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Auf der Suche nach dem Superhirn für alle

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Auf der Suche nach dem Superhirn für alle
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Das menschliche Gehirn ist unter bestimmten Bedingungen zu extremen Höchstleistungen fähig. Foto: public domain
Einige wenige Menschen auf der Welt haben geistige Fähigkeiten, die Hirnforscher vor Rätsel stellen: Sie haben ein unglaubliches Gedächtnis und kennen ganze Bücher auswendig, bringen sich über Nacht das Klavierspielen bei oder können Großstädte perfekt nachzeichnen, die sie nur ein einziges Mal gesehen haben. Savants oder Inselbegabte nennen Wissenschaftler diese Menschen, die in einem bestimmten Teilbereich außergewöhnliche Leistungen vollbringen, in anderen Gebieten jedoch Symptome einer geistigen Behinderung zeigen. Neurowissenschaftler interessieren sich nicht zuletzt für diese Menschen, weil sie sich erhoffen, dass auch normal begabte Menschen einmal Zugriff auf solche außergewöhnlichen Fähigkeiten haben könnten.

Die extremen Begabungen von Savants stehen meistens in starkem Kontrast zu starken geistigen, sozialen oder körperlichen Einschränkungen. Einer der bekanntesten Savants, der Amerikaner Kim Peek, hat zwar ein immensens Gedächtnis und kennt Bücher von A bis Z nach einmaligem Lesen auswendig, kann jedoch nicht für sich selbst sorgen. Von diesen sogenannten erstaunlichen Savants wie Kim gibt es nur etwa hundert auf der Welt.

Ihnen gegenüber stehen die talentierten Savants, die zwar nur leicht überdurchschnittliche Leistungen vollbringen, welche jedoch in Anbetracht ihrer geistigen Behinderung bemerkenswert sind. Besonders viele talentierte Savants finden sich unter Menschen mit autistischen Störungen. Schätzungen zufolge haben rund zehn Prozent aller Autisten savantartige Fähigkeiten. Umgekehrt sind etwa 50 Prozent aller Inselbegabten Autisten: Viele Wissenschaftler sehen deshalb im Verständnis der autistischen Störung einen Schlüssel zum Geheimnis des Savant-Syndroms.

Seit über 40 Jahren beschäftigt sich der amerikanische Psychiater Darold Treffert mit Autisten und mit Savants. Bedeutend ist für ihn die Tatsache, dass alle Savants besondere Fähigkeiten haben, die in der rechten Hirnhälfte verarbeitet werden, häufig im musischen oder zeichnerischen Bereich. Dagegen ist die linke Hirnhälfte bei den meisten Savants geschädigt.

Auch bei einer überwiegenden Zahl der Autisten hat die linke Hirnhälfte Funktionsstörungen, und genau darin sieht Treffert die Verbindung zwischen Savants und Autisten. „Wahrscheinlich kompensiert bei diesen Menschen die rechte Hirnhälfte, was die linke nicht leisten kann“, meint er. Für ihn liegen die wesentlichen Bestandteile der Superbegabungen deshalb in einer Verstärkung bestimmter Hirnregionen, einer neuen Verdrahtung von Gehirnverbindungen und dem Befreien von versteckten Fähigkeiten.

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Die Ursachen dieser Funktionsstörung sieht Treffert in einer Unterentwicklung der linken Hirnhälfte, wie sie durch die immer häufiger auftretenden Entwicklungsstörungen im Mutterleib oder aufgrund von Frühgeburten entstehen kann. „Die linke Hirnhälfte entwickelt sich langsamer und ist deshalb anfälliger für Störungen“, sagt er. Diese könnten verschiedene Bereiche des Gehirns betreffen, und deshalb seien die Talente von Savants breit gestreut und unterschiedlich stark ausgeprägt.

Nicht die Ursachen, sondern die Mechanismen in Superhirnen untersuchen Forscher an der Universität Tübingen. Zwei Jahre lang haben sie die Gehirnströme von autistischen Savants mit jenen von gesunden Versuchspersonen verglichen bei einer Aufgabe, die als Kalenderrechnen bezeichnet wird. Die Versuchspersonen müssen dabei zu einem gegebenen Datum möglichst schnell den zugehörigen Wochentag nennen. Diese Fähigkeit ist bei vielen autistischen Savants stark ausgeprägt.

Mit reinem Auswendiglernen seien solche Aufgaben kaum zu bewältigen, erläutert der Tübinger Neurobiologe Nils Birbaumer den Hintergrund seiner Studie. Vielmehr seien die Netzwerke für schnelle Informationsverarbeitung bei Savants vermutlich so gestärkt, dass sie auf kleinste und kürzeste Signale reagieren könnten. Bei Savants erfolge zwar die frühe Informationsverarbeitung, die in den ersten 100 Millisekunden stattfindet, extrem schnell, dafür bleibe sie nachher jedoch hängen. „In den Gehirnen dieser Menschen bleiben Eindrücke wie fotografische Bilder stecken“, sagt Birbaumer. „Sie nehmen unglaublich viel Information in kürzester Zeit auf, können sie aber nicht bewusst verarbeiten und sie deshalb auch nicht einordnen und Kategorien bilden.“

„Wahrscheinlich stecken in jedem von uns solche Fähigkeiten, man müsste sie nur trainieren“, meint Birbaumer und weist damit auf einen Trend hin, der sich auch in verschiedenen Forschungsprojekten spiegelt. In Australien haben Forscher bereits versucht, Menschen so zu manipulieren, dass sie ähnlich außergewöhnliche Leistungen vollbringen wie Savants. Die Experimente sind jedoch umstritten, da dabei die Gehirne der Probanden mit Magnetfeldern verändert werden. Den Probanden werden Spulen aufgesetzt, die dabei gezielt gewisse Hirnregionen für eine gewisse Zeit beeinträchtigen.

Als erster führte Allan Snyder, Direktor des Centre for the Mind in Sydney, solche Experimente durch. Einer seiner Probanden berichtet, wie erstaunt er war, als er nach dem Experiment seine eigenen Zeichnungen kaum wiedererkennen konnte. In ähnlichen Experimenten, die die Australische Psychologin Robyn Young mit ihrem Team durchführte, konnte sie bei fünf von siebzehn Probanden ebenfalls savantartige Fähigkeiten während des Versuchs feststellen. Die Versuchspersonen entwickelten ihnen bisher unbekannte Fähigkeiten im Rechnen, Zeichnen und Erinnerungsvermögen. Ob sich jedoch tatsächlich die Gehirne von Normalbegabten dauerhaft zu Superhirnen boosten lassen, ist jedoch fraglich.

ddp/wissenschaft.de – Stefanie Strauch
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