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Aus der Traum

Technik|Digitales

Aus der Traum
Sonnenstrom aus der Sahara für Europa – daran glaubt heute kaum einer mehr. Doch südlich des Mittelmeers wird der Traum vom sauberen Wüstenstrom langsam Realität.

In in der Münchner Kaiserstraße werden Geschäftsräume in bester Lage frei. Die Desertec Industrieinitiative (DII) schließt dort ihr Büro. Fünf Jahre nach der Gründung ist der internationale Zusammenschluss von einst rund 50 Unternehmen am Ende. Die hinter „Desertec“ stehende Vision einer Energieallianz zwischen Europa und Nordafrika hatte 2009 für enormes Aufsehen gesorgt, es gab sogar eine Titelgeschichte dazu in bild der wissenschaft. Besonders erstaunlich war, dass Solarkollektoren in der Sahara, konzentriert auf ein relativ kleines Gebiet von der Fläche Großbritanniens, theoretisch genügen sollten, um den Strombedarf der ganzen Welt zu stillen.

Das hatten Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) berechnet. Sie lieferten damit die Basis für das Desertec-Konzept: Bis 2050 sollten Hunderte riesiger Solarkraftwerke in Nordafrika und im Nahen Osten so viel Strom aus Sonnenlicht gewinnen, dass sich damit nicht nur die Menschen dort versorgen, sondern zudem 15 Prozent des europäischen Stromverbrauchs speisen ließen – über Leitungen durchs Mittelmeer.

Ambitionierte Pläne beerdigt

In Hamburg wurde die Desertec Foundation gegründet, um für das Konzept zu werben. In München schlossen sich vier Dutzend Unternehmen zur DII zusammen, um Studien zu erstellen und konkrete Projekte zu erarbeiten. Doch inzwischen ist klar: So schnell wird kein Sonnenstrom aus der Sahara nach Europa fließen. Die hochfliegenden Pläne der DII wurden im Oktober zu Grabe getragen – und die Industrieinitiative löste sich nahezu in Wohlgefallen auf. Nur drei Unternehmen blieben bei der Stange: ein Energieversorger aus Saudi-Arabien, ein Netzbetreiber aus China und der deutsche Energiekonzern RWE. Sie wollen künftig Partner aus Nordafrika und Arabien bei Projekten zur Nutzung erneuerbarer Energien beraten.

Für Gerd Eisenbeiß kam diese Entwicklung nicht überraschend. „ Ich habe zwar die Desertec-Initiative bewundert – wegen ihrer visionären Natur“, sagt der Physiker, der in über 30 Jahren etliche leitende Positionen unter anderem im Bundesforschungsministerium, im DLR und am Forschungszentrum Jülich innehatte. „Doch die Initiative ist auf eine Schiene gelegt worden, auf der schon viele andere gestartet – und gescheitert – sind.“ Die Vorstellung, Energie für Europa in Afrika zu produzieren, kam jahrzehntelang immer wieder als Thema auf. „Schon in den 1970er-Jahren träumte man von Solarkraftwerken in Wüstenregionen“, berichtet Eisenbeiß, der die Entwicklung „ erneuerbarer Technologien“ maßgeblich mit vorangetrieben hat. „ Damals gab es auch die Idee, mit Solarstrom Wasserstoff herzustellen, um ihn nach Europa zu bringen.“ In Zentralafrika sollte Wasserstoff aus Wasserkraft erzeugt werden – an einem riesigen Staudamm im Kongo. Doch keine dieser Vorstellungen wurde realisiert. „Letztlich scheiterten alle Projekte an den hohen Kosten“, sagt der inzwischen pensionierte Forschungsmanager. „Und so ist es auch bei Desertec.“

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In Studien war die Rede von 400 Milliarden Euro, um die Idee zu verwirklichen. „Und wer bei diesen Summen von einer ‚ Investition‘ sprach, hatte nichts verstanden“, meint Eisenbeiß. Denn es ging dabei um einen längerfristigen Prozess. „Da sich aber die Investitionen nicht aus den normalen Strompreisen amortisieren würden, brauchte der Plan entweder staatliche Zuschüsse oder Garantien für dauerhaft überhöhte Strompreise, die in Nordafrika nicht zu realisieren sind.“

Die Europäer sollten zahlen

Daher, betont Eisenbeiß, musste man Europa in das Solarstrom-Konzept einbinden: „Die europäischen Verbraucher sollten für Strom aus Nordafrika einen überhöhten Preis zahlen – um zu ermöglichen, dass sich die eigentlich unwirtschaftlichen Solarkraftwerke und -netze dennoch rentabel betreiben lassen.“ Vorbild sollten Einspeisegesetze sein wie das deutsche EEG, um geschätzte Kosten von etwa 25 Cent pro Kilowattstunde mit den europäischen Börsenpreisen kompatibel zu machen.

