimmen. Mit eingeschleustem Stickstoff etwa schaffen sie Magnetfeldsensoren mit sehr hoher räumlicher Auflösung. Bor und Phosphor hingegen machen Diamanten, die eigentlich hervorragende Isolatoren sind, elektrisch leitfähig. So werden die Diamanten zu Halbleitern – und damit attraktiv als Material für die Elektronik. Es soll etwa in Schaltwandlern überall dort das bislang gebräuchliche Galliumnitrid oder Siliziumkarbid ersetzen, wo hohe Spannungen und Wärme verkraftet werden müssen. „Sobald größere Diamant-Substrate verfügbar sind, wird die industrielle Relevanz für diese Anwendung steigen“, ist Heidrich überzeugt. Die Eigenschaften des Diamanten für die Elektronik sind „herausragend“, meint die Fraunhofer-Forscherin. Sie hält es nur für eine Frage der Zeit, bis sie in Hochleistungstransistoren genutzt werden.

Hinderliche Vielfalt

Auch Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Carbon Nanotubes), die der japanische Physiker Sumio Ijima 1991 entdeckte, standen lange im Fokus von Computertechnologen. Sie sehen in den röhrenförmigen Molekülen mögliche Nachfolger für das Silizium als Baumaterial für Prozessoren und Datenspeicher. Doch diese Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt. Vor allem die Vielfalt der Nanotubes steht dem im Weg. Seit ihrer Entdeckung als weitere Kohlenstoff-Modifikation sind alle Versuche, ihre exzellenten elektronischen Eigenschaften zu nutzen, an der schwierigen Herstellung gescheitert. Die Nanoröhrchen verkraften zwar 1000 Mal so starke elektrische Ströme wie ein Kupferdraht. Und in der Wärmeleitfähigkeit schlagen sie Diamant ums 2,5-Fache. „Doch die Elektronik benötigt Millionen exakt gleicher Transistoren in einem Prozessor“, erklärt Alexander Grüneis, der am Physikalischen Institut der Universität Köln forscht. „Und bisher hat man noch keine Methode gefunden, die Nanoröhrchen so gleichartig wachsen zu lassen.“

Ein Kohlenstoff-Nanoröhrchen besteht aus einer atomar dünnen Lage Graphit, die um eine Längsachse herum aufgerollt ist. Doch es gibt auch Moleküle, bei denen mehrere Röhrchen ineinander gesteckt sind. Beide Arten von Nanotubes kommen in großer Zahl und verschiedenen Variationen vor. Sie haben zwar alle Durchmesser von wenigen Nanometern, aber in der Länge können sie sich stark unterscheiden: Manche Nanoröhrchen sind mehrere Mikrometer oder gar Millimeter lang. Zwar lassen sich mit der Methode der Gasphasenabscheidung, bei der durch katalytisch aktive Metallpartikel der Durchmesser grob vorgegeben wird, etwas bessere Ergebnisse erzielen, räumt Grüneis ein. „Für die Elektronik ist das Material dennoch untauglich.“ Daher finden sich Nanotubes bisher allenfalls in einigen Sportartikeln wie Tennisschlägern oder Fahrrädern, in bestimmten Batterien und Kondensatoren, als Antifouling-Beschichtung für Schiffe und in leitfähigen Leichtbau-Lacken für Raumfahrt oder Automobile. Zu den Schwierigkeiten bei der Herstellung kommt der Verdacht, dass manche Nanopartikel aus Kohlenstoff den gesundheitsschädlichen Asbeststäbchen nicht nur in der Länge ähneln. Mehrere Studien kamen zum Ergebnis, dass auch die Röhrchen Lungentumore hervorrufen können.

„Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind immer noch ein Wundermaterial“, meint dagegen Klaus Jandt, Lehrstuhlinhaber für Materialwissenschaft an der Universität Jena. Der Weg zu Anwendungen brauche einfach Zeit. Für Jandt sind vor allem die mechanischen Eigenschaften interessant. Durch das extreme Verhältnis von Länge zu Durchmesser und wegen der damit verbundenen Richtungsabhängigkeit von Eigenschaften eigne sich das Material besonders, um schwere Lasten zu tragen. Allerdings: Die leichten Röhrchen sind nicht gern allein, sie finden sich oft zu Clustern zusammen. Und dabei gehen ihre herausragenden Eigenschaften verloren. Das Nano-Mikado funktioniert auch nicht nach Wunsch: Beim Versuch, die Röhrchen zu trennen, etwa durch Ultraschall, ist die Ausbeute gering, da viele Nanotubes kaputt gehen. Und ihre enorme Zugfestigkeit – das Material kann eine bis zu 50 Mal so große Belastung aushalten wie Stahl – zeigen die Röhrchen nur dann, wenn sie entlang der Längsachse ausgerichtet sind. Aber Jandt freut sich über die Fortschritte, die er mit seinem Team in Jena in den letzten Jahren erreicht hat. Die Forscher konnten einen Verbundwerkstoff kreieren, der aus einer Polymermatrix und einer hochgradig orientierten Nanotube-Füllung besteht.

