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Zweiter Tank oder neuer Katalysator?

Technik|Digitales

Zweiter Tank oder neuer Katalysator?
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Für die Abgaswerte gelten seit 1. September noch strengere Grenzwerte. Foto: Tusanero, wikipedia.de,
Seit 1. September müssen Autos sauberer sein. Die Grenzwerte für Schadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide wurden zu diesem Stichtag zum vierten Mal in Folge deutlich gesenkt. Die Autobauer haben ihre Hausaufgaben für diese Runde erledigt und brüten schon angestrengt über der nächsten Lektion, die ihnen von der Politik aufgetragen wurde.

“Die Grenzwerte ab ersten September sind kein Problem mehr. Man denkt aber jetzt fieberhaft über die bereits bekannt gegebene Verschärfung ab 2014, die so genannte Euro-Norm 6, nach”, sagt Friedrich Dinkelacker vom Institut für Technische Verbrennung der Universität Hannover. Die Euro-Norm 6 ist nämlich eine wirklich harte Nuss. Die Stickoxidwerte für Dieselfahrzeuge werden nochmals mehr als halbiert. Ein Patentrezept gibt es nicht. Vielmehr liefern sich derzeit zwei Techniken ein Kopf-an-Kopf-Rennen, berichtet Dinkelacker.

Mercedes, Volkswagen und Audi setzen auf Harnstoff, einen der Hauptbestandteile im Urin, um ihre Autos umweltfreundlicher zu machen. Die Flüssigkeit wird aus einem zweiten Tank in den Abgasstrom eingespritzt und in Ammoniak umgewandelt, ein stechend riechendes Gas. Im Katalysator trifft die Chemikalie auf die Stickoxide, die dabei in unbedenkliches Wasser und Stickstoff zerlegt werden. Beides sind natürliche Bestandteile der Luft.

In Europa bietet Audi als einziger Hersteller die Technik seit kurzem in seinem TDI-Modell Q7 an. Volkswagen und Mercedes tasten sich auf dem US-Markt vor. Viele Tankstellen in Deutschland bieten die Harnstofflösung mittlerweile in Kanistern oder an der Zapfsäule an. Moderne Lastwagen pusten schon seit 2005 dank des Zusatzes neunzig Prozent weniger Stickoxide in die Luft. “In diesem Sektor hat sich die Harnstoffeinspritzung durchgesetzt”, bemerkt Michael Wittler, Motoringenieur an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.

Doch die Forscher und Entwickler hängen nicht uneingeschränkt dieser Technologie an, denn diese hat auch Nachteile. Bei jedem oder jedem zweiten Stopp müssen die LkW-Fahrer den Zusatztank füllen. “Das kann man den PkW-Fahrern nicht unbedingt zumuten. Das Nachfüllen sollte günstigstenfalls durch die Werkstatt bei der Inspektion erledigt werden”, so Wittler.

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Daneben beansprucht der zweite Tank Platz. Das Gewicht des Wagens steigt, der Spritverbrauch ebenfalls. Dinkelacker gibt außerdem zu bedenken: “Es gibt besondere Herausforderungen in Bezug auf die Beständigkeit und Langlebigkeit des Systems. Es muss Erschütterungen und Temperaturschocks standhalten. Das ist lösbar, bringt aber zusätzliche Komplexität hinein. Das merken Sie massiv im Kaufpreis – einige tausend Euro macht das aus.”

Auch deshalb favorisieren andere Autobauer den Speicherkatalysator. Dabei werden die Stickoxide zunächst in Nitrat umgewandelt und im Katalysator gebunkert. Sobald dieser nach einigen Minuten belegt ist, wird er regeneriert, indem Nitrat und Stickoxide bei hohen Temperaturen aufeinandertreffen. Das Umweltgift wird unschädlich gemacht. Übrig bleibt harmloser Stickstoff.

“Der Wirkungsgrad ist tendenziell etwas niedriger als bei der Harnstoff-Technologie. Es ist aber eine größere Herausforderung, das System zu steuern, damit der Kunde die Umstellung zwischen Speichern und Entgiften nicht bemerkt. Es soll beispielsweise nicht rucken und nichts zu hören sein”, erklärt Wittler. Als Vorteil sieht er dagegen, dass kein zweiter Tank eingebaut werden muss. Die Technik ist für den Fahrer unsichtbar.

Mit dem Kleinwagen Lupo bewies Volkswagen bereits vor Jahren, dass der Speicherkatalysator für die Straße taugt. Allerdings wurde die Produktion des Fahrzeugs 2004 eingestellt. Doch andere Hersteller wie Toyota griffen die Technik auf. Seit kurzem fährt auch die Großraumlimousine Renault Espace damit sauberer.

Bleibt die Frage, ob die Harnstofftechnologie oder die Speicher-Variante das Rennen machen wird. “Das ist schwer vorherzusagen”, zögert Dinkelacker und mutmaßt, dass die jüngere Harnstoffmethode in Zukunft zwar das größere Potenzial entfalten könnte, aber mit dem Speicherkatalysator schlichtweg mehr Erfahrung vorliegt.

Unabhängig davon – und damit ist er nicht alleine – rechnet er mit einer zunehmenden Zweiteilung des Marktes. Der Trend zum Kleinwagen werde sich fortsetzen. In diesen Autos wird es tendenziell weniger Technik geben, damit die Fahrzeuge preiswert bleiben, glaubt Dinkelacker. Hightech gegen Umweltgifte werde sich darin nicht rechnen. Dagegen wird sich bei Limousinen und Langstreckenfahrzeugen auch künftig der Aufwand für die Abgasnachbehandlung lohnen.

Neben der Stickoxidfracht müssen Autobauer künftig auch den Kohlendioxidausstoß und damit den Verbrauch von Benzin oder Diesel ihrer Flotte drosseln, weil das Gas zur Erderwärmung beiträgt. Doch die Reinigungstechniken treiben den Spritverbrauch in die Höhe, so Dinkelacker: “An einem gewissen Punkt wird man entscheiden müssen, was wichtiger ist, weniger Stickoxide oder weniger Kohlendioxid.”

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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