Allerdings: „Es ließ sich kein Mäzen für das Projekt finden.“ Die EU-Länder waren dazu nicht bereit – zumal in Europa reichlich Fördermittel in den Aufbau einer dezentralen Stromversorgung aus Sonne, Wind und Biomasse fließen. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 hatte deren Ausbau Vorrang – ein teures Mammutprojekt wie Desertec stieß nicht mehr auf Begeisterung.

Den Unternehmen der Industrieinitiative bot sich keine Perspektive mehr für ein tragfähiges Businessmodell. Und der Arabische Frühling, der in Ägypten, Libyen und Tunesien die politischen Machtverhältnisse umkrempelte, verunsicherte die Firmen. „Es ehrt die Beteiligten, dass sie wieder mal versucht haben, die Vision vom Wüstenstrom für Europa zu verwirklichen“, sagt Eisenbeiß. „Doch sie hatten keine echte Chance.“ Das Grundkonzept hinter Desertec hält der Physiker aber weiter für sinnvoll – „sofern man sich darauf fokussiert, den Solarstrom in Nordafrika zu verbrauchen, statt ihn nach Europa zu leiten.“ Die Nutzung von Sonne und Wind biete eine exzellente Möglichkeit, die wachsende Bevölkerung sauber und klimaschonend mit ausreichend Energie zu versorgen. „Und ökonomisch ist es für die Länder lohnender, statt Solarstrom Öl oder Gas zu exportieren“, sagt Eisenbeiß.

Auch Claudia Kemfert sieht als vorrangiges Ziel, die Eigenversorgung in Nordafrika zu sichern. „Dazu auf erneuerbare Energien zu setzen, ist dort erschwinglich – zumal vor allem die Kosten für Photovoltaik- und Windkraftanlagen als Folge der deutschen Energiewende deutlich gesunken sind und weiter sinken werden“, sagt die Ökonomin und Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. „Allerdings ist das ein langfristiges Projekt.“

Industrieunternehmen, bei denen vor allem aktuelle Quartalsergebnisse zählen, haben dafür in der Regel nicht den nötigen langen Atem. Doch trotz der Rückschläge spricht Kemfert bei Desertec nicht von einem Scheitern. „Es war von Anfang an ein großes Missverständnis – in den Medien und vielleicht auch bei einigen Projektbeteiligten –, dass so ein visionäres Konzept in kurzer Zeit realisierbar sei“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Tatsächlich hat sich schon viel bewegt. So begann in Marokko 2013 der Bau eines riesigen Solarparks. Die Anlage, die die solarthermische Technologie nutzt, soll Ende 2015 in Betrieb gehen. Dann wird das Kraftwerk mit 160 Megawatt Leistung rund eine halbe Million Menschen mit Strom versorgen können. Bis 2020 will Marokko fünf solche Kraftwerke mit insgesamt 2000 Megawatt Leistung ans Netz bringen, um den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung des Landes auf über 40 Prozent zu steigern. Auch in anderen Ländern wie Algerien, Tunesien, Ägypten und Jordanien sind Solarkraftwerke geplant oder in Bau.

„Dass die Solarenergie im Sonnengürtel der Erde umfassend genutzt wird, ist eine historische und aus Klimaschutz-Gründen logische Entwicklung“, sagt Gerd Eisenbeiß. „Das wird so kommen.“ Claudia Kemfert ist sogar überzeugt, dass mittelfristig auch eine Kooperation zwischen Nordafrika und Europa wieder zum Thema wird. Das wäre für beide Seiten von Vorteil: In den stromproduzierenden Ländern würden die Kosten sinken, für die Europäer ließe sich die Abhängigkeit von Erdgas verringern und die Energie-Versorgungssicherheit verbessern. „Eine Verbindung von Europa und Nordafrika ist nicht tot“, meint die Energieexpertin.

Die Desertec-Initiative wird dazu nicht gebraucht. Auch die deutsche Industrie ist allenfalls als Zulieferer gefragt. Das Heft haben vor allem arabische Unternehmen in die Hand genommen. •

von Ralf Butscher

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Titelgeschichte von bild der wissenschaft 3/2009: „Sonnenstrom aus der Sahara“

Internet

Homepage der Industrieinitiative DII: www.dii-eumena.com/de/home.html

Desertec-Stiftung: www.desertec.org/de

DLR-Portal zu Desertec: www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10200

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