Vom Nutzen der leichten und stabilen Nanotubes ist auch Walter Schütz überzeugt, Geschäftsführer der Firma FutureCarbon in Bayreuth. Die bisherige Entwicklung sieht er als normalen Verlauf im Wissenschaftsbetrieb: „Nach einem anfänglichen Hype kommt stets das Tal der Tränen, bevor sich die Forschung stabilisiert und erste Produkte in die Anwendung kommen.“ Schütz hat selbst an den winzigen Röhrchen geforscht. Er entwickelte Basismischungen, die die elektrische Leitfähigkeit von Beschichtungen verbessern oder elektrische Felder abschirmen. Dabei spielt die Ausrichtung der Nanotubes keine Rolle.

Eine große Zukunft sieht Schütz für sie auch als Stabilisator für kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff (CFK). Dabei gilt CFK selbst als vielversprechendes Material, das künftig Stahl ersetzen könnte. FutureCarbon erprobte die Allianz zweier vermeintlicher Wundermaterialien bereits an Bauteilen für die Luft- und Raumfahrt – etwa an Streben für Satelliten, die später Spiegel oder Teleskope tragen können. Harz, in dem Nanoröhrchen stecken, lässt sich als Konzentrat verwenden, um die Kohlenstoff-Fasern miteinander zu verbinden. Das verleiht CFK eine längere Lebensdauer und eine größere Robustheit.

Moderne Alchemie

Bis in die 1990er-Jahre waren Flugzeug- und Raketenbau die Domäne von Kohlenstofffaser-Verbundstoffen. Heute ist das Material auch für betuchte Käufer von Luxusautos, teuren Motorrädern und edlen Musikinstrumenten zu haben. Dass es noch keinen Eingang in Alltagsprodukte für den Massenmarkt gefunden hat, liegt am aufwendigen Herstellungsprozess. Die Prozedur erinnert an vorindustrielle Zeiten, denn vieles wird per Hand erledigt. Eine Art moderne Alchemie scheint am Werk zu sein, wenn aus textilen Matten stahlähnliches Material entsteht.

Die lange Kette der Fertigung beginnt damit, dass Kohlenstoff-Fasern aus organischen Kohlenstoff-Verbindungen wie Polyactrylnitril oder Pech gewonnen werden. Künftig sind auch natürliche Ausgangsfasern wie Zellulose denkbar. Zu Endlosgarn gesponnen, bilden parallele Fasern leichte textile Matten, die als Ausgangsmaterial für Bauteile aus dem Verbundwerkstoff dienen. „Da die Eigenschaften von CFK richtungsabhängig sind, lassen sie sich optimal an die Belastungen anpassen“, betont Klaus Drechsler, Lehrstuhlinhaber für Carbon Composites an der TU München. Deshalb kann der Werkstoff gegenüber Metallen punkten. 50 Prozent Gewichtseinsparung im Vergleich zu Stahl und 30 Prozent gegenüber Aluminium sind nachgewiesen. Aus den textilen Gelegen lassen sich dreidimensionale Rohlinge herstellen. Sie werden in Werkzeuge gelegt, in die man Kunststoff injiziert. Nach dem Aushärten entsteht der Verbundwerkstoff.

Forscher versuchen, die Herstellung einfacher und billiger zu machen. Das soll etwa Elektroautos zum Durchbruch verhelfen. Sind sie leichter, benötigen sie weniger Strom aus der Batterie – und die Reichweite steigt. Eine Karosserie aus CFK bietet den Insassen bei einem Unfall zudem besonders viel Sicherheit, da das Material den Großteil der Energie schluckt. Der BMWi3 läuft in Leipzig als erstes Serienauto im Kohlenstoff-Leichtbau mit 100 Stück pro Tag vom Band. Es geht zwar langsam voran, doch die Kohlenstoff-Ära hat begonnen. •

ANGELIKA DISSEN würde es nicht wundern, wenn der Kohlenstoff eines Tages die Regie in der Technik übernehmen sollte. Immerhin hat das Element auch bei der Entstehung des Lebens die entscheidende Rolle gespielt.

von Angelika Dissen

Kompakt

· Künstlich hergestellte Diamanten sind ein vielversprechendes Material für die Hochleistungselektronik.

· Nanoröhrchen aus Kohlenstoff besitzen zwar exzellente Eigenschaften, doch sie lassen sich bislang kaum in ausreichender Qualität herstellen.

· Verbundwerkstoffe aus Kunststoff und Kohlefasern sind leicht und robust zugleich, aber auch sehr teuer.

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