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Warum Supernovae explodieren

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Warum Supernovae explodieren
Seit Jahrzehnten ringen Forscher darum, das brachiale Ende massereicher Sterne zu simulieren. Jetzt ist es ihnen erstmals gelungen, Supernovae dreidimensional im Computer detonieren zu lassen.

Der kosmische Blitz traf die Erde vor 27 Jahren. Am 24. Januar 1987 entdeckten Ian Shelton und Oscar Duhalde vom Campanas-Observatorium in Chile mit bloßem Auge am Himmel ein helles Objekt. Die Astronomen reagierten rasch und konnten mit ihren Teleskopen alsbald das aufflammende Leuchten einer Sternexplosion verfolgen. Diese Supernova bekam die Bezeichnung „ SN 1987A“.

Das seltene Ereignis hatte sich in unserem kosmischen Vorgarten ereignet: inmitten der Großen Magellan’schen Wolke, einer kleinen Satellitengalaxie, die in 168 000 Lichtjahren Entfernung unsere Milchstraße umkreist. Auch die Teilchenphysiker wurden aufmerksam und begannen nach Spuren der Sternexplosion zu fahnden: Wie die Aufzeichnungen von drei unterirdischen Labors zeigten, konnten insgesamt 24 Neutrinos gemessen werden. Es war die erste Detektion der fast lichtschnellen Elementarteilchen aus einer Quelle jenseits des Sonnensystems – ein Novum in der Supernova-Forschung.

Die sensationelle Entdeckung der SN 1987A schlägt bis heute Wellen. Dank der geballten Teleskopmacht der Astronomen wurde sie „zu der am besten beobachteten Supernova aller Zeiten“, resümiert Bruno Leibundgut, ein Supernova-Experte der Europäischen Südsternwarte ESO in Garching bei München.

Doch was da heller als eine ganze Galaxie am Himmel aufleuchtet, ist für die Theoretiker unter den Astrophysikern auf der Erde ein schwerer Brocken, an dem sie seit Jahrzehnten kauen. Lange waren ihre Anstrengungen vergebens, die Mechanismen der gewaltigen Sternexplosion im Detail zu verstehen. Doch nun ist es dem Team um Hans-Thomas Janka vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München gelungen, erstmals massereiche Sterne erfolgreich als Supernovae zu sprengen – in aufwendigen Computersimulationen.

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SN 1987A lieferte dazu den entscheidenden Schub – sowohl an Daten als auch an Motivation. „Damals kam dieses tolle Ereignis zu früh“, meint der Astrophysiker Ewald Müller, der am gleichen Institut wie Janka arbeitet. „Die Neutrinoastronomie steckte seinerzeit noch in den Kinderschuhen.“

Der Puls der geisterhaften Elementarpartikel lieferte das erste direkte Signal aus den ersten Sekunden einer Supernova, die aus dem Kollaps eines massereichen Sterns entsteht. Das Signal bestätigte, dass sich im Zentrum ein Neutronenstern bildet, wie es die Astronomen Fritz Zwicky und Walter Baade bereits 1934 vorhergesagt hatten. Ein solches bizarres Objekt komprimiert in einem Volumen von 20 Kilometer Durchmesser mehr als die Masse der gesamten Sonne – bei einer Materiedichte, wie sie sonst nur im Inneren von Atomkernen herrscht.

Doch die folgende Expansion der Explosionswolke von SN 1987A verlief ganz anders als erwartet. Bis kurz vor den Zeitpunkt der Implosion haben schwere Sterne der Theorie nach ein recht wohlgeordnetes Innenleben. Forscher vergleichen es gern mit einer Zwiebel. In kugelförmigen Schalen werden bei den Kernfusionsprozessen verschiedene chemische Elemente angereichert.

Im Spätstadium bilden die Himmelskörper einen zentralen Eisenkern, umgeben von Schichten leichterer Elemente wie Sauerstoff und Kohlenstoff – bis hin zum Wasserstoff in der Außenzone. Bei so viel Wohlordnung erwarteten die Sternforscher, dass auch die Explosion von SN 1987A Schicht für Schicht nach dem Muster dieser Zwiebelschalen stattfinden sollte. Das tat sie aber nicht. „Diese Vorstellung wurde grundlegend erschüttert“, sagt Ewald Müller. „Im auseinander fliegenden Stern hatte es offenbar starke Umwälz- und Mischvorgänge gegeben.“

Die Beobachter entdeckten in den äußeren Zonen der Explosionswolke Klumpen von radioaktivem Nickel-56, das bis in die äußere Wasserstoffhülle vorgedrungen war. Die Ursache waren vermutlich starke innere Turbulenzen. „Das ist eine revolutionäre Erkenntnis für die Theoretiker“, kommentiert Janka.

Doch die bahnbrechende Idee von Zwicky und Baade durchzurechnen, erwies sich als steiniger Weg. Das Problem lag neben der ungenügenden Computerleistung auch an den physikalischen Grundlagen. Denn die bekannten Naturgesetze wurden hier teilweise auf Energien angewandt, die experimentell nicht zugänglich sind. Man könnte auch vom Weg auf einen Berg der Dimensionen sprechen: von einer Dimension über zwei zu den drei bekannten Raumdimensionen.

Der Versuch, eine Sternexplosion in Computersimulationen nachzuvollziehen, schritt also von den einfachsten Modellen mit einer Kugelsymmetrie, über zweidimensionale mit einer Axialsymmetrie bis hin zu dreidimensionalen fort. Erst damit wurden die Modelle realistisch genug. Am Gipfel des Bergs der Erkenntnis sollten sich schließlich die Sterne befinden, die auch im Computer explodierten – nicht nur im All (siehe bild der wissenschaft 10/2007, „Sprengbomben am Himmel“).

Modelle in nur einer Dimension

In den 1950er- und 1960er-Jahren untersuchten die Physiker Geoffrey und Margaret Burbridge, Willy Fowler und Fred Hoyle die Prozesse, die den zentralen Eisenkern eines Präsupernovasterns in die gravitative Instabilität treiben. Sie entdeckten, dass zwei Faktoren den Kollaps auslösen: hohe Dichte und gewaltige Hitze. Bei hohen Temperaturen verdampfen die Eisen-Atome, und es bildet sich eine Suppe von Helium-Atomkernen, freien Protonen und immer mehr Neutronen. Wächst der Eisenkern auf eine Masse von mehr als eineinhalb Sonnenmassen, dann gibt es kein Halten mehr, so berechneten Astrophysiker: Die Widerstandskräfte der Materie können der wachsenden Gravitationskraft nicht mehr standhalten. Die Eisenkugel von rund 3000 Kilometer Durchmesser – ungefähr der Größe des Erdmonds – bricht in Sekundenbruchteilen in sich zusammen. Die Experten sprechen von einem Kernkollaps.

Er vollzieht sich äußerst rasant: Mit bis zu einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit stürzen die Massen auf den Mittelpunkt zu und werden erst dann gestoppt, wenn die Dichte der Atomkern-Materie überschritten ist – das entspricht gigantischen 300 Millionen Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels. Und wie bei einer zusammengequetschten Feder, die jäh losgelassen wird, sollte die geballte Implosionsenergie nach außen entweichen und dabei die nachstürzenden Massen in den Weltraum sprengen.

Zu einer Explosion kommt es nicht

Das zeigten auch die ersten – eindimensionalen – Berechnungen: Nach dem Rückprall im Zentrum rasen Druckwellen nach außen. Dann bilden sie eine Stoßfront. Das geschieht dort, wo die einstürzende Materie Überschallgeschwindigkeit erreicht. Die Stoßwelle beginnt sich den Rechnungen zufolge wunschgemäß weiter auszudehnen – doch sie stagniert nach 100 bis 150 Kilometern noch innerhalb des gerade kollabierenden Eisenkerns. Denn die Stoßwelle verliert Energie, weil sie die Atomkerne des Eisens verdampft, und es bleiben nur freie Neutronen und Protonen übrig. Die Bewegungsenergie wird von dem freien Nukleonengas aufgesogen. Daher stagniert die Stoßwelle und schafft es nicht mehr, den Stern zu zerreißen. Zugleich wächst im Zentrum rasch ein Neutronenstern heran – aber eine Explosion findet nicht statt.

„Dieser, wie wir sagen, prompte Explosionsmechanismus funktionierte einfach nicht“, meint Janka. „Das war seinerzeit eine große Enttäuschung“, sagt auch Müller. „Man darf nicht vergessen, dass wir nur nach einem Ein-Prozent- Effekt suchen: Höchstens ein Prozent der beim Kollaps freiwerdenden Gravitationsenergie wird benötigt, um anschließend die Hülle abzusprengen.“ Das Ganze geschieht in weniger als einer Sekunde – ein hochdynamischer Prozess und eine Herausforderung für die Präzision von Modellen und Berechnungen. Guter Rat war gefragt: Was konnte die Stoßwelle wieder in Schwung bringen?

Dann hatten Stirling Colgate, Richard White und vor allem James Wilson eine zündende Idee: Neutrinoheizung! Den amerikanischen Physikern zufolge werden die Elementarteilchen während und nach dem Rückprall im sich gerade formierenden Proto-Neutronenstern massenhaft erzeugt. Dadurch verwandelt sich die gravitative Bindungsenergie der einstürzenden Materie in Teilchenstrahlung. Nachdem die Stoßwelle bei etwa 200 Kilometern ausgelaufen und gleichsam zum Stehen gekommen ist, könnten Neutrinos – so die Idee – von unten kräftig nachheizen und die Hülle des Sterns wegschleudern. „Das ist bis heute unser Paradigma“, sagt Janka.

Außerdem sollen Konvektion und hydrodynamische Instabilitäten die Gasschichten während der Kollapsumkehr durcheinander wirbeln. Zugleich heizt sich im Zentrum der Neutronenstern dank seiner kontinuierlichen Kontraktion weiter auf: bis auf unvorstellbare 500 Milliarden Grad Celsius. Bei diesen Temperaturen entstehen Neutrinos in großer Zahl – zunächst noch innerhalb des Baby-Neutronensterns. Von dort diffundieren sie nach außen bis zur Neutrinosphäre. Diese Zone, ab der sich die Teilchen relativ frei in die Umgebung hinein bewegen können, ist analog zur Photosphäre der Sterne, wo die Photonen plötzlich freie Bahn bekommen. Nun können die Neutrinos ihre explosive Wirkung entfalten – bis hin zu der bei 200 Kilometer stagnierenden Stoßfront.

Neutrinos als treibende Kraft

„Rund zehn Prozent dieser Neutrinos sollten von den turbulenten Gasschichten absorbiert werden, die dann von der Neutrinoenergie beschleunigt werden“, erläutert Janka. Schon in den 1980er-Jahren hatte James Wilson am Lawrence Livermore Laboratory im Prinzip gezeigt, dass ein ausreichend heftiger Neutrinopuls den Stern explodieren lassen könnte. Diese Notwendigkeit hatte der Physiker in seinen Berechnungen jedoch nur durch spezielle Annahmen erfüllen können. Mit diesem Trick stellte er sicher, dass die Sternexplosionen in seinen eindimensionalen – also sphärischen Modellen – auch funktionierten würden.

Wilsons numerisches Experiment hatte Erfolg. Es zeigte außerdem, dass die Explosionen um einige Zehntelsekunden später einsetzen als bei einer „prompten Explosion“. Fachleute sprechen inzwischen von „Wilsons verzögertem Neutrinoheiz-Mechanismus“. Ob dieser tatsächlich der Schlüssel zur Lösung des Rätsels war, blieb damals offen. Klar war nur, dass die eindimensionalen Modelle nicht ausreichten, da sie nur rein kugelsymmetrisch ablaufen und Konvektion sowie Turbulenzen prinzipiell ausschließen.

James Wilson hatte die Hoffnungen auf das Neutrinoparadigma gelenkt. Zwei Dinge mussten passieren, um aus der Sackgasse herauszukommen, in die die eindimensionalen Modelle geraten waren: Zum einen brauchte man schnellere Computer. Zum anderen musste man erkennen, dass hydrodynamische Umwälz- und Mischvorgänge eine entscheidende Rolle spielen. Dies war auch eine Lektion, die die Supernova von 1987 den Forschern aufgegeben hatte.

Solche nichtradialen Plasmabewegungen wurden erst in den zweidimensionalen Berechnungen sichtbar. Sie nehmen eine künstliche Rotationssymmetrie um eine Achse an – und Sterne rotieren ja. Zweidimensionale Modelle sind immer noch artifiziell, doch dieser Ansatz war zunächst durch die beschränkte Leistungsfähigkeit der Supercomputer erzwungen. Immerhin erschloss er zumindest in einigen Aspekten eine wirklichkeitsnähere Physik.

Die nachstürzenden Gas- und Materiemassen konnten jetzt in Umwälzbewegungen ausbrechen, die sie etwas länger in der kritischen, gut 100 Kilometer tiefen Zone zwischen Neutrinosphäre und Stoßfront festhielten. „Da geht es um wenige zusätzliche Hunderstelsekunden“, erläutert Janka.

In diesen Momenten können mehr Neutrinos mit ihrer Energie die einfallende Materie abbremsen und sogar wieder nach außen treiben. Dabei konkurrieren zwei Phänomene: Einerseits dämpft einstürzende Materie weiterhin alles, was nach außen drängen will. Andererseits heizen die Neutrinos Gasblasen auf, die gegen den „Regen von oben“ ankämpfen. Im Erfolgsfall dringt die Stoßwelle in höher liegende Schichten mit Silizium und Sauerstoff vor. Hinter sich her zieht sie eine heiße nuklear brennende Front, in der innerhalb von Sekundenbruchteilen radioaktives Nickel entsteht. Dieses Element wird ins All geschleudert und lässt die Supernova später hell aufleuchten: je nach Entfernung für Tage, Monate oder manchmal auch Jahre.

Licht- und Schattenseiten

Nach einem Jahrzehnt zweidimensionaler Computersimulationen zeigten sich ihre Licht- und Schattenseiten. Rechnerischer Vorteil: Wegen der effektiveren Neutrinoheizung braucht es insgesamt weniger Partikel, um einen schweren Stern zur Explosion zu bringen, als bei den eindimensionalen Modellen. Zudem entdeckten die Theoretiker in der simulierten Materiebewegung eine neue Instabilität der stehenden Stoßfront, die sie SASI nannten (Standing Accretion Shock Instability, übersetzt etwa: Akkretionsstoßinstabilität). Sie verändert drastisch Form und Bewegung der Stoßwelle sowie die Dynamik der Explosion. Vor allem erhöht sie die Verweildauer der Materie in der kritischen Zone. Für die Forscher bot das ungewöhnliche SASI-Phänomen eine Möglichkeit, um der Neutrinoheizung buchstäblich zum Durchbruch zu verhelfen. Tatsächlich sprengten in zahlreichen 2D-Simulationen die Sterne ihre Sternhülle ab.

Doch dieser Erfolg der zweidimensionalen Modellwelt könnte trügerisch sein. Denn wenn ein Stern aus den falschen Gründen explodieren sollte, wäre das Resultat nicht aussagekräftig: Die Turbulenzen, die in dieser Modellierung auftreten, verhalten sich in zwei Raumdimensionen grundsätzlich anders als in der dreidimensionalen Welt. Ihre Energie bewegt sich, entgegen der Realität, von kleineren zu größeren Wirbeln – ein mathematisches Artefakt der gewählten Näherung.

Sternexplosionen in allen drei Raumdimensionen zu simulieren, ist für die Forscher der Gipfel der Modellierung. 2012 starteten die Garchinger Astrophysiker erste Anläufe. Der immense Rechenaufwand grenzte selbst mit den modernsten Supercomputern an das Zumutbare (siehe Kasten unten „Supernova im Superrechner“). Und das wird wohl so bleiben. „Die heutigen Rechenmöglichkeiten liegen weit hinter den Erfordernissen“, sagt Janka.

Endlich nah an der Realität

Gleichwohl eröffnet die neue Generation der Zahlenfresser die Option, das komplexe Problem endlich weitgehend „realistisch“ zu attackieren und Signale zu berechnen, nach denen Astronomen Ausschau halten können: das Licht verglühender Sterne, Neutrinoblitze, Gravitationswellen, Explosionsenergien und Typologien der Supernova-Überreste. Die ersten Computerläufe in 3D starteten mit wenigen ausgewählten Vorläufersternen. Und die ersten Resultate aus dem Jahr 2013 waren durchaus „gemischt“.

Die Modellsterne entwickelten sich zwar zunächst erfreulich: „ Wir konnten die SASI-Schleuderbewegung ausmachen – eine Bestätigung der entsprechenden 2D-Resultate, jetzt aber dreidimensio- nal –, und wir konnten sogar die bis dahin nur spekulative Existenz einer kreisenden Materiebewegung bestätigen“ , sagt Thomas Janka. „Für eine Weile – etwa zwei Zehntelsekunden nach dem Rückprall – sah es noch gut aus.“

Doch dann mussten die Forscher feststellen: „Die 3D-Modelle explodieren schlicht nicht“, sagt Janka, „im Gegensatz zu den 2D-Modellen des gleichen Sterns.“ Woran konnte das liegen? Jedenfalls nicht an vernachlässigten Raumdimensionen.

In dieser Situation stellten sich die Theoretiker Grundsatzfragen: Konnten sie den Supercomputern trauen? Stimmte die Physik nicht? Noch während die Forscher ihre Theorien auf Fehlerquellen durchforsteten, kamen ihnen neue Entwicklungen in der Kernphysik zu Hilfe.

Entscheidender Zustand

Als besonders wichtig erwies sich ein Detail des Explosionsmechanismus: die sogenannte Zustandsgleichung. In der kompakten Materie des jungen Neutronensterns regelt sie das Verhältnis von Druck, Dichte und Temperatur. Wie rasch steigt der Druck bei zunehmender Dichte? Wächst er schneller, gilt die Zustandsgleichung den Physikern als „steif“. Steigt der Druck bei zunehmender Kompression nur langsam, gilt sie als „weich“.

Beim Sternkollaps ist das eine zentrale Frage. Denn je mehr Gegendruck der embryonale Neutronenstern der einstürzenden Materie entgegenstemmen kann, desto größer wird am Ende der Radius des ausgewachsenen Neutronensterns sein. Und umgekehrt: Je weniger Gegendruck sich aufbaut, desto mehr wird das Objekt zusammengepresst, desto kleiner und dichter ist der fertige Neutronenstern.

Als die Garchinger Theoretiker 2013 mit der Simulation dreidimensionaler Modelle begannen, konnten sie von aktuellen Berechnungen bei der Zustandsgleichung für Neutronensterne profitieren. „Es gab neue Daten aus der Kernphysik und astronomischen Beobachtungen“, berichtet Janka. „Und die favorisierten eine weiche Zustandsgleichung.“ Das beeinflusst die Physik des jungen Neutronensterns im Zentrum des Sternkollapses. In den Kollapsrechnungen schrumpft er nun schneller und wird auf ein kleineres Volumen zusammengepresst als in anderen Modellen – mit gerade mal 12 bis 13 Kilometer Radius.

„Ein kleiner Radius wirkt sich auf die Explosion positiv aus“, erläutert Janka. Ein Neutronenstern, der stärker kontrahiert, wird deutlich heißer, emittiert mehr und energiereichere Neutrinos.“ Diese können von der Stoßwelle, die in diesem Zeitpunkt bei rund 150 Kilometer fast stillsteht, besser resorbiert werden. Die Folge: Die Materie hinter der Stoßfront wird heißer und bekommt einen stärkeren Kick, der sie nach außen treibt.

Das allein reicht jedoch nicht aus. Denn auch bei den 3D-Simulationen von 2013 hatten die Garchinger schon von Anfang an die günstigste (weiche) Zustandsgleichung benutzt, die ihnen zur Verfügung stand.

Durchbruch im Computer

Um Erfolg zu haben, wählten die Forscher ein Sternmodell, bei dem bereits vom Aufbau her die Explosion einfacher sein sollte: ein Objekt von 9,6 Sonnenmassen und einer relativ dünnen Hülle. Eine dünnere Hülle lässt sich leichter ins All schleudern als eine dichtere. „Mit diesem Modell glückte uns im Juni 2014 erstmals die Simulation einer dreidimensionalen Sternexplosion“, freut sich Janka, „und sie ist deutlich stärker als im zweidimensionalen Fall.“ Doch er weist auch darauf hin, dass damit das Rätsel noch nicht verstanden sei. „Das Supernova-Problem wird nicht durch eine einzige Simulation gelöst“ , sagt der Max-Planck-Forscher. „Dazu ist es viel zu komplex. Als nächstes werden wir die erfolgreiche Simulation in mehrere Richtungen ausloten.“

So ist für die Astrophysiker wichtig, wie stark im Neutronenstern selbst Materiebewegungen in Form von Konvektion auftreten, denn diese können die Abstrahlung von Neutrinos wesentlich verstärken – was entscheidend sein könnte.

Außerdem hängt von der Zustandsgleichung ab, wie heftig die Neutrinos mit der Materie des jungen, heißen Neutronensterns in Wechselwirkung treten. Die zentrale Frage ist: Wie rasch gelangen sie nach draußen? „Wenn es den Neutrinos gelänge, nur ein bisschen schneller aus dem Neutronenstern zu entweichen, dann könnte das die Explosion im rechten Moment kräftig anschieben“, sagt Hans-Thomas Janka.

Doch wenn der Mechanismus einmal geklärt sein sollte, beginnt erst die eigentliche Astrophysik, betont Ewald Müller. „ Eigentlich warten jetzt alle auf die nächste Supernova innerhalb der Milchstraße. Denn anders als noch bei SN 1987A sind wir diesmal vorbereitet.“ •

REINHARD BREUER war Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft. In bdw 8/2014 berichtete er bereits von den überraschenden Größenmessungen des Protons.

von Reinhard Breuer

Dreidimensionale Simulation einer Sternexplosion

Seit Jahrzehnten rätseln Astrophysiker, welche Vorgänge sich genau in einer Supernova vom Typ II abspielen – also bei der Explosion eines massereichen Riesensterns. Hauptproblem: Bevor es überhaupt zur Detonation kommt, stürzt der innere Bereich des Sterns zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch zusammen. Warum reißt dieser Gravitationskollaps nicht alles mit sich? Was also löst die Supernova aus? Erstmals wurde der turbulente Start einer Sternexplosion nun im Detail dreidimensional berechnet. Ausgangspunkt war der Kollaps eines 9,6 Sonnenmassen schweren Riesensterns. Die Bildserie zeigt die Entwicklung der Detonation über einen Zeitraum von 60 bis 400 Millisekunden nach Beginn der Neutronensternbildung. Die zentrale weiße Kugel stellt den Neutronenstern dar, der ungeheure Mengen von Neutrinos abstrahlt. Die Stoßwelle der von ihnen ausgelösten Explosion ist als bläuliche einhüllende Fläche mit fast kreisförmigem Rand dargestellt. Aufsteigende und expandierende Blasen des von den Neutrinos stark erhitzten dichten Plasmas beschleunigen die Stoßwelle der Explosion. Innerhalb weniger Bruchteile einer Sekunde vergrößert sich ihr Durchmesser auf mehr als 12 000 Kilometer.

Supernova im Superrechner

Um zu verstehen, was im Innersten einer Supernova abläuft, simulieren Theoretiker des Max-Planck-Instituts für Astrophysik das Geschehen auf den modernsten Supercomputern. In der Natur dauert der entscheidende Prozess gerade mal eine Sekunde.

Modelle mit zwei Raumdimensionen durchlaufen rund 3 . 1018 Gleitkommaoperationen (englisch: Flops). Auf einem Prozessorkern („Core“) kann das rund eine Million Rechenstunden in Anspruch nehmen. Im dreidimensionalen Fall steigen diese Werte um mindestens den Faktor 100 auf über 3 . 1020 Flops und bis zu 100 Millionen Rechenstunden. Dabei fallen mehrere Terabyte an Daten an.

In Europa können die Max-Planck-Forscher ihre Simulationen nur auf wenigen geeigneten Superrechnern laufen lassen. Einer ist der SuperMUC des Garchinger Leibniz-Rechenzentrums, der eine Leistung von 3 Petaflops/Sekunde erreicht – also 3 . 10 15 Flops pro Sekunde. Er hat Rang 12 auf der Weltrangliste. Außerdem nutzen die Forscher den CURIE-Computer in Paris. Zum Vergleich: Der schnellste Computer der Welt steht in China und hat theoretische Spitzenwerte von 34 Petaflops/Sekunde.

In Garching konnten die Forscher parallel 16 000 Cores von über 155 000 der Anlage nutzen. Darauf nimmt eine Simulation immer noch über vier Monate Rechenzeit in Anspruch. Nun warten die Wissenschaftler auf Computer der nächsten Generation, die sogenannten Exascale-Rechner. Sie werden 1000 Mal so schnell sein.

SuperMUC im Leibniz-Rechenzentrum mit 155 656 Prozessorkernen.

Supercomputer CURIE in Paris mit 77 184 Prozessorkernen.

Kompakt

· Neue Computersimulationen zeigen die entscheidende Sekunde des zentralen Zusammenbruchs eines massereichen Sterns.

· Beim Kollaps ausgebrannter Sterne wird eine gigantische Menge von Neutrinos erzeugt.

· Diese Elementarteilchen heizen die nachstürzende Materie auf und erzeugen so die Supernova.

Mehr zum Thema

Lesen

Hans-Thomas Janka Supernovae und kosmische Gammablitze Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg 2011, € 19,99

Internet

Homepage von Hans-Thomas Janka: www.mpa-garching.mpg.de/~thj

Kollaps vor dem Knall

Das Radius-Zeit-Diagramm zeigt die zusammenstürzenden Materieschichten im Inneren eines Riesensterns mit 9,6 Sonnenmassen, der zur Supernova wird. Die dicke rote Linie markiert die Stoßfront, die nach außen expandierenden schwarzen Linien (rechts) den Beginn der Sternexplosion. Die kontrahierenden schwarzen Linien im unteren Bereich des Diagramms stellen den entstehenden Neutronenstern dar. Regionen mit starken Turbulenzen der Sternmaterie sind durch intensivere Rotfärbung angedeutet.

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