Was haben Bauernkinder anderen voraus? Diese Frage nimmt Forscher seit geraumer Zeit in Beschlag. Sie nehmen an, dass der Kontakt mit Tieren günstig ist. Tatsächlich senkt das Zusammenleben mit Schweinen, Kühen und anderem Vieh das Risiko, wie mehrere Studien ergaben. Günstig ist auch, wenn schon die Schwangerschaft auf einem Gehöft verbracht wird. Und: Unpasteurisierte Milch senkt das Risiko nachweislich.
Ein buntes Bild, für das sich eine gemeinsame Erklärung aufdrängt. Mikroben müssen eine Rolle spielen. Sie haften an Tieren, leben auf Bauernhöfen und in der Milch. Schon 1989 stellte der Londoner Epidemiologe David Strachan die Hygienehypothese auf, wonach Infektionen und der Kontakt mit Unhygienischem vor Allergien schützen. Man dachte an Krankheitserreger, die das Immunsystem zu echter Abwehr veranlassen.
„Das ist absoluter Blödsinn“, findet von Mutius deutliche Worte. Die Hygiene-Hyopthese wurde vielfach falsch verstanden, stellt sie klar: „Es geht nicht um einzelne Krankheitserreger. Wichtig ist der dauerhafte Kontakt mit dem gesamten Spektrum an Umweltmikroben, von denen nur ein sehr kleiner Teil krankmachend ist.“
Es kristallisiert sich nämlich mehr und mehr heraus, dass harmlose Umweltmikroben das reifende Immunsystem prägen. Das beginnt schon im Mutterleib und setzt sich in den ersten Lebensjahren fort. Bestimmte Bakterien aktivieren bei Mäusen und bei isolierten menschlichen Zellen das angeborene Immunsystem und bauen einen Schutz vor Allergien auf, berichtet von Mutius. Zum Beispiel wurden aus Kuhställen die beiden Bakterienspezies Lactobacillus lactis und Acinetobacter lwoffii isoliert.
Der Schutz setzt dabei schon in der Schwangerschaft ein, wie Harald Renz von der Universität Marburg aufdeckte. Er träufelte trächtigen Mäusen Acinetobacter lwoffi in die Nase und konnte so deren Nachkommen vor Asthma und vor Allergien gegen Hühnereiweiß schützen.
Das Immunsystem erkennt die Bioaerosole, also die luftgetragenen Mikroben, an bestimmten Oberflächenmolekülen und bringt anschließend die Kaskade in Gang, die das Immunsystem stumpfer macht und damit für einen Schutz vor Allergien sorgt. „In einer mikrobenreichen Umwelt macht die fortdauernde Einwirkung von Mikrobenbestandteilen über die Atemwege, über die Haut und den Verdauungstrakt das Immunsystem toleranter“, bringt es der Allergiespezialist Tari Haahtela vom Universitätsklinikum in Helsinki auf den Punkt.
Gerade den Mikroben in der Luft wird dabei neuerdings eine große Bedeutung beigemessen: „Von vielen krankmachenden Erregern wissen wir, dass sie eingeatmet viel, viel stärker wirken“, erläutert Bioaerosolforscherin Mariane Geiser von der Universität Bern. Außerdem zirkulieren in den Städten andere Mikroben und auch 1.000- bis 10.000-mal weniger als in der Landluft. Das könnte den starken Stadt-Land-Unterschied in der Allergiehäufigkeit ausmachen.
Die Forscher fangen jedoch gerade erst an, die natürliche mikrobielle Vielfalt der Luft zu erschließen. Geiser kann erste Ergebnisse präsentieren: Auf dem Land wehen weitaus mehr Pollen, in der Stadt kursieren mehr Viren. Sie stellte die Stadtluft im Labor nach, indem sie Sporen des Beutelstäublings mit Goldnanoteilchen verwirbelte. Beide verklumpten und landen gemeinsam in den Fresszellen der Lunge, entdeckte Geiser. Goldnanoteilchen alleine werden dagegen nicht in die Zellen aufgenommen.
Die Forscherin vermutet deshalb, dass die Nano-Anhängsel das Allergiepotenzial bestimmter Bioaerosole wie etwa von Pollen erhöhen. „Wenn Nanoteilchen auf diesem Weg Allergien verschlimmern, könnte man umgekehrt aber wahrscheinlich auch die positive Wirkung guter Bioaerosole auf diese Weise verstärken“, glaubt Geiser. Nanoteilchen beladen mit Lactobacillus lactis könnten dieser Idee zufolge das Immunsystem ausbalancieren und vor Allergien bewahren, wenn sie eingeatmet werden. Ob Stadtkinder künftig einen Inhalator mit konzentrierter Landluft bei sich führen? „Fakt ist, dass die Natur uns vormacht, wie es ohne Allergien geht“, sagt von Mutius. „Wir müssen aber erst richtig heraus bekommen, wie sie das anstellt. Dann können wir dem begegnen.“