Fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung leiden unter einer Nahrungsmittelallergie. Am häufigsten sind Unverträglichkeiten von Nüssen, Kuhmilch oder Eiern. Aber auch Sellerie, Soja, Schwefeldioxid und andere Zutaten können das Immunsystem gegen den eigenen Körper aufbringen. Bis heute können Lebensmittelallergiker nicht kuriert werden. Derzeit wird eine Immuntherapie erprobt, bei denen die Betroffenen kleinste Mengen des Nahrungsmittels zu sich nehmen, das sie nicht vertragen. Die Dosis wird so gewählt, dass gerade keine Beschwerden auftreten. Nach den bisherigen Beobachtungen wird das Immunsystem so im Laufe der Zeit unempfindlicher; das Lebensmittel wird etwas besser vertragen.
Bis zu einer wirkungsvollen Therapie besteht die einzige Chance für Betroffene darin, die bedenklichen Zutaten konsequent zu meiden. Das klappt allerdings oft mehr schlecht als recht. Da Lebensmittelbetriebe viele Produkte in ein- und derselben Fertigungsstraße verarbeiten, werden Nüsse in Schokolade verschleppt, die eigentlich gar keine Nüsse enthalten soll, gelangen Eier in Nudeln, die eigentlich ohne Ei zubereitet wurden und Milcheiweiß in Wurst, bei der niemand damit rechnet.
Diese Kreuzkontaminationen sind es, die das Essen für Allergiker zum riskanten Abenteuer machen. Teils wird pauschal vor der potenziellen Gefahr gewarnt, teils fehlt aber auch jeglicher Hinweis. So entdeckten niederländische Forscher um Geert Houben von der Universitätsklinik Utrecht undeklariertes Milcheiweiß in Schokostreuseln. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart wies sogar in eifrei gekennzeichneten Nudeln Ei nach. Die größte Tücke steckt aber in der Wurst, prangert die Behörde an: 31 von 100 Proben enthielten potenziell allergieauslösenden Senf. In 14 war Sellerie zu finden. In 6 Wurstsorten stießen Mitarbeiter auf Milcheiweiß und Soja.
Bislang müssen die Hersteller unbeabsichtigt ins Lebensmittel gelangte Allergene nicht auf dem Etikett nennen. Etliche Überwachungsbehörden prangern das an. Firmen und Forscher diskutieren nun über einen Schwellenwert, ab dem alle Inhaltsstoffe angegeben werden müssen. Aus Experimenten mit Allergikern ist bekannt, dass diese zwischen 0,25 und 10 Milligramm je Kilogramm Erdnuss im Lebensmittel erste Beschwerden bekommen. Bei Milcheiweiß entwickeln sich die Symptome zwischen 0,36 bis 3,6 Milligramm je Kilogramm. Doch diese Daten, die die amerikanische Food and Drug Administration zusammengetragen hat, geben keine hundertprozentige Gewähr, erklärt Stefan Vieths, Allergieforscher und Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen: „Es gibt immer hochsensible Betroffene, die vielleicht schon bei niedrigeren Mengen reagieren.“ Im EU-Projekt EuroPrevall war die Haut von einem unter 110 Kindern bereits bei 0,003 Milligramm Milcheiweiß mit roten Quaddeln übersät.
„Eine absolute Untergrenze lässt sich höchstwahrscheinlich nicht ermitteln“, resümiert Vieths. Sehr wohl ließe sich aber ein Schwellenwert angeben, der den meisten Betroffenen Schutz bietet. „Unter einem Milligramm Allergen je Kilogramm Lebensmittel sind noch keine schweren Symptome aus wissenschaftlich belastbaren Studien berichtet worden“, erklärt Vieths. Dieser Grenzwert könnte daher vor gravierenden Nebenwirkungen, eben auch Todesfällen, bewahren, obwohl er keinen unbeschwerten Genuss garantiert. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund und die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) machen sich für diesen vorsorglichen Schwellenwert stark.
Die Industrie reagiert gespalten auf Schwellenwerte. Großen Firmen begrüßen die klare Vorgabe, denn dann müssten sie sich nicht auf die „Kann-Deklaration“ stützen. Kleinere Betriebe mangelt es dagegen an Ressourcen, um Schwellenwerte einzuhalten. Sie fürchten einen Wettbewerbsnachteil. Ihre größte Angst: Supermarktketten könnten solche Produkte aus dem Sortiment nehmen.
Wie aufwendig es ist, Kekse mit garantiert weniger als einem Milligramm Haselnuss je Kilogramm zu backen, hat Vieths mit seinem Team in einem Forschungsprojekt demonstriert. Eine Woche legten die Wissenschaftler in einem mittelständischen Backbetrieb die Arbeit in einer Fertigungsstraße stundenweise lahm. Mit heißem Wasser und mechanischer Reinigung kann die Anlage aber so gründlich gesäubert werden, dass die danach gebackenen Kekse weniger als ein Milligramm je Kilogramm Haselnuss enthalten.
Allerdings gelang die Produktion allergikertauglicher Kekse nur, wenn zuvor gemahlene Haselnüsse verarbeitet wurden. Nussstücke setzten sich in den Kesseln ab und verhakten sich in den Winkeln der Anlage. Sie konnten mit der Reinigung nicht zuverlässig entfernt werden. Dann trug einer unter Tausenden Keksen die widerspenstigen Nussreste im Teig. Äußerst bedenklich für Allergiker. „Das Problem ist nicht trivial“, schließt Vieths. Er befürchtet, dass Allergiker deshalb wohl noch eine Weile mit der unklaren Bedrohung durch die „Kann-Deklaration“ leben müssen.