Obwohl die Autismus-Forschung in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht hat, gibt es zu den biochemischen und molekularen Grundlagen der Störung noch viele offene Fragen. Es häufen sich allerdings die Hinweise, dass die mangelnde Energieversorgung in Zellen bei Autismus eine wichtige Rolle spielt. Auch weisen sie ein ungewöhnlich hohes Niveau an oxidativem Stress auf, der normale Funktionen in Zellen beeinträchtigt. Grundlage der Studie der Forscher um Andrew Zimmerman von der University of Massachusetts bildete außerdem ein weiterer interessanter Hinweis: „Es gibt anekdotische Berichte, dass sich die soziale Interaktion und Sprachfähigkeit von Kindern mit Autismus bessert, wenn sie Fieber haben“, sagt Zimmerman. Den Forschern zufolge könnte hinter diesem Effekt stecken, dass bei Fieber zelluläre Programme angeschaltet werden, welche die Zelle vor Schaden durch die hohen Temperaturen schützen. Im Fall von Autismus könnten diese Programme zu einer Verbesserung der störungsbedingten Beeinträchtigungen führen.
Dieser Zusammenhang machte Sulforaphan zu einem interessanten Forschungskandidaten: Der sekundäre Pflanzenstoff kommt in Kreuzblütengewächsen wie Kohl und Brokkoli vor. Studien haben bereits eine starke antioxidative Wirkung dieser Substanz belegt. Außerdem verbessert Sulforaphan die Reaktionen des Körpers gegenüber Hitzebelastungen, haben Untersuchungen gezeigt. So beschlossen Zimmerman und seine Kollegen zu testen, ob eine Behandlung mit dem Wirkstoff Auswirkungen auf die Symptome von Autismus-Spektrum-Störungen haben könnte. Sie extrahierten dazu Sulforaphan gezielt aus Brokkoli-Sprossen. Durch normale Ernährung kann man den Forschern zufolge hingegen kaum wirksame Konzentrationen des Stoffes zu sich nehmen.
Vielversprechende Testergebnisse
An der Studie nahmen 44 männliche Probanden im Alter von 13 bis 27 Jahren teil, bei denen die Diagnose einer mittelschweren bis schweren Autismus-Spektrum-Störung vorlag. Die Studienteilnehmer erhielten nach dem Zufallsprinzip entweder eine tägliche Dosis Sulforaphan oder ein Scheinpräparat (Placebo). Weder die Forscher, Betreuer noch die Teilnehmer selbst wussten, wer welche Behandlung bekam. Mit standardisierten Verfahren wurde vor Studienbeginn das Ausmaß der Autismus-Spektrum-Störung jedes einzelnen Probanden erfasst. 4, 10 und 18 Wochen nach der Behandlung wurden diese Einstufungen erneut durchgeführt. Nach 18 Wochen wurde die Behandlung dann bei allen Studienteilnehmern abgebrochen – nach weiteren 4 Wochen erfolgte anschließend erneut eine Untersuchung der Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störungen.
Die Auswertungen der Forscher ergaben: Im Gegensatz zu den 14 Placebo-Probanden zeichneten sich bei den 26 Teilnehmern, die Sulforaphan erhalten hatten, durchschnittlich deutliche Verbesserungen ab. Sogar bereits nach vier Wochen berichteten Bezugspersonen von ersten Erfolgen. Nach 18 Wochen der Behandlung hatten sich die Symptome in den Kategorien Reizbarkeit, Lethargie, stereotype Bewegungen, Hyperaktivität, Kommunikation, Motivation und Manierismus deutlich verbessert, berichten die Forscher. Nach dem Absetzen der Sulforaphan-Behandlung pendelte sich die Ausprägung der problematischen Verhaltens-Aspekte weitgehend wieder auf das Ausgangsniveau ein. Darin sehen die Wissenschaftler ebenfalls einen deutlichen Hinweis auf die tatsächliche Wirkung der Substanz. Allerdings scheint sie nicht bei allen Patienten wirksam zu sein, betonen sie – etwa ein Drittel der Studienteilnehmer sprach nicht auf die Behandlung mit Sulforaphan an.
Ergebnisse müssen nun weiter untermauert werden
Dennoch handelt es sich um einen außergewöhnlichen Erfolg, sagen die Wissenschaftler. „Das ist das erste Mal, dass eine statistisch signifikante Verbesserung der Symptome von Autismus-Spektrum-Störungen durch die Gabe eines Wirkstoffes gezeigt werden konnte“, konstatiert Zimmerman. Die Forscher betonen allerdings, dass es sich bei ihrer Untersuchung um eine vergleichsweise kleine Pilotstudie handelt, deren Ergebnisse nun überprüft und weiter untermauert werden müssten. Sie wollen in weiteren Studien nun auch dem zellulären Hintergrund der Wirkung von Sulforaphan nachgehen. „Ich hoffe, wir werden auf diese Weise mehr über die Ursachen dieser bisher wenig verstandenen Störung herausfinden“, sagt Zimmerman.