Anfang Oktober blickte die ganze Welt nach Stockholm. Es wurde verkündet, wer dieses Jahr den Nobelpreis für Physik, Chemie oder Medizin erhält. Und da war zu hören, dass es heuer einen deutschen Laureaten gibt, nämlich Stefan W. Hell aus Göttingen. Ihm wurde der Nobelpreis für Chemie zugesprochen, gemeinsam mit den Amerikanern Eric Betzig und William Moerner.
Die Nobel-Kommission begründete ihre Wahl mit dem Hinweis: „Lange Zeit wurde die optische Mikroskopie von einer vermuteten Begrenzung aufgehalten: Dass sie nie eine bessere Auflösung haben kann als die Wellenlänge des Lichts. Mit Hilfe fluoreszierender Moleküle haben die Chemie-Nobelpreisträger 2014 dies auf geniale Weise umgangen.“
Fahle Glückwünsche
So weit, so gut. Kurz darauf erhielt Professor Hell in Göttingen das Glückwunschschreiben seines Bundespräsidenten, in dem der Laureat lesen konnte: „… in Zusammenarbeit mit Ihren amerikanischen Kollegen haben Sie die Entwicklung der hochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie vorangebracht. Mit Ihrer Forschung haben Sie entscheidend dazu beigetragen, dass Molekularteilchen in lebenden Zellen sichtbar gemacht werden können. Für viele Menschen verbindet sich damit die Hoffnung, dass mithilfe dieser Technologie Krankheiten wie Krebs effektiver behandelt werden können“, und so weiter und so fort. Fazit: Der Bundespräsident erklärt dem Nobelpreisträger, was er geleistet hat. Vielleicht, weil Stefan Hell das noch nicht wusste.
Aber kann ein Bundespräsident nicht einfach einmal zugeben, dass er von wissenschaftlichen Dingen nicht viel versteht? Es scheint mir, dass er – wie viele andere – nicht wirklich weiß, was Fluoreszieren bedeutet. Kennt er die Molekularteilchen, die in einer Zelle stecken? Und weiß er, welche davon sichtbar sind? Zudem kann von einer Zusammenarbeit Hells mit den amerikanischen Kollegen überhaupt keine Rede sein.
Ehrliche Freude und Neugier
Was ich mir gewünscht hätte: einen Bundespräsident, der einfach einmal staunt und mit eigenen Worten – nicht mit den Vorgaben seiner Beamten – ehrliche Freude ausdrückt, falls er sie so empfindet, und seine Bereitschaft bekundet, sich und seine Mitbürger zu ermutigen, in nächster Zeit mehr über Fluoreszenzmikroskopie zu lesen und zu lernen.
Das Thema „public understanding of science“ steht seit Jahrzehnten auf der Agenda der Wissenschaft, die sich vielfach bemüht, ihre Bringschuld zu leisten, wobei die Öffentlichkeit oftmals ihre „Holschuld“ nicht eingesteht. Der Bundespräsident hätte ein Zeichen setzen und genuines Interesse an guter und praxistauglicher Forschung und persönliche Neugier demonstrieren können. So kann beispielsweise auch die Freiheit der Menschen, die ihm sehr am Herzen liegt, nur dann ein Thema sein, wenn Lebensbedingungen erträglich gestaltet werden und sich stetig verbessern. Und genau dafür sorgen Forscher seit Jahrzehnten. Genuines Verständnis haben sie also allemal verdient.
Ernst Peter Fischer
ist Physiker, Biologe und habilitierter Wissenschaftshistoriker. Er hat mehr als 50 Bücher geschrieben – neben Biographien und Firmengeschichten über Themen, die von Atomphysik bis zu Hirnforschung reichen. „Die andere Bildung“ hat eine Auflage von mehr als 100.000 erreicht und ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. 2014 erschien sein Buch „Die Verzauberung der Welt“. Darin beschreibt Fischer, wie und warum naturwissenschaftliche Erklärungen die Geheimnisse der Natur nicht aufheben, sondern erst vertiefen.