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Fleißige Hummeln aus der Fremde

Erde|Umwelt

Fleißige Hummeln aus der Fremde
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Immer mehr Bauern nutzen Hummeln als Nutztiere. Bild: Richard Bartz (cc-by-sa2.5-Lizenz)
Immer mehr Obst- und Gemüsebauern kaufen Hummeln als Bestäuber. Mehr als eine Million Völker sind in den vergangenen Jahren an Landwirte verkauft worden. Doch meist stammen die Insekten aus dem Mittelmeerraum. Die artfremden Tiere gefährden hierzulande die Wildhummel, befürchten Experten. Ein hessisches Unternehmen wirbt deshalb mit der Zucht heimischer Hummeln.

Von März bis Juli herrscht in Rüdiger Schwenks Firma Hochbetrieb. Die Mitarbeiter packen große Kunststoffschachteln und schicken sie in alle Regionen Deutschlands, nach Österreich und in die Schweiz. „Wir liefern in 24 Stunden“, sagt Firmenchef Schwenk, als würde es um Schnittblumen gehen. Tatsächlich stecken in den Schachteln, die an üppige Nistkästen erinnern, Hummeln. Jeweils ein Volk aus rund 300 Tieren summen in einer Box.

Einmal habe ein Kunde 250 Völker bestellt, erzählt der Unternehmer aus dem hessischen Aarbergen. Bei solchen Großaufträgen übernimmt er höchstpersönlich den Hummeltransport. Er klemmt sich hinters Steuer eines Lkws und bringt die fliegende Ware zum Beispiel ins Rheingebiet.

Dort erwartet ein Bauer schon sehnlich die Tiere. Die Hummeln sollen seine blühenden Pflanzen und Bäume bestäuben. Die Kisten werden auf dem Feld verteilt und die Fluglöcher geöffnet. Die emsigen Insekten befruchten dann sechs bis acht Wochen lang Tomaten, Gurken, Melonen, Kirschen und Äpfel in der Umgebung ihres Nestes. In Gewächshäusern und Folientunneln schwirren sie zwischen Feldarbeitern umher. Im Vergleich zu Bienen sind sie friedlicher und stechen seltener. So können beide, Mensch und Hummel, ungestört ihrer Arbeit nachgehen.

„Die Zuchthummel als landwirtschaftliches Nutztier liegt im Trend“, sagt Michael Lattorff, Biologe von der Universität Halle-Wittenberg. Er schätzt die Zahl der europäischen Hummelanbieter auf zwanzig. Weltweit sind es deutlich mehr. „Das geht schon in Richtung Massenproduktion“, urteilt er. „Vor zwei, drei Jahren wurde die Grenze von einer Million verkaufter Völker im Jahr überschritten.“ Schwenks Firma STB Control deckt mit 1.500 Kolonien pro Jahr nur einen kleinen Teil der Nachfrage ab.

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Die Gründe für den Hummelboom sind vielfältig: Einige Pflanzen wie beispielsweise Tomaten werden von Bienen kaum angeflogen, weil ihre Blüten keinen Nektar bieten. Die Hummel begnügt sich indes mit dem Pollen. Überdies fliegt die Biene nur bei schönem Wetter und mehr als 15 Grad Celsius. Das schmälert die Ernte in einer verregneten oder kühlen Saison. Hummeln wagen sich dagegen auch bei grauem Himmel und dürftigen Plusgraden aus dem Nest. Im Obstbau bringen sie deshalb 15 bis 20 Prozent mehr Ertrag, versichert Schwenk.

Für den Bauern sei ein Hummelvolk bequem zu handhaben. Eine Imkerausbildung braucht er nicht. Nach mehreren Wochen sammeln die Arbeiterinnen keinen Pollen mehr. Das Volk schickt sich an, neue Königinnen heranzuziehen. Aus Sicht des Landwirts haben die Tiere ihren Job erledigt. Sie werden sich selbst überlassen. Von einem Wegwerfprodukt ist gar die Rede. Zurückgebracht zur Zuchtstation werden sie jedenfalls nicht.

„Das Tier braucht viel Zuneigung“, sagt Hummelzüchter Schwenk. Mit tiefgefrorenem Pollen aus Südfrankreich und Zuckerwasser päppelt er seine Insekten auf. Dunkel, gleichmäßig feucht und warm mögen sie es, wie in einem echten Nest unter der Erde. Er hat ihnen als Ersatz ein steriles, wohltemperiertes Gebäude geschaffen, in denen sie Box an Box hausen. Im Winter kommen seine Tierchen in spezielle Kühlschränke zum Überwintern.

Schwenk behauptet, der Einzige zu sein, der mit der heimischen Hummel Bombus terrestris handelt. Vor 15 Jahren begann er mit 300 Königinnen, die er dem Bieneninstitut in Münster abkaufte. Wilde Hummeln darf man nur mit Genehmigung fangen, weil die Insekten geschützt sind, betont er. Besonders stolz ist er deshalb darauf, dass sein heutiger Bestand fast ausschließlich auf die 300 Münsteraner Gründertiere zurückgeht.

Die meisten Firmen verschicken dagegen Insekten, die in der Türkei und in Griechenland gefangen werden, berichtet Schwenk. Die beiden Global Player des Hummelhandels, Unternehmen aus den Niederlanden und aus Belgien, würden Tiere aus dem Mittelmeerraum vertreiben. Der Bonner Tierökologe Dieter Wittmann bestätigt das und spricht von einem großen Problem: „Das sind fremde Arten, die hier zu einer Faunenverfälschung führen.“ Laut Naturschutzgesetz ist sogar verboten, fremde Tierarten freizulassen. Gemacht wird es trotzdem. Schwenk befürchtet sogar, dass Bombus terrestris den Winter schlechter durchsteht, wenn sie sich mit den eingeschleppten Mittelmeerverwandten kreuzt, die keinen Frost kennen. Die fremden Hummeln könnten so die heimische Art verdrängen.

Es ist nicht das einzige Problem mit den eingeschleppten Zuchthummeln. Sie sind teilweise vom Krankheitserreger Nosema bombi befallen. Solange die Tiere künstlich versorgt werden, wirkt sich das nicht nennenswert aus, weiß Biologe Lattorff. Aber wenn die Hummeln freigelassen werden, infizieren sie die Wildhummeln über den Kot, den sie in den Blüten zurücklassen. „Es ist nachgewiesen, dass die Wildhummeln unter erhöhter Krankheitsbelastung leiden, wenn in der Umgebung Zuchthummeln eingesetzt werden. Das stellt eine große Gefahr dar“, betont der Forscher. Die Nosemose schwächt die Tiere, verkürzt ihr Leben und kann so zum Zusammenbruch eines ganzen Volkes führen.

In einem Forschungsprojekt sucht Lattorff nun nach Erbmerkmalen, die die Hummeln besonders widerstandsfähig gegen den Schädling machen. „Wenn die Zuchthummeln gesünder wären, käme das auch den Wildhummeln zugute“, sagt Lattorff. Niederländische Züchter haben schon begonnen, sich nach solch robusten Tierchen umzusehen. Während der Handel der internationalen Unternehmen brummt, kann Schwenk vom Verkauf seiner Insekten nicht leben, gesteht er. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt unter anderem mit einer selbst entwickelten Gesundheitsmatte.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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