Mit einem Mal interessierten sich nebst den Ökologen auch Mediziner für die fliegenden Säuger: Kürzlich wies Drostens Team in afrikanischen Flughunden Hendra- und Nipahviren nach, die in Australien und Asien schwere Hirnhautentzündungen verursachen. Die Mitarbeiter tragen Handschuhe und Mundschutz, wenn sie einem zappelnden Tier Blut abnehmen.
Der Bonner Virologe hat sogar Indizien dafür gesammelt, dass die Erkältungsviren vor 200 Jahren aus Fledermäusen ihren Weg in den Menschen fanden und womöglich mit einer SARS-ähnlichen Erkrankungswelle über die Menschheit hereinbrachen. Bislang hielt man die Schnupfenerreger für jahrtausendealte Begleiter. Dass sie ein relativ junger Neuzugang sind, würde indes erklären, warum das Immunsystem noch immer nicht in der Lage ist, einen dauerhaften Schutz aufzubauen. So trieft die Nase oder kratzt der Hals alle paar Monate von neuem.
„Die Fledermäuse sind eine große Durchreichstation für Krankheitserreger“, fasst Drosten zusammen. „Wir haben sie unterschätzt.“ Er rechnet fest damit, dass eine Reihe von bedeutsamen Viren, deren Ursprung noch nicht geklärt ist, auf die Tiere zurückgeführt werden kann.
Was sich in Zwei- und Vierbeinern tummelt, kann auch den Menschen krank machen, so viel war klar. Diese Krankheiten tierischen Ursprungs, die Zoonosen, werden immer wichtiger. Die Forscher klammerten sich gleichwohl an Mücken als Überträger von Krankheitserregern oder sie klopften Nutztiere auf Gefahren für neue Seuchen ab. Wildtiere kamen den Experten kaum in den Sinn, am allerwenigsten Fledertiere, gerade weil sie in den Industrieländern ein Leben im Verborgenen führen.
Im Nachhinein fällt es den Infektionsforschern wie Schuppen von den Augen. Fledermäuse sind wie der Mensch Säugetiere und Warmblüter. Ihr Stoffwechsel ist relativ ähnlich. Sie stehen sich insofern genetisch wesentlich näher als Huhn und Homo sapiens. Damit können auch ihre Bewohner leicht den Wirt wechseln.
Fledertiere sind noch dazu die zweitgrößte Säugetierordnung nach den Nagern. 1.100 verschiedene Arten kennen Zoologen von Hammerkopfflughunden mit drollig kugelrunden Augen bis hin zum kleinen Abendsegler in braunem Fell und mit überdimensional großen Ohren. „Sie sind nicht selten, wir sehen sie nur nicht, weil sie nachts fliegen“, hakt Drosten nach. „Das sind fliegende Großstädte.“ In Schwärmen von bis zu drei Millionen Tieren übersähen sie in Afrika und Asien des Nachts den Himmel.
Wie die Viren jedoch auf den Menschen übertragen werden, ist eines der großen ungelösten Rätsel. Vieles scheint denkbar: Vielleicht scheiden die Tiere die Erreger mit dem Urin aus. Bei Hendra- und Nipaviren wies Drosten das nach. Über verunreinigte Flächen und Nahrung könnten sie in den Menschen dringen.
In Afrika werden die Fledermäuse täglich in großer Zahl als „Bushmeat“ an Straßenständen zum Verkauf angeboten. Auch das könnte ein Übertragungsweg sein. Möglich wäre auch, dass fruchtfressende Fledermäuse die Erreger mit ihrem Speichel weiterreichen. In aller Regel fressen sie die Früchte nicht auf, sondern knabbern sie nur an. Menschen verzehren dann beispielsweise angebissene Feigen und so gelangen die Viren in ihrem Körper.
Bei alledem liegt Drosten eines sehr am Herzen: „Nicht, dass es jetzt heißt: Man darf nicht mehr in den Wald gehen. Man muss die Fledermäuse ausrotten. Das wäre fatal.“ Denn die Tiere, so zahlreich sie sind, haben eine ausgesprochen wichtige Rolle im Ökosystem. Bäume würden in Afrika über Nacht kahl gefressen, wenn die fliegenden Säuger die Schadinsekten nicht vertilgen würden, demonstrierte die Ökologin Elisabeth Kalko von der Universität Ulm in einem Experiment. „Auch bei uns steigen die Blattschäden dramatisch an, wenn wir Bäume auf der Schwäbischen Alb von Fledermäusen abschirmen.“ Auch die Zahl der Moskitos in Afrika würde ohne die Fledermäuse explodieren. Die Malariaplage würde unvorstellbare Ausmaße annehmen. Sogar die Landwirtschaft könnte zusammenbrechen. Beispielsweise kann nur dann Sheabutter geerntet werden, eine wichtige Zutat für Kosmetika, wenn Flughunde in Scharen die Bäume bestäuben, erklärt Kalko.