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Spitzenforschung im Kleinformat

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Spitzenforschung im Kleinformat
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Riesenhafte Geräte, milliardenschwere Forschung: Beim LHC in Genf geht ohne viel Geld und internationale Kooperationen gar nichts. Foto: wikipedia.de, Creative-Commons-Lizenz
Die größte Maschine der Welt kostet drei Milliarden Euro und ist derzeit kaputt: Der Large Hadron Collider (LHC) genannte Teilchenbeschleuniger in Genf sollte eigentlich längst Atome und andere Teilchen aufeinanderschießen und neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie liefern. Doch nach einem Defekt im Kühlsystem wird der fast 30 Kilometer lange, unterirdische Ring wohl erst in einigen Monaten die ersten Messdaten liefern. Für die Teilchenphysik sind solche Experimente unverzichtbar – dennoch entdecken immer mehr Physiker die Chancen, die auch die Arbeit in überschaubaren Teams in kleinen Labors für die Spitzenforschung bieten kann. Es ist mehr als ein vorsichtiger Anfang: Bei der Nanoforschung oder der Untersuchung ultrakalter Atome scheinen solche vergleichsweise billigen sogenannten Table-Top-Experimente die Physik derzeit sogar schon zu dominieren, berichtet das Wissenschaftsmagazin „bild der wissenschaft“ in seiner Oktoberausgabe.

In den Labors des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart beispielsweise wird Spitzenforschung an Nanoteilchen aus Kohlenstoff betrieben. Die Stuttgarter Physiker arbeiten mit sogenanntem Graphen, dessen Herstellung überraschend simpel ist: Auf ein Klötzchen Kohlenstoff wird ein ganz gewöhnliches, durchsichtiges Klebeband gepresst und wieder abgezogen. An dem Band haftet dann eine Kohlenstoffschicht, die aus genau einer Lage von Atomen besteht und sich für eine Fülle von Experimenten eignet.

Dass der simple Trick mit dem Klebeband funktioniert, hat der niederländische Physiker Andre Geim erst 2004 entdeckt, was seither Forschergruppen in aller Welt dazu animiert hat, mit Graphen zu experimentieren. Die Möglichkeiten des Materials sind vielfältig. Da das Material Elektronen schneller leitet als das heute in Halbleitermaterialien eingesetzte Silizium, könnte Graphen die Elektronik revolutionieren. Doch um die Eigenschaften des Materials zu ergründen, müssen Physiker ihr ganzes Wissen über Festkörper und aus der Quantenphysik aufbieten. Da sich die Ladungsträger in dem Material nur in einer Schicht bewegen können, ist Graphen „das ultimative zweidimensionale Elektronensystem“, schwärmt der Stuttgarter Max-Planck-Forscher Jurgen Smet.

Mit Graphen ließen sich Halbleiter herstellen, deren elektrische Eigenschaften sich durch das Aufbrechen einzelner Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen ganz gezielt manipulieren lassen. Wegen der höheren Leitfähigkeit könnten zudem schnellere Mikrochips gebaut werden und elektrische Schaltkreise, die höhere Stromstärken aushalten.

Die Kosten für die Forschung mit solchen Versuchsaufbauten liegen in der Größenordnung von einigen Hunderttausend Euro – minimal im Vergleich zu den Milliarden, die für internationale Großprojekte wie dem LHC-Teilchenbeschleuniger aufgebracht werden müssen. Mit allen beteiligten Instituten und Universitäten sind an diesem Experiment weltweit rund 10.000 Wissenschaftler beteiligt. Trotz dieser großen Zahl kostet das Experiment pro Forscher noch immer rund eine halbe Million Euro. „Schade um das Geld und den Intellekt der jungen Leute“, kommentiert dies der bekannte Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger in „bild der wissenschaft“.

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Auch Zeilinger steht mit seinen Projekten an der Spitze der Forschung, doch kostet jedes seiner Experimente nur etwa eine halbe Million Euro und bietet Arbeit für sechs Forscher. Jeder der meist jungen Wissenschaftler muss den gesamten Versuchsaufbau beherrschen. „Eine bessere Ausbildung gibt es nicht“, erklärt der Wissenschaftler, der mit seinen Experimenten zum „Beamen“ von Quanteninformation weltweit von sich reden gemacht hat. Nicht zuletzt deshalb ist der Wissenschaftler ein Anhänger dieser Table-Top-Experimente, die vergleichsweise billig sind und die Forschung dennoch voranbringen können – vor allem, wenn anwendungsorientierte Projekte darunter sind.

In der Fülle unterschiedlicher Experimente sieht der Wissenschaftler die große Chance dieses Ansatzes: Wenn von 100 Projekten zwei so spektakulär sind, dass sie die Kosten der übrigen 98 wieder hereinspielten, sei das ja bereits ein Gewinn. „Wir sollten mehr ungewöhnliche Forschung unterstützen“, wirbt Zeilinger in „bild der wissenschaft“ für eine Vielfalt in der Forschung, die nicht zugunsten einzelner Großprojekte geopfert werden sollte.

Wohin künftig in der Spitzenforschung die Reise gehen wird, darüber machen sich auch andere Wissenschaftler an der Spitze von Forschungseinrichtungen ernsthafte Gedanken. Allen Caldwell, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München, das auch Experimente für den LHC ausgetüftelt hat, etwa fragt sich: „Wenn die Hochenergiephysik eine Zukunft haben soll, muss der LHC eine neue Entdeckung bringen oder eine neue Technologie für kleine Beschleuniger.“

Es wird auch in Zukunft eine Gratwanderung bleiben, denn auf der anderen Seite weisen Physiker darauf hin, dass auf Dauer ausschließlich mit billigen Versuchsaufbauten auch kein Blumentopf zu gewinnen ist: „Ist die Wiese erst einmal abgegrast, wird der Aufwand steigen“, wendet etwa Jurgen Smet in „bild der wissenschaft“ ein. Die die Stuttgarter Max-Planck-Forscher haben bereits die Konsequenz gezogen: Mehrere Hunderttausend Euro haben sie nun ausgegeben, um mit ihrem Labor bei der Erforschung des Graphens weiterhin an vorderster Front mitmischen können.

ddp/wissenschaft.de – Ulrich Dewald
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