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Wenn Hunde Frieden stiften

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Wenn Hunde Frieden stiften
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Tiere wie beispielsweise Zwergspaniel können helfen, Aggressionen abzubauen. Bild: GNissen, wikipedia (GNU-Lizenz)
Die tiergestützte Therapie unter Gefangenen ist nach einer unveröffentlichten Studie wirksamer als klassisches Antiaggressionstraining. Während Lehrer und Therapeuten oft nicht an die Jugendlichen herankommen, können Tiere Türen öffnen und das soziale Miteinander indirekt beeinflussen. Aus diesem Grund streifen auch in Schulen immer mehr Hunde umher.

Der Streit zwischen den Jugendlichen eskaliert, Fäuste prallen aufeinander. Ein Hund, bis dahin passiver Zeuge des Geschehens, rast davon und kauert sich unter einem Tisch zusammen. Die Streithähne schauen erschrocken auf das hysterisch flüchtende Tier und halten vor Erstaunen in der Prügelei inne. Der Zwergspaniel will nichts mehr von ihnen wissen, auch als die Jugendlichen ihn später unter dem Tisch hervorlocken wollen.

Diese Szene aus der Jugendvollzugsanstalt Neustrelitz wird Donatha Wölk nie vergessen. Von 2004 bis 2007 bot die Sozialarbeiterin und Dozentin für tiergestützte Therapie dort „soziales Lernen mit Hunden“ an. „Die Jungen haben selbst gesehen, was Gewalt anrichten und kaputt machen kann“, erklärt sie zu dem Vorfall, den sie auch mit den Häftlingen besprochen hat.

Nur selten tauchen in Deutschland Tiere in Gefängnissen auf, häufiger schon an Schulen, um das soziale Miteinander zu fördern. Die Erfahrungen in den Haftanstalten wurden in der Vergangenheit kaum wissenschaftlich ausgewertet. Doch die tiergestützte Therapie scheint anderen Methoden haushoch überlegen zu sein, hat der Berliner Psychologe Daniel Maennle beim Vergleich der Entwicklung der inhaftierten Jugendlichen in Neustrelitz vor und nach der Therapie herausgefunden. Einige hatten Wölks Kurs besucht, andere wählten Antiaggressionstraining, wieder andere bildeten Blindenhunde aus. Eine vierte Gruppe blieb dem Unterricht fern.

„Das Erstaunlichste war für mich“, sagt Wölk, „dass die Jugendlichen sofort Kontakt zu mir aufnahmen.“ Gefangene lehnen oft Lehrer, Sozialarbeiter und Therapeuten ab. Wölk fragen sie indes, wie ihre Hunde heißen oder ob sie die Tiere anfassen dürfen. Über den Collie und den Zwergspaniel können die Jungen unverfänglich reden, ohne etwas von sich preiszugeben. „Die Vierbeiner bauen mir eine Brücke“, so Wölk.

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Wölks Kurse sind ausgebucht, die Teilnehmer kommen freiwillig. Sie will den Häftlingen Zwischenmenschliches näher bringen. Respekt, Regeln, Teamarbeit, Freundschaft und den Umgang mit Angst. Alles erklärt Wölk zunächst am Hund. Hatte schon einmal jemand Furcht vor einem Vierbeiner oder das Tier vor dem Menschen? „Am Ende spricht man automatisch über den Menschen und die Gesellschaft“, sagt sie.

Anstrengend sei die Arbeit gewesen, aber sie habe sie geliebt, meint Wölk. Zwischenfälle blieben allerdings nicht aus. Ein auffälliger Jugendlicher, laut polternd, groß und breitschultrig, alles für sich einnehmend, hielt es beispielsweise nicht aus, als der Zwergspaniel auf dem Schoß eines schüchternen Jungen saß. „Ich will den Hund.“ Ein Ausruf der Entschlossenheit und ein ebensolcher Auftritt. Der Hund verkroch sich sofort unter dem Stuhl. „Da waren wir schon beim Thema Angst“, sagt Wölk. Die Mitgefangenen machten sich über den Aufschneider lustig und riefen frotzelnd, er müsse leise auf den Vierbeiner zugehen und sich klein machen. Daraufhin verließ er den Raum und knallte die Tür zu. Etliche Kursstunden später gelang es ihm jedoch, dem Hund gegenüber behutsamer aufzutreten, sodass dieser sich auf seinem Schoß niederließ.

Was Wölk hautnah erlebt, fügt Psychologe Maennle derzeit zu einem vollständigen Bild zusammen. Die Gefangenen werden im Laufe der tiergestützten Therapie umgänglicher und friedlicher, ergab die bisherige Auswertung der Fragebögen. Auch der Osnabrücker Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Hans-Dieter Schwind legt in einem kürzlich veröffentlichten Aufsatz dar, dass die soziale Kompetenz der Gefangenen wächst, wenn sie von Tieren umgeben sind. „Aggressionen und Depressionen werden abgebaut. Verantwortung wird aufgebaut, weil man sich um das Tier kümmern muss. Rücksichtnahme und Zuneigung können sich entwickeln, und schließlich sind Tiere auch eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung“, listet er gegenüber ddp auf.

Seine Schrift ist ein glühendes Plädoyer für mehr Tiere in den Haftanstalten. Wenn es nach Schwind geht, sollte die Jugendstrafanstalt Neustrelitz zum Vorbild für andere Gefängnisse werden. Auf Zehntausend Quadratmetern weiden dort Ponys, Schafe und Ziegen. Hängebauchschweine waten durchs Gras. In Käfigen mümmeln Kaninchen. Hunde bellen über den Hof. Die Insassen kümmern sich um den Zoo. Doch die tiergestützte Therapie wird seit 2007 nicht mehr angeboten. Viele Gefängnisse haben sich in den vergangenen Jahren aus finanziellen Gründen sogar von Tieren getrennt, denn die Tierhaltung ist teuer und ihr Nutzen war wissenschaftlich bislang kaum belegt.

Mit Maennles Studie wird sich das ändern. Dass Tiere der Persönlichkeitsentwicklung gut tun, bestätigen allerdings auch neue Experimente in Schulen. Österreichische Psychologen beobachteten auf Videomitschnitten, dass vor allem Jungs ruhiger und aufmerksamer werden. Tumult und Rangeleien nehmen ab, schüchterne Kinder öffnen sich etwas mehr. Fragebögen untermauern den Stimmungswechsel im Klassenzimmer. An mindestens 127 deutschen Bildungseinrichtungen streifen zur Zeit Collies oder Retriever durch die Unterrichtsräume. Andrea Beetz von der Universität Erlangen wertet aktuell aus, wie Drittklässler in Regensburg und Bamberg auf einen Vierbeiner reagieren. Ihr bisheriges Fazit: „Die positiven Effekte auf die soziale Kompetenz sind nicht riesig, aber sie sind da.“

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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