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Sternenpark in Brandenburg

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Sternenpark in Brandenburg
Weil die natürliche Nacht durch die künstliche Beleuchtung zu verschwinden droht, wurden die letzten dunklen Flecken der Welt zu „Dark Sky“-Reservaten erklärt. Eines liegt nur eine Autostunde vom hell erleuchteten Berlin entfernt.

Es war im April 2011, als sich Andreas Hänel, Leiter des Planetariums von Osnabrück, wieder einmal auf den Weg machte. Sein Ziel: die Finsternis. Dafür hatte er eine Software auf das Navi seines Autos gespielt, die von Satellitenbildern gespeist wird. Sie sucht nicht die schnellsten Strecken, sondern die dunkelsten.

Das Programm führte ihn in den Nordosten der Republik. An seinem Fenster zogen Wiesen vorbei, Seen, Dörfchen mit Klinkerbauten und Storchennestern auf den Kirchtürmen. Gegen Mitternacht parkte er am Straßenrand und hielt ein schwarzes Kästchen gen Himmel, etwas dicker als ein Smartphone. Damit maß er die Qualität des Nachthimmels. Sein Sky Quality Meter spuckte einen sensationellen Wert aus: 21,8 Magnitude pro Quadratbogensekunde (mag/arcsec2), wobei „mag“ die scheinbare Helligkeit eines Gestirns bezeichnet.

Die astronomische Einheit beschreibt die Dunkelheit einer Fläche. Je höher der Wert, desto finsterer die Nacht. Ab 21,7 mag/arcsec2 spricht man von einem natürlichen Himmelshintergrund: Die Milchstraße sollte dann bis zum Horizont sichtbar sein, die Wolken erscheinen schwarz. Im stark illuminierten Himmel von Berlin dagegen misst man vielleicht noch 18,4 mag/arcsec2. Der Unterschied ist wörtlich der von Tag und Nacht.

Hänel hatte ein Stück Himmel gefunden, wo es nachts so dunkel ist wie vor 100 Jahren, in dem die Sterne fast so berauschend funkeln wie in der Namib-Wüste. Und das ausgerechnet in Brandenburg, nur 70 Kilometer westlich von der Metropole Berlin.

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Freie Sicht auf die Milchstraße

Als Galileo Galilei vor gut 400 Jahren entdeckte, dass die Milchstraße sich aus unzähligen Sternen zusammensetzt, war der helle Pinselstrich am Firmament ein Phänomen, das zum Nachthimmel gehörte wie der Mond. Heute ist der Blick auf unsere Galaxis zum Privileg geworden: Nur noch ein Prozent der Weltbevölkerung hat freie Sicht auf die Milchstraße. Laut einer Emnid-Umfrage haben 40 Prozent der unter 30-jährigen Deutschen sie noch nie in natura gesehen. Über den meisten besiedelten Orten wölbt sich ein schmutzig-gelber Schild aus Licht. Die Industriegesellschaft hat nicht nur die Geisterstunde ausgeknipst, sondern in weiten Teilen der Welt auch den Sternenhimmel.

Auf dem Weg vom Feuer zur Glühlampe hat sich eine Gleichung in der menschlichen Psyche eingebrannt: Licht = Sicherheit + Wohlstand + Fortschritt. Nacht für Nacht strahlt das Kunstlicht von der Erde in den Himmel – jedes Jahr etwa sechs Prozent mehr – und wird von Staub und Molekülen weit oben in der Atmosphäre gestreut. Schon eine Stadt mit 30 000 Einwohnern hellt den Himmel in einem Umkreis von 25 Kilometern auf.

In Großstädten wie Berlin soll in den vergangenen 150 Jahren die Helligkeit in klaren Nächten um das Zehnfache, in wolkigen Nächten sogar um das Tausendfache gestiegen sein. Wer hier in den Nachthimmel blickt, erkennt mit Glück ein paar Dutzend Sterne – statt der etwa 3000, die mit bloßem Auge idealerweise sichtbar sein sollten.

Der 24-Stunden-Tag macht unserem Biorhythmus zu schaffen und verstört Tiere und Pflanzen. Seit einigen Jahren kämpfen deswegen Astronomen, Biologen und Mediziner weltweit gegen die Schattenseite des Lichts (bild der wissenschaft 4/2001, „Mehr sehen mit weniger Licht“). Sie plädieren für eine sinnvollere Beleuchtung – und für die Bewahrung der Nacht, wo sie noch nicht von künstlichem Schein erhellt ist.

Dafür hat die International Dark Sky Association (IDA) Sternenschutzparks definiert: 24 gibt es bisher. Sie liegen erwartungsgemäß in den Weiten Amerikas, Neuseelands, Australiens und in schwach besiedelten Regionen Europas wie der ungarischen Puszta – sowie neuerdings auch in Deutschland.

Auf der Suche nach dem Großen Wagen

Das Zertifikat „Dark Sky Reserve, Kategorie Silber“, ausgestellt von den Amerikanern der IDA, hängt bei Jordis Hammer in der Küche. Seit Kurzem steht in ihrem Garten ein Profi-Teleskop. Ihr gehört das einzige Gästehaus in Gülpe, einem 160-Seelennest am Rand des Naturparks Westhavelland. Lange war er nur Vogelfreunden ein Begriff: als größtes europäisches Rast- und Brutgebiet für Watt- und Wasservögel im Binnenland. „Anderswo finde ich immer gleich den Großen Wagen“, sagt Jordis Hammer: „ Bei uns muss man nach ihm suchen, zwischen all den anderen Sternen.“

Um als Dark Sky Reserve anerkannt zu werden, wurde im Westhavelland eine völlig dunkle Kernzone bestimmt, das Naturschutzgebiet, und eine Pufferzone aus den umliegenden Gemeinden, die Auflagen bekommen haben. So müssen alle künftig angebrachten Lampen gewisse Anforderungen erfüllen. Empfohlen wird warmes LED-Licht, dass nach oben abgeschirmt ist. „Ein Lernprozess, der gerade begonnen hat“, kommentiert Andreas Hänel. „Alles auf einmal umzurüsten ist illusorisch, aber die normgerechte Straßenbeleuchtung ist nicht teurer, im Gegenteil. Vielleicht müssen die Laternen näher beieinander stehen, dafür ist das Licht gerichtet und benötigt weniger Energie.“

Gegenargumente kamen nur von Bauern, die sich sorgten, dass sie ihre Feldarbeit bei Nacht nicht mehr ausführen dürfen. Erst Vögel und jetzt Sterne schützen? Aber die Bauern ließen sich beruhigen. Die paar Mal im Jahr, in denen sie ihre Äcker ausleuchten, bleiben im Rahmen der Auflagen der Dark Sky Association.

Das erste Astro-Treffen von Gülpe hatte Planetariumsleiter Hänel 2011 in einem Internetforum für Hobby-Astronomen beworben. Jordis Hammer erinnert sich noch gut daran, wie sieben Sternengucker aus Osnabrück anreisten und die ersten zwei Tage missgelaunt auf dem Sportplatz saßen. Der Himmel war bewölkt, die Männer lästerten über die ostdeutsche Einöde – und gingen früh ins Bett.

Aber in der nächsten Nacht riss die Wolkendecke plötzlich auf. Beim Frühstück schwärmten die Sieben von Gasnebeln, dem Zentrum der Milchstraße, Kugelsternhaufen, den Überresten einer Supernova, wahrnehmbar als feiner Nebel zwischen Sternen – und einem Kometen, dem sie mit dem Fernglas auf seinem Flug durch die Nacht gefolgt waren.

Himmlisches Spektakel

Wer auf der kleinen Havel-Brücke von Gülpe im Frühjahr in die Abenddämmerung blickt oder im Herbst auf den Sonnenaufgang wartet, kann sogar das Zodiakallicht erkennen – ein sehr zartes Leuchten, das sich pyramidenförmig über den ganzen Himmel erstreckt. Es entsteht durch Reflexion und Streuung des Sonnenlichts an der Gas- und Staubwolke, die die Sonne umgibt. „ Ein besonders klares Kriterium für einen guten Himmel“, sagt Hänel.

Wenn keine Straßenlampen, Leuchtreklamen und Flutlichtanlagen stören, nimmt man wahr, dass die Natur ihre eigene extravagante Lichtschau zu bieten hat. Neben der Milchstraße, die besonders im Herbst den Himmel stark aufhellt, kann man in sehr dünn besiedelten Regionen den sogenannten Airglow erkennen: von der Sonne aufgeladene Gasteilchen in höheren Atmosphärenschichten. Astronauten nehmen dieses Phänomen als leuchtende Ringe wahr, die zwischen 90 bis 500 Kilometer hoch über der Erdoberfläche wabern. Von der Erde aus sieht man auf Digitalfotos einen schwachen grünlichen Schimmer – ähnlich wie das Polarlicht, nur viel dezenter. Auch dieses wurde in Gülpe übrigens schon gesichtet.

Doch dass Gülpe der dunkelste Ort Deutschlands sei, wie viele Medien titelten, stimmt nicht, sagt Hänel. Man war hier nur am schnellsten dabei, von dem Alleinstellungsmerkmal touristisch zu profitieren. „Gerade in Mecklenburg-Vorpommern gibt es sicher noch ähnlich dunkle Regionen.“ Auch die Eifel bewirbt sich gerade für das Zertifikat der IDA. Und Rhön sowie Schwäbische Alb sind dabei nachzuziehen.

Wer in einer lauen Augustnacht in den Himmel über Gülpe blickt, versteht, wieso Hänel nie ein Teleskop dabei hat, und selten ein Fernglas, wenn er auf Sternensafari geht. „Ich lasse die Weite auf mich wirken, und dann fahre ich glücklich wieder heim“, sagt der Planetariumsleiter. Die flackernden Pünktchen und ruhig strahlenden Scheibchen – weit entfernte Sterne und die Planeten unseres Sonnensystems – wirken wie Strasssteine auf übereinander schwebenden schwarzen Seidentüchern. Jede Schicht liegt ein paar Lichtjahre weiter entfernt.

Dieser staubige Streifen, der wie ein Feenschleier das Firmament teilt – das ist die Milchstraße. Zwei dumpfe graugelbe Flecken tief am Horizont bringen den Betrachter zurück zur Erde: im Westen Berlin und im Osten eine flutlichtbestrahlte Zellstofffabrik. •

AGNES FAZEKAS ist vom Nachthimmel über Gülpe tief beeindruckt. So viele Sterne hatte die Ethnologin und freie Journalistin das letzte Mal in Kenia auf dem Land gesehen.

Text von Agnes Fazekas

Gut zu wissen: Auswirkungen der Lichtverschmutzung

Die Folgen der taghellen Nacht auf Mensch und Tier sind noch nicht völlig erforscht. Doch viele Effekte sind dokumentiert:

· Pflanzen werden in ihrem Wachstumszyklus beeinflusst. Laubbäume in der Nähe von Straßenlampen verlieren ihre Blätter verspätet, wodurch es zu Frostschäden kommen kann.

· Die verbreiteten weißen Lichtquellen mit hohem Blauanteil sind für Zugvögel ein erhebliches Problem bei der Navigation. Sie lassen sich von Lichtquellen fesseln bis zur Erschöpfung, finden ihre Brutplätze nicht mehr oder kollidieren mit erleuchteten Bauwerken.

· In einer Sommernacht sterben an jeder Straßenlaterne rund 150 Insekten. Dadurch werden Mücken, Motten und Nachtfalter aus dem Ökosystem und somit der Nahrungskette gezogen.

· Unnötig hell erleuchtete Wohnsiedlungen und Gewerbegebiete stören nachtaktive Tiere wie Fledermäuse und schränken sie in ihrem Aktionsradius stark ein. Mögliche Auswirkungen sind auch hier Abwanderung und Artensterben.

· Bei einigen Arten von Singvögeln und Amphibien geraten die Kommunikationsmuster zwischen den Geschlechtern durcheinander, und die Fortpflanzung wird gestört. Biorhythmus und Hormonhaushalt verändern sich.

Sternenparks – Kriterien und Nutzen

Die Auszeichnung „Dark Sky Park“ wird von der International Dark Sky Association (IDA) weltweit an Nationalparks und andere öffentliche Parks verliehen, die sich besonders für astronomische Beobachtungen eignen. Dabei muss die Beobachtungsqualität besser als 6 auf der sogenannten Bortle-Skala sein. Sie reicht von 1 (hervorragende Bedingungen) bis 9 (praktisch keinerlei Sterne mehr sichtbar). Erwartet werden außerdem die Vollabschirmung aller Lampen mit einem Lichtstrom von über 1000 Lumen, die Erstellung eines umweltfreundlichen Beleuchtungsplans sowie die Unterstützung des Projekts durch die Parkverwaltung. Auch Beleuchtungsmusterprojekte, Kooperationen mit Hochschulen und Bildungseinrichtungen sowie ein permanentes Messprogramm der Lichtverschmutzung sind wichtig für einen erfolgreichen Antrag.

Die jüngste und strengste Zertifizierung ist die zum „ International Dark Sky Reserve“. Sie wurde 2008 erstmals an Mont Mégantic bei Quebec in Kanada verliehen, und 2014 nun auch dem Naturpark Westhavelland. Infrage kommen große periphere Landflächen in öffentlichem oder privatem Besitz mit sternklarem Nachthimmel und einer besonderen Nachtlandschaft, die unter Schutz gestellt werden – sei es zu wissenschaftlichen, natürlichen, kulturellen Zwecken oder zur öffentlichen Erholung. Im Gegensatz zum Dark Sky Park besteht ein Dark Sky Reserve aus einer dunklen Kernzone, die Schutzgebietsstatus hat und wo die Mindestanforderungen erfüllt sind. Umgeben wird die Kernzone von einer Pufferzone, die mindestens 700 Quadratkilometer groß ist, was einem Radius von 15 Kilometern entspricht. Die Kooperation aller betroffenen Gemeinden und anderer Akteure ist notwendig, um den Himmel eines Dark Sky Reserve zu schützen.

Der dunkle Himmel macht die Region besonders attraktiv. Durch die Auszeichnung ergeben sich für strukturschwache Regionen wie das Westhavelland Vorteile für den Tourismus – zum Beispiel die Erschließung neuer Zielgruppen und die Verlängerung der Saison, weil sich der Herbst- und Winterhimmel zur Sternbeobachtung sehr gut eignet. Außerdem erhoffen sich die IDA und der Sternenpark Westhavelland durch die Nähe zu Berlin, dass viele Stadtbewohner von den dunklen Nächte angezogen werden. Darüber hinaus wollen sie Problembewusstsein für die weltweite Lichtverschmutzung wecken und vermitteln, wie faszinierend der Sternenhimmel ist.

Kompakt

· Durch die Lichtverschmutzung sind selbst von manchen Sternwarten lichtschwache Sterne nicht mehr sichtbar.

· In Mecklenburg-Vorpommern ist das anders. Der Naturpark Westhavelland ist Deutschlands erstes „Dark Sky Reserve“.

· Auch in der Eifel könnte es bald einen solchen Sternenpark geben.

Mehr zum Thema

Internet

Forschungsverbund zur Lichtverschmutzung: www.verlustdernacht.de

Definition Dark Sky Park: www.darksky.org/component/content/ article?id=86

Apps für Bürgerforscher, die helfen wollen, die Lichtverschmutzung zu dokumentieren: www.globeatnight.org

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Ab|gas|tur|bo|la|der  〈m. 3; Kfz〉 Vorrichtung zur teilweisen Verwendung des Abgases zur Vorverdichtung des Brennstoff–Luft–Gemisches im Auflader

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