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Zurück auf Los

Gesundheit|Medizin

Zurück auf Los
Dank ihm ist die Stammzelltherapie ein großes Stück näher gerückt: Yaqub Hanna, ein Palästinenser, der Forscher wurde, um Israel zu verlassen – und zurückgekehrt ist.

Einfach alles zurück auf Null setzen – wohl jeder Politiker, der sich mit dem Konflikt im Nahen Osten herumschlagen muss, hätte gern eine Technik, die einen Neuanfang ermöglicht, den Lauf der Zeit ungeschehen macht. Yaqub Hanna hat so eine Technik entwickelt – aber nicht für die große Politik, sondern für kleine Zellen. Der 34-Jährige kann Hautzellen so verjüngen, dass sie embryonalen Stammzellen gleichen. Diesen Reprogrammier-Trick hätte der Mediziner und Molekularbiologe vom Weizmann-Institut im israelischen Rehovot wohl nie entdeckt, wäre er nicht inmitten des schwelenden Konflikts zwischen Israelis und arabischen Palästinensern aufgewachsen.

Der Erste, dem das Reprogrammieren gelang, war Shin’ya Yamanaka. 2006 entdeckte der japanische Stammzellforscher, dass sich hochspezialisierte Zellen, etwa aus der Haut eines Patienten, durch Einschalten von nur vier Genen in einen undifferenzierten Zustand zurückversetzen lassen. Forscher arbeiten seitdem an Methoden, mit denen sich aus den dabei entstehenden „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (iPS-Zellen) Ersatzgewebe züchten lässt.

Yaqub Hanna war der Erste, der bewiesen hat, dass das funktionieren kann. Im Labor des deutschen Stammzellforschers Rudolf Jaenisch (bild der wissenschaft 9/2014, „Embryonale Stammzellen bleiben Goldstandard“) am Whitehead-Institut in Cambridge, USA, kurierte er Mäuse, die aufgrund einer Gen-Mutation an Sichelzellanämie litten – einer Blutarmut, wie sie auch beim Menschen vorkommt. Hanna entnahm den Mäusen Hautzellen und wandelte sie in iPS-Zellen um. In der Zellkultur reparierte er den Gen-Defekt, züchtete aus den Stammzellen gesunde Blutstammzellen und ersetzte damit die defekten Zellen der Mäuse. Sie waren geheilt.

Soweit die Maus. Beim Menschen funktioniert das bislang nicht so reibungslos: Mit Yamanakas Methode lässt sich die Uhr nicht weit genug zurückstellen. Die reprogrammierten Zellen „erinnern“ sich ein Stück weit daran, dass sie einmal Haut-, Nerven- oder Leberzellen waren und bilden bevorzugt Zelltypen ihrer einstigen Herkunft. Hanna jedoch hat es geschafft, die Zell-Uhr exakt auf Null zu stellen. Er kann die Zellen in diesem Zustand sogar einfrieren. Damit hat er das Rezept für einen Jungbrunnen gefunden, aus dem sich jedes menschliche Gewebe züchten lässt.

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Doch die Chancen, dass ihm solch ein Experiment gelingen würde, waren gering. „Ich komme aus einem palästinensischen Dorf in Israel, Kafr Rama in Galiläa“, erzählt der Molekularbiologe, der mit Glatze und Drei-Tage-Bart eher an einen Boxer erinnert als an einen Wissenschaftler – von der dickrandigen Brille abgesehen. „Ich bin, was man hier als einen israelischen Araber bezeichnet“, sagt Hanna, und es liegt Sarkasmus in seiner Stimme. Er selbst bezeichnet sich als „israelischen Palästinenser“. So stolz, wie er das zweite Wort betont, wird klar, dass das ein himmelweiter Unterschied ist.

Sackgassen statt Zukunftspfade

Als Kind geht Hanna auf eine Schule, die nur Palästinenser besuchen. Juden läuft er bestenfalls beim Einkaufen über den Weg. Ein friedliches Nebeneinander – doch von „ Multikulti-Schmelztiegel“ keine Spur: Die Lebenswege kreuzen sich kaum. Schnell begreift der Teenager, dass es für Palästinenser mehr Sackgassen als Wege in die Zukunft gibt. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich in die israelische Gesellschaft gut genug integrieren könnte, um mich frei zu fühlen.“ Sein Ziel sind die USA. Weg hier. Um das zu schaffen, muss er besser sein als andere. Das sei „überlebenswichtig“ für ihn gewesen, sagt er.

Durch seine Familie hat er es leichter als andere Palästinenser, die in der Westbank oder im Gaza-Streifen kaum Zugang zu guten Schulen bekommen: Seine Eltern sind beide Ärzte, sein Großvater ist Arzt, sogar die Schwestern. 1997 schreibt sich Hanna an der medizinischen Fakultät der Hebräischen Universität in Jerusalem ein, als einer von kaum fünf Prozent arabischer Studenten. Hier knüpft er zum ersten Mal Freundschaften mit Juden. „Die erste Reaktion gegenüber einem Yaqub Hanna – der helle Haut hat und kein Muslim ist – ist anders als die gegenüber einem Mohammed, der einen Bart trägt, mehrmals am Tag beten geht und Hebräisch mit hartem Akzent spricht“, sagt Hanna.

Richtig klar wird das dem Studenten, als er einmal mit anderen eine Bekannte besucht, deren Schwester bei einem Terroranschlag auf einen Bus in Israel umgekommen ist. Lautstark beginnt eine gute Freundin, über „diese verdammten Araber“ zu schimpfen, die man besser nie wieder in Busse einsteigen lassen solle. „Sie hatte völlig vergessen, dass ich Araber bin.“ Auch sein Name schützt ihn vor Ablehnung: Yaqub klingt ähnlich wie der hebräische Name Jacob.

Ein Traum wird wahr

Dass sein Traum, in die USA auszuwandern, Wirklichkeit werden kann, weiß Hanna von seinem Onkel Nabil. Der Immunologe entwickelte in den 1980er-Jahren für die Pharmafirma Idec in Boston den Antikörper Rituximab gegen Blutkrebs und wurde nach der Fusion mit Biogen sogar Forschungschef von Biogen Idec. „Man kann sagen, dass mich Rituximab durch meine Ausbildung getragen hat, denn mit den Lizenzzahlungen konnte mein Onkel mich unterstützen.“ Hanna interessiert sich immer mehr für die Forschung und versinkt in der Laborarbeit: „Wenn ich abends um acht auf die Uhr sehe, dann habe ich damals wie heute das Gefühl, dass der Tag erst vor zwei Stunden begonnen hat.“

Seine ersten Erfolge hat der Jungforscher in einem Immunologie-Labor an der Hebräischen Universität Jerusalem, macht dort nach dem medizinischen auch den naturwissenschaftlichen Doktor und bewirbt sich dann auf Postdoc-Stellen in den USA – meist im Bereich der Immunologie. „Aber da war auch das Jaenisch-Labor, das nichts mit dem zu tun hatte, was ich bisher gemacht hatte.“ Der deutsche Forscher Rudolf Jaenisch ist einer der erfolgreichsten Stammzellexperten. „Ich fühlte mich von der Stammzellforschung magisch angezogen“, meint Hanna. „Es ist einfach faszinierend, dass in jeder einzelnen Zelle das Potenzial für einen ganzen Organismus steckt.“ Kurz darauf bietet der berühmte Forscher ihm an, in seinem Labor zu arbeiten. Hannas Teenagertraum geht in Erfüllung.

Schon das erste Experiment, das Jaenisch in Hannas Hände legt, gelingt: Innerhalb eines halben Jahres kuriert er Mäuse mit Yamanakas inzwischen bekannter Technik von ihrer Sichelzellanämie. „Hanna war außergewöhnlich schnell“, sagt Jaenisch, der nicht bekannt ist für überschwängliches Lob. Bald entwickelt der Nachwuchsforscher eigene Forschungsziele: Wie lässt sich die Reprogrammierung verbessern? Warum unterscheiden sich die Stammzellen verschiedener Arten?

Schnell hat sich Hannas Talent herumgesprochen. Namhafte amerikanische Universitäten laden ihn dazu ein, eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Doch Hanna ist sich plötzlich trotz seines Erfolgs nicht mehr sicher, ob er in den USA bleiben will. Fast 20 Jahre hatte er gebüffelt, um auswandern zu können. Nun fühlt er sich fremd, will kein Einwanderer, kein „legal alien“ sein – und vor allem kein Flüchtling. „Ich wollte mich nicht als Verlierer fühlen, der sich vom israelischen Staat aus seiner Heimat vertreiben ließ.“ Obwohl er Angebote von der Universität Berkeley, dem Sloan-Kettering-Krebszentrum und der Universität New York bekommt, kann ihn nicht einmal New York, die Stadt, von der der 13-jährige Yaqub Hanna einst träumte, noch reizen.

Verlockendes Angebot

„Dann bekam ich eine Einladung vom Weizmann-Institut.“ Hanna nimmt die Gelegenheit eigentlich nur wahr, um seine Eltern in Israel zu besuchen. „Ich dachte nicht, dass das Weizmann-Institut mir ein international konkurrenzfähiges Labor finanzieren könnte.“ Doch die Offerte ist erstaunlich großzügig. Nach langem Ringen nimmt Hanna das Angebot an – und geht dahin zurück, wo er angefangen hat.

Nach nur vier Jahren in Boston, im März 2011, eröffnet Hanna sein Labor am Weizmann-Institut in Rehovot, wo prächtige Palmen und Bougainvillea-Büsche zu beweisen scheinen, dass Wissen selbst die karge, trockene Landschaft Israels erblühen lassen kann. Ein halbes Jahr später, in seinem gewohnten Tempo, feiert Hannas Team seinen ersten Heureka-Moment. „Wir fanden heraus, dass das Gen Mbd3 die wohl wichtigste Bremse ist, die verhindert, dass eine Zelle in ihr Ursprungsstadium zurückkehrt.“ Hanna blockierte die Mbd3-Bremse – und siehe da: Fast 100 Prozent der menschlichen Hautzellen verwandelten sich in iPS-Zellen – mehr als je zuvor.

„Mit diesen Zellen ist viel mehr möglich als bisher“, sagt Yaqub Hanna. Vor allem kann man mit ihnen Gewebe züchten, das dem Original viel ähnlicher ist, als es bisher möglich war. Die Zellen seien „ursprünglicher“, sagt der Wissenschaftler, hätten „ unbegrenztes Entwicklungspotenzial“.

Die Hanna’schen iPS-Zellen werden in Zukunft dabei helfen, die Entstehung chronischer Krankheiten in der Zellkultur zu studieren und Medikamente zu testen. Ein Einsatz am Menschen hingegen sei noch in weiter Ferne, betont Hanna.

Forschung an den falschen Zellen

Aber testen Forscher nicht längst Zellen aus iPS-Kulturen an Menschen, am japanischen RIKEN-Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe zum Beispiel? Hanna zieht ein grimmiges Gesicht: „Bislang wird mit den falschen Zellen gearbeitet“ – Zellen, die nicht vollständig reprogrammiert sind. „Ich sage nicht, dass diese Zellen nutzlos sind, aber es gibt noch eine Menge Fragen.“ Zum Beispiel: „Wenn jemand meint, aus den embryonalen Stammzellen oder iPS-Zellen nervenzellenähnliche Zellen geschaffen zu haben – wie ähnlich sind sie dann?“ Sicher könne man argumentieren, dass jede Zelle nützlich ist, solange sie produziert, was dem Patienten fehlt, Insulin für Diabetiker zum Beispiel. „Aber ich bin nicht dieser Meinung. Wenn die Zelle nicht normal ist, wird sie auch nicht normal reagieren und nicht die richtige Insulin-Dosis produzieren“, sagt Hanna.

Während man aus den embryonalen Stammzellen oder den iPS-Zellen von Mäusen inzwischen viele verschiedene Gewebe züchten kann, hatte man vergleichbare Erfolge mit menschlichen Zellen bestenfalls in der Nervenzellentwicklung. Mit Hannas iPS-Zellen kann man die Entwicklungsprozesse nun genauer studieren und herausfinden, welche Signalstoffe es braucht, um die Entwicklung von der Stammzelle zum gewünschten Gewebe steuern zu können.

In der Altstadt Tel Avivs, im biblischen Jaffa des Propheten Jona, hat sich Hanna inzwischen ein Haus gekauft. Und gerät wieder in Rage, wenn er davon erzählt, dass es einst einer arabischen Familie gehörte. Doch wenn der Wissenschaftler nicht über Politik, sondern über seine Forschung spricht, dann ist nichts zu spüren vom sarkastischen, manchmal fast bitter klingenden Palästinenser, der von sich selbst sagt, er sei eher ein Pessimist. Dann ist da optimistische Begeisterung für die Wunder, die in den menschlichen Zellen schlummern und vor denen Konflikte zwischen Völkern klein und nichtig erscheinen. •

SASCHA KARBERG macht die Geschichte von Yaqub Hanna Hoffnung, dass ein friedliches Zusammenleben von Arabern und Israelis im Nahen Osten noch möglich ist.

von Sascha Karberg